Dora zum SechsundzwanzigstenSechsten: Tiere in der Kunst (Bröckchen-Spiel 3)

Die „Göttin auf dem Schwan“, die ich vorhin ins Netz stellte, gefällt Dora.

Endlich nicht nur Häuser und Menschen! Tiere seien doch viel witziger! Wenn ich schon keine Katzen und Hunde aus Rom mitgebracht hätte, so täten es auch andere Tiere.

„Aber Dora“, sage ich, „jetzt bist du ungerecht. Ich habe doch schon Vögel gezeigt, sogar gleich als Erstes!“

„Ja, schon. Aber hast du sonst keine Tiere?“ – „Vielleicht“, sage ich. „wir können ja mal nachsehen.“ Und das tun wir.

Als Erstes begegnet uns ein junger Zentaur. Den aber lässt Dora nicht als Tier gelten. „Quatsch“, kräht sie. „Tiere sind anders.“ – „Schon“, gebe ich zu bedenken, „dies ist ein Mischwesen (mehr dazu hier). Wie du vielleicht schon gemerkt hast, haben wir Menschen ganz schön viel Tierisches an uns. Und wenn es, wie hier, ein Pferd ist, das Kraft und Schnelligkeit symbolisiert, ist doch nichts dagegen zu sagen.“ – „Doch!“ entgegnet Dora entschieden. „Überall setzt ihr den Menschen drauf. Könnt ihr die Tiere nicht mal sie selbst sein lassen?“ – „Das ist schwierig, wenn es sich um Kunst handelt, Dora“, murmele ich und scrolle weiter durch die Fotos. „Kunst ist ja menschengemacht. Die Tiere… Schau mal, hier ist ein Hund zu sehen!“

Es ist eher ein Hündchen, doch sein Ausdruck zeigt, dass er weiß, was er wert ist. Und das wäre? „Schoßhunde wurden zumeist von Damen als Luxushunde oder Spielgefährten gehalten. Ihre eigentliche Aufgabe war es, durch die höhere Körpertemperatur die Flöhe abzuziehen“, zitiere ich Wikipedia und grinse. „Tiere zu Tieren“.

Dora kann sich nur schwer von dem Hündchen trennen. „Drollig“ und „schnuckelig“ findet sie ihn. Ich freue mich über ihre Wortvermehrung. Das ewige „cool“ und „supercool“ ist mir echt zu minimalistisch.

Mit dem Widderkopf auf Caravaggios Bild von Johannes dem Täufer (das Portrait, das eher einem jungen Bacchus gleicht, wird dem Täufer zugeordnet) locke ich Dora weiter. Den findet sie nun „süß“. Na, ich weiß nicht. Ich würde ihn eher gedankenvoll nennen. Das Zeitalter des Widders wurde ja damals, zu Jesus‘ und Johannes‘ Geburt, beendet. Der Widder stirbt, die Fische ziehen herauf. Drum nannte man Jesus das „Lamm Gottes“ und nicht das „Kalb Gottes“ oder den „Fisch Gottes“ – das Zeitalter der Stiere war schon vorbei und das der Fische zog gerade erst herauf. IXΘHΣ (Fische), das Anagramm für Ἰησοῦς Χριστός Θεοῦ Υἱός Σωτήρ (Jesus Christus Sohn Gottes Heiland) wählten etwas später die Christen als Codewort und Symbol. In unserem Jahrhundert verziehen sich langsam die Fische, und es dämmert der Wassermann herauf, der irgendwie besser zum Täufer passt, finde ich. Werden wir es erleben – das Wassermannzeitalter, in dem der Messias wiedererscheinen wird, wie die Eschatologen sagen?

„Apropos Stier: der hatte seine Hochzeit in der Minoischen Zeit (Minotaurus hier, und auch hier), als der Frühlingspunkt in das Zeichen des Stiers eingetreten war, aber er herrschte auch noch zu Alexanders Zeiten – ein astrologisches Zeitalter dauert nämlich 2160 Jahre. Bukrania (Stierschädel) sieht man ständig auf den hellenistischen und römischen Friesen“, sage ich im Bemühen, Dora ein wenig Geschichtsbewusstsein zu vermitteln. „Stierköpfe hatte man auch haufenweise in echt, weil man die Tiere, um die Götter milde zu stimmen, hekatombenweise opferte. Diese Girlande stammt vom Grabmal des Augustus, der zu Jesu Zeiten in Rom regierte. Die alten Römer hatten offenbar noch nicht begriffen, dass eine neue Zeit heraufzog.“

