Das Lied von der Moldau
Am Grunde der Moldau wandern die Steine.
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.
Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne,
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein’ Gewalt.
Hierzu eine kleine persönliche Anekdote. Ich lernte meinen Mann 1967 kennen, kurz nachdem in Griechenland die Junta der Obristen die Herrschaft an sich gerissen hatte. Die wenigen Griechen von Kiel und ein paar versprengte deutsche und südamerikanische Linke formierten in der Kieler Innenstadt einen Protestzug.
Vorne weg trugen sie ein großes Transparent, darauf stand: „Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne, es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.“ Bertold Brecht. Dazu auch die griechische Flagge.
Die meisten Kieler Bürger übersahen den kleinen Zug, aber ein Herr fragte interessiert: „Wird ein neues Stück von Brecht gegeben?“ Das wäre allerdings eine Sensation, denn Brecht stand in Schleswig-Holstein noch auf der Liste der verbotenen kommunistischen Autoren. Nur wenig relevante „Jugendwerke“ wie „Im Dschungel der Städte“ konnten gezeigt werden.
Auch dieser interessierte Herr hatte offenbar nicht mitbekommen, dass im Mutterland der Demokratie gerade die Demokratie abgeschafft worden war. Sieben Jahre später „wechselten die Zeiten“ mal wieder, und die „blutigen Hähne“ verschwanden im Gefängnis.
Doch was sind sieben Jahre oder auch siebzig im Strom der Zeit?
Am Grunde der Moldau wandern die Steine.
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.




Dein Beitrag stimmt mich ganz nachdenklich. 1967 ist das Jahr meiner Geburt. Das Gedicht von Brecht. Die Fotos der Steine im Sand. Die Frage des Herrn nach dem Brecht-Stück und dein Kommentar, dass Brecht in Schleswig-Holstein 1967 noch auf der Liste der verbotenen kommunistischen Autoren stand. Für mich unfassbar… Du hast die einzelnen Bestandteile deines Beitrags wunderbar zusammengefügt. Chapeau!
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Liebe Katrin, da freu ich mich, dass es für dich gepasst hat. Ich erzähle gern so Geschichten „von damals“, die ja für mich gar nicht von damals, sondern ganz aktuell sind. Warum erzähle ich sie? weil ich mir vorstellen kann, wie merkwürdig fremd das alles einem jüngeren Menschen vorkommen muss. Und ist doch grad erst gewesen.
Als ich hier in Athen Deutsch unterrichtete (beginnend 1980), machte es mir Spaß, den 12jährigen Schülern zu erzählen, dass es in meiner Kindheit keinen Fernseher gab. Du hättest mal die erstaunten Kommentare hören sollen. Die Kinder konnten sich einfach nicht vorstellen, das ein Leben ohne TV möglich ist. Ich war damals selbst noch jung (38), und plötzlich dachten die Kinder, ich wäre ihre Urgroßmutter.
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So kurz, so gehaltvoll. Ich mag diese text-bildliche Verdichtung, das Biografische im Licht der Zeitläufe.
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Freut mich, herzlichen Dank, Maren.
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Ganz einfach Danke für die wunderschönen Worte!
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Und dir, lieber Wolfgang, tak foer tak! danke fürs Danke.
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