Als ich vor nunmehr sieben Jahren mit dem Bloggen anfing, widmete ich eines der ersten Legebilder dem Thema Flüchtlinge – und wie sie von denen, an deren Küsten sie landen, empfangen werden.
„Moderne Argonauten“ nannte ich das Bild, auf dem ein zürnender Engel über einem mit Flüchtlingen vollgepackten Schiff schwebt, das auf eine feindliche Küste zusteuert.
Damals (Mai 2015) war das Thema aktuell – heute ist es aktueller denn je. Mit gemischten Gefühlen heißen die Menschen an den sicheren Küsten die Neuankömmlinge willkommen. Wieviele werden es sein? Werden sie sich der Hilfe würdig erweisen? Werden sie unser gewohntes Leben womöglich von Grund auf verändern? Bange Fragen.
———————————————————————————————————-In einem Eintrag wenig später, mit dem Titel „Sie sonnen sich“, beschreibe ich die Situation der Ankömmlinge, die sich durch die damals gewählte linke Regierung oberflächlich änderte:
Die Ankömmlinge sind Flüchtlinge, die aus der Abschiebehaft befreit wurden. Ihre mageren Gestalten, den Plastikkoffer in der einen Hand, den blauen Umschlag mit der 6-monatigen vorübergehenden Aufenthaltsgenehmigung in der anderen, entquollen den Bussen, die sie zum zentralen Platz Athens brachten. Der Platz heißt Omonoia, das bedeutet „Eintracht“. – Langsam verliefen sie sich, versickerten in den verwahrlosten Straßen des Zentrums, fanden bei Helfern und Landsleuten vorübergehend Unterschlupf. Seither kamen viele neue an, hunderte, tausende, wer will sie zählen. Jeder Ankömmling hat sein eigenes Schicksal, auch wenn sie sich oberflächlich gesehen ähneln. Sie ähneln sich, weil sie Flüchtlinge sind. Weil sie ihre Heimat verloren haben. … Sie kommen, um bei erster Gelegenheit weiterzuziehen, nach Norden, in die besser entwickelten Ökonomien Europas, wo sie vielleicht eine Zukunft haben….
Die linke Innenministerin kommentierte die Bilder über innerstädtische Parkanlagen, die von den Neuankömmlingen zu Schlafquartieren umfunktioniert wurden, mit dem Wort „Sie sonnen sich“.
Ich selbst kommentierte damals:
Die Menschen kommen aus Kriegsgebieten Asiens und Afrikas. Wie neueste Forschungen zeigen, sind es genau die Gebiete, aus denen die Vorfahren der Griechen vor abertausenden von Jahren herüberkamen. Und mit ihnen die Kulturformen, aus denen sich unsere abendländische Welt entwