Am 10. Februar – Will.i wurde grad 41 Tage alt – hatte ich eine Auseinandersetzung mit ihm. Ihr erinnert euch, wie er herumsprang – ein kleiner großer Zampano – und schrie:
„Nur weil ihr alt und müde seid und Angst habt, muss ich hier rumsitzen und mich zu Tode langweilen! Warum reist ihr nicht? Warum fliegt ihr nicht mindestens mal zum Mond? Warum träumt ihr nicht groß? Warum lauft ihr mit diesen lächerlichen Masken rum? Ihr seid einfach nur jammervoll!“ Und wütend übermalte und überklebte er das erstbeste Bild, das er auf der Staffelei fand.
- meine Dezember-Fassung
- Will.is Februar-Fassung
Ich schob seinen Aufstand damals auf die beginnende Pubertät. Denn weder bin ich alt noch müde noch habe ich Angst. Ich verstand aber, dass er, der seit seiner Geburt unser Gefühl des Eingesperrtseins und der eingeschränkten Bewegungsfreiheit miterlebt, uns für feige und lächerlich hält. Warum tun wir nicht einfach, was uns passt? Warum rebellieren wir nicht? Warum „fliegen wir nicht zum Mond“?
„Es geht eben nicht“, sagte ich ihm damals, denn ich hatte wirklich keine Lust, ihm den Irrsinn der Maßnahmen im einzelnen zu erläutern. Und das mit dem Mond – wie sollte ich ihm erklären, dass wir nicht mal unser Haus verlassen dürfen, ohne den Behörden darüber Rechenschaft zu geben, während andere derweil sogar zum Mars aufbrechen?
Jetzt ist Will.i 58 Tage alt alt – man könnte ihn für sechzehn halten -, und er lässt sich nicht mehr mit schlichten Worten abspeisen. Er will wissen, was gespielt wird. Und da er inzwischen des Lesens mächtig und im WWW unterwegs ist, als sei es seine natürliche Umwelt, fischt er täglich irgendwelche Nachrichten aus dem Netz und hält sie mir vor die Nase. Heute war es ein Artikel in der FR (Frankfurter Rundschau). „Erst machen sie die Flasche mit dem großen Gespenst auf, so dass alle Leute sich vor Angst in die Hose machen, und dann sagen sie: Besen Besen seis gewesen. Du wirst sehen, sie werden alles vertuschen!“ so Will.i mit funkelnden Augen und gerunzelter Stirn. – „Wovon redest du eigentlich, Will.i?“ – „Hier, lies selbst!“ Und ich lese: „Hinzu kommt eine neue Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation. Die WHO geht offenbar davon aus, dass die Pandemie bereits in wenigen Monaten vorbei sein wird. Grundlage dessen, sei der weltweite Rückgang im Bereich der Neuinfektionen. Hans Henri Kluge, WHO-Regionaldirektor Europa, sagte Medien des dänischen Rundfunks: „Es wird weiterhin ein Virus geben, aber ich glaube nicht, dass Einschränkungen nötig sein werden.“
„So!“, sage ich. und dann: „So, so.“ Mehr sage ich erstmal nicht. Denn was soll man sagen, wenn einem zu viel auf einmal einfällt? Dann frage ich aber doch noch mal nach: „Was meinst du mit vertuschen?“ – „Na, sie werden sagen, dass diese Grippe wegen all der Maßnahmen und wegen der Impferei zum Stillstand gekommen ist. Dabei wäre sie es ohnedies. Lies doch weiter: Klaus Stöhr, Epidemiologe, Virologe und ehemaliger WHO-Funktionär warnte bereits vor geraumer Zeit, Mutanten falsch einzuschätzen. Laut Stöhr zeige die historische Entwicklung, dass ein plötzliches Nachlassen des Infektionsgeschehens wahrscheinlich sei. Er verglich die Corona-Pandemie dabei mit zwei Influenza-Pandemien, der asiatischen Grippe und der Honkong-Grippe. In beiden Fällen sei das Infektionsgeschehen genauso schnell abgeflacht, wie es sich aufgebaut hätte.“
„Na ja“, murmele ich, denn ich kann einfach nicht glauben, dass nun das, was ich seit einem Jahr predige, offizielle Wahrheit sein könnte. „Das ist vielleicht die Meinung von diesem Virologen, aber es gibt andere.“ – – „Wenn du weiterlesen würdest, wüsstest du, dass es auch andere gibt“, fährt mich Will.i an. „Lies doch! Schon gut, du willst nicht, also lese ich es dir vor: Stöhrs Einschätzung wird offenbar durch eine neue Studie aus den USA gestützt. Diese wurde vor Kurzem im Fachmagazin „Science“ veröffentlicht – und kommt zur Prognose: Das Coronavirus werde sich „endemisch“ entwickeln, sprich: sich nur noch sehr lokal verbreiten.“
Langsam löst sich etwas in mir. Mir ist, als sähe ich irgendwo am Horizont ein Stückchen freien Himmel, eine Öffnung, einen Hoffnungsschimmer. „Das wäre ja zuu schön!“ sage ich. „Aber warum bist du so wütend, Will.i? Eigentlich ist es doch ein Grund zur Freude.“ – „Was soll da ein Grund zur Freude sein?“ schreit er aufgebracht. „Erst regieren sie alles in Grund und Boden und machen unsere Zukunft kaputt, und dann rühmen sie sich, dass sie eine Pandemie, die überhaupt keine ist, besiegt haben? Sollen wir sie dafür noch loben und uns durch Kniefälle bedanken? Ich glaub, ich brauche Luft!“ und weg ist er.
Da stehe ich nun und weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Zögernd ergreife ich den Pinsel. Erstmal all das Schwarze, das Will.i reingeschmiert hat, übertünchen, denke ich. Schließlich ist Frühling. Überpinseln, übertünchen, übertuschen. Vertuschen. Gut so. Alles ist einigermaßen weiß übertüncht. Aber wie geht es weiter? Aufwärts? Abwärts? Große Rutsche nach unten? Fluchtweg? Haupt- und Nebenwege? Spaltung? Sackgasse? Verlies? Fenster und dahinter die nächste Wand? O Schitt! Vielleicht stehen Will.i trotz allem schwierige Zeiten bevor.