„Hekatomben?“ fragt Dora. Der Rest meines Sermons geht in ihr eines Ohr rein, aus dem anderen raus, ohne ihr Hirn, geschweige denn ihr Herz zu berühren. „Ja, eine Hundertschaft,“ antworte ich knapp. „Hundert Stiere?“ – „Ja!“ – „Und die wurden auf einen Haufen geschlachtet?“ fragt Dora entsetzt. „Nun ja, gelegentlich, bei besonderen Anlässen. Immerhin besser, als was heute in den Schlachthäusern geschieht“, brummele ich. „Meistens opferte man nur ein schönes und  geschmücktes Tier, das man besonders liebte. Damit wollte man den Gott freundlich stimmen oder ihm für eine Wohltat danken. Ein Teil des Fleisches verbrannte man, den Rest aß man dann selbst. Hier siehst du so eine Opferszene. Der Bärtige ist Gottvater Zeus.“

Um dem Thema „Tieropfer“ und „Schlachthaus“ zu entkommen, scrolle ich weiter und bleibe bei einer Eberjagd hängen. Die kenne ich gut – also nicht die Darstellung, sondern den dazu gehörigen uralten Mythos. Ich habe davon in meinem Romanfragment „Schwanenwege“ erzählt. Und ein bisschen auch hier, anlässlich eines Besuchs im Athener Nationalmuseum.

Schnell weiterscrollen! Etwas Hübsches, Unverfängliches finden! Pferde? Aber diese schönen Tiere werden als Reit- und Schlepptiere in Schlachten auch zu Hekatomben geopfert. Das Wort „Schlachten“ meide ich besser.

Der Widder, mit dessen Hilfe Odysseus der Höhle des Zyklopen entkam? Bloß nicht! Dann muss ich auch das ganze Drum und Dran erzählen! Ist übrigens eine meiner Lieblingsgeschichten, hier nachzulesen.

Garibaldi hoch zu Ross? Auch das wäre eine Geschichte wert: Garibaldi (1807-1882), seine Rolle in Italiens Unabhängigkeitskampf und Rissorgimento etc pp, hier aber ginge es um sein Ross, von dem ich nicht mal den Namen weiß.

Gibt es denn gar keine unmythologischen, unhistorischen, unmenschlichen Tierdarstellungen? Tiere, wie sie – an und für sich – sind? Vielleicht jener Löwe, der eine Treppe in Perugia bewacht?

Ich weiß nicht. Ich muss weiter suchen. In Hochkulturen scheinen die Tiere vollkommen in die Menschenwelt eingebunden und domestiziert zu sein – ganz anders als bei den vorzeitlichen Höhlenmalern (hier) und dann wieder seit dem späten 19. Jahrhundert, als mit Henri Rousseau oder Franz Mark eine neue Sicht auf die Tierwelt eingeläutet wurde – vielleicht, weil Tiere durch die industrielle Revolution aus dem Alltag der Menschen weitgehend verschwanden und uns eine tiefe Sehnsucht nach ihrer wahren Natur packte.

Straßenszene in Assisi, 21.6.22

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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7 Antworten zu Dora zum SechsundzwanzigstenSechsten: Tiere in der Kunst (Bröckchen-Spiel 3)

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Zum Schluß hat Dora zum Glück ihre echten Lieblingstiere entdeckt und sich an deren Seite gestellt. Würde ich auch tun.

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  2. Alexander Carmele schreibt:

    Schöner Ritt durch die Kulturgeschichte. Im Grunde lässt sich am Verhältnis der Menschen zu den Tieren sehr viel ablesen. Der Hund auf dem letzten Photo hat in der Sonnenhitze ganz schön zu hecheln. Ich hoffe, er konnte sich bald im Schatten ausruhen unter dem ganzen Fell!

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  3. Ein Text, gespickt mit Wissen und Wissenswertem, liebe Gerda.
    Dora jubelte vermutlich, als sie die Straßenszene sah und ich fand sie auch ganz wunderlich schön…
    Passend zu Assisi irgendwie

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    • gkazakou schreibt:

      Stimmt, es war ein schöner Anblick, dort im Zentrum von Assisi diese schönen Menschen und Tiere zu sehen. Es waren eine Frau und ein Mann, einfach gekleidet, zwei Esel und der große Hund. Sie kamen wie aus einer anderen Welt. Aber sie passten nun grad auch besonders gut nach Assisi, der Stadt des Tierfreundes Franziscus. Sie verwandelten die Atmosphäre und führten uns zurück in die alten fast biblischen Zeiten

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