Auf den Tag genau vor vier Monaten schrieb ich: Am Herbst-Äquinoktium stehen Tag und Nacht im zarten, zögernden Gleichgewicht. Danach neigt sich die Waage entschlossen der Nacht zu. Aber nicht für immer: Schon drei Monate später, zu Weihnachten, beginnt das Licht wieder zu wachsen….
Den Beitrag beendete ich mit einem frommen Wunsch: Möge sich die feine Balance, in der sich die Erde dann befindet, wohltuend auf die Gemüter auswirken! Dass sie ihre Polaritäten ausgleichen, ihre Waffen niederlegen und zusammenwirken im schönen Gleichgewicht der Kräfte. https://gerdakazakou.com/2015/09/14/equilibrium „Gut gebrüllt, Löwe“, möchte ich mir mit Shakespeare (Ein Sommernachtstraum) zurufen. Ach ja, unsere Polaritäten! Wie sie ins Gleichgewicht bringen? Entweder entschweben wir hoch in die blauen Lüfte der Illusion oder versinken tief in der Materialität unserer modernen Existenz. Oder sogar beides, nacheinander. Ikarus ist der Paradefall, um das zu demonstrieren. https://gerdakazakou.com/2015/07/20/ikaros/
Die Story ist verflucht aktuell: Daedalos war ein großer Mechaniker. Er erfand den automatischen Wächter Talos, der wie ein moderner Riesenroboter die Insel Kreta umkreiste – Schrecken der ankommenden Reisenden. Statt Blut hatte er Treibstoff in seinen Adern. Daedalos erdachte den Kuh-Mechanismus, in den die Helios-Tochter und Minos-Gattin Pasiphae stieg, um sich vom Stier begatten zu lassen. So wurde das Biest gezeugt, halb Mensch, halb Tier, das als Minotaurus bekannt ist. Daedalos baute das Labyrinth, in dem diese üble Kreuzung aus technischem Verstand und sinnlicher Begierde eingesperrt wurde.
Es war eine Welt der mechanischen Wunder, die das Genie des Daedalos erschuf. Das selbst erbaute Labyrinth wurde ihm schließlich zum Gefängnis. Minos sperrte ihn ein. Wie entkommen? Flügel konnte er sich nicht wachsen lassen. Nur technische Flügel konnte er bauen. Damit besiegelte er das Schicksal seines Sohnes Ikaros. Denn der, jung, naiv und in Überschätzung seiner Kräfte, strebte schnurstracks nach der Sonne. Und stürzte hinab, hinab, hinab ins Meer.
Und ich selbst? Matt vom Grübeln lieg ich zu Bette, das Herz ein roter Ballon schwebt über mir („Geh aus mein Herz und suche Freud“). Darüber helle und dunkle Gedankenenergie in „schönem Gleichgewicht“.
Wären da nicht die lieben Tiere und ein kleines Engelsvolk, die unter mir wachen – das Bett könnte unter dem Gewicht der Gedanken glatt zusammenbrechen.
Liebe Gerda,
muss ich mir Sorgen um dich machen???
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das ist so süß von dir, liebe Katrin! Nein, brauchst du wirklich nicht,. Mir geht es gut,.Grübeln tue ich allerdings viel über die Verhältnisse in der Welt. Wie es schon Walther von der Vogelweide tat: „Ich satz uf einem Steine und dachte Bein mit Beine. Druf setz ich den Ellenbogen. Ich hat in meine Hand gesmogen das Kinn und ein min Wange. Da dacht ich mir viel lange, wie man zur Werlde sollte leben, deheinen Rat kunt ich gegeben … Wie man drei Ding erwurbe, des keines nicht verdurbe. Die zwei sind Ehr und weltlich Gut, was dick einander schaden tut, das dritt ist Gottes Hulde, der zweie Übergulde. Die hätt ich gern in einen Srin. Doch leider kann des nicht gesin ….“
So ungefähr beginnt dies unsterbliche Gedicht über die Schwierigkeiten zu leben. … Hab eine Gute Nacht, Katrin!
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* erleichtet guck * 🙂
Dir auch eine gute Nacht!
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Danke, Gerda, dass du den munteren Balancier wieder ins Spiel gebracht hast.
Ingrid
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Wundervolle Bilder und ein wundervoller Text! Das zarte, zögernde Gleichgewicht hat es mir besonders angetan. In einem Lied heisst es „Meine feste Balance ist das Ungleichgewicht“ und irgendwie balancieren wir ja tatsächlich immer irgendwie irgendetwas aus, entweder in uns selbst oder in unserem gegenseitigen Miteinander. Dass das Bettgestell unter den schweren Gedanken ächzt, könnte ich mir tatsächlich auch hin und wieder vorstellen – und da will ich von nun an an deine leichten Tiere, Vögel und Engelswesen denken 🙂 und im Frühjahr mein Herz mit Paul Gerhardt ausschicken 🙂
herzliche Abendgrüße und eine schöne Woche,
Marli
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Ganz herzlichen Dank, Marli, für deinen schönen Kommentar. Es wurde mir ganz wohl ums Herz, als ich ihn las. Gute Nacht! Gerda
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Pingback: Griechisches Alphabet des freien Denkens: Ισορροπεία/Gleichgewicht | GERDA KAZAKOU
Hast du auch darauf geachtet, dass der Schwerpunkt senkrecht über der Unterstützungsstelle liegt 😉
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? Kannst du das ein bisschen erläutern, bitte?
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