Heute morgen zeigte ich Dora Gerhards Relativitäts-etüde (hier). Die fand sie ausgezeichnet und auf sich selbst passend, denn sie ärgert sich ein bisschen, dass ich sie wie eine Zwergin darstelle. Eigentlich sei sie ja sehr groß, übergroß sogar. Denn „Wer ist größer als eine Wunscherfüllerin und Allesschenkende wie ich?“
„Na ja“, wage ich einzuwenden, „du magst zwar in gewisser Weise eine Riesin sein, aber körperlich kommt das nicht zum Ausdruck. Ich jedenfalls sehe dich als meine niedliche Begleiterin, mein Summsebienchen, das mich kein bisschen beschwert, wenn es mir auf der Schulter hockt.“
„Papperlapapp!“ schreit Dora. „‚Körperlich kommt das nicht zum Ausdruck! Das ist nicht nur geschnörkelt, es ist falsch. Ich sag dir, wie es richtig ist!“ Und sie stellt sich vor mich hin und spricht wie eine gelernte Kata-Strophen-Dichterin die folgenden Worte.
Von Riesen und Zwergen
Zypressen ragen so hoch, so steil
in die Bläue des Himmels hinein
Da fühl ich mich wie ein Zwergelein, weil
Ich bin dort nur winzig klein.
*
Doch hüpf ich zur Spitze und kreuz und quer
Und lande im Palmenwipfel
Dann bin ich ein Riese und schau bis zum Meer
Und hinüber zum Bergesgipfel
*
Der Standpunkt macht meine Größe aus
Er gibt mir den Überblick
Und willst du selber mal hoch hinaus
Dann lerne aus meinem Trick.
Und begeistert über ihre neu erworbenen Talente hüpft sie, hebt ab und landet auf meiner Schulter. Bravo, Dora, nun hast du mir sogar eine Etüde geschenkt und ich brauche nicht selbst zu dichten. Danke!
(254 Wörter)
Der Standpunkt ists,
der erhöht.
Doch wer erklärt diesen
zum höheren
denn Grösse in sich allein kann kein Maßstab sein.
Das Blümche ein paar Meter weiter
den Berg hinauf
ist höher als die Zypresse
wohl
und schaut auf sie hinab
die sich da dünkte
überlegen zu sein.
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Wunderbar in jeder Weise!
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Überblick zu bekommen, zu haben, zu behalten ist von Vorteil – und nicht zwangsläufig Frage von Größe, das ist klar … 🤔
Ich habe das Gefühl, ich erkenne den Punkt nicht, der dir wichtig ist. 😬
Nachdenkliche Abendgrüße 😉🌧️🍵🥘👍
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Och, Christiane, und ich dachte, das Gedicht wäre sonenklar! Nun warte ich erst mal mit dem Erklären ab, vielleicht ist ja ein Leser, eine Leserin so nett, den Gedanken dahinter zu erklären. Wenn nicht, hole ich es nach.
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Also gut, liebe Christiane: .
Hochgestellte Persönlichkeiten kennen die größeren Zusammenhänge, nicht weil sie körperlich größer sind, sondern aufgrund ihrer Position. Sie stehen oben in der Pyrramide der Macht. Man erkennt sie übrigens an der Größe ihres Büros und ihres Schreibtisches, ihrer Villa, ihrer Autos, ihrer Yacht und ihres Bankkontos.
Wegen ihrer höheren Position wissen sie besser (sagen sie), was uns kleinen Leuten frommt. Sie sehen (sagen sie) schon den Feind anrücken und rüsten gegen ihn, während wir uns noch über die richtige Zubereitung des Frühstückseis streiten.
Warum will jemand hoch hinaus? Damit er von oben begucken kann, was da unten herumwuselt. Kleine Leute wie du und ich, die sich mit einem eingeschränkten Blickwinkel begnügen müssen, denken, die da oben seien irgendwie größer als wir und dürfen daher auch mehr beanspruchen, und uns nach Maßgabe ihrer größeren Weisheit Freiheiten geben oder vorenthalten. Weil sie den Überblick haben, der uns fehlt.
Weiteres hier: https://gerdakazakou.com/2017/10/11/zwergenvolk-2/
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Wer am flachen Boden steht (Strand, Palmen) hat den Blick in die Weite und nach oben; wer die Zypressen sucht, sucht in den Bergen und schaut von oben heran ins Tal. Für mich beides schön. Ein tieferer Sinn entgeht mir auch.
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Danke, Werner, für deine Interpretation. Ich warte noch ein bisschen.
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Ich hab jetzt mal bei Christiane ein bisschen kommentiert
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Welch wunderbare kleine Mär. Gefällt mir sehr!
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danke, Kain!
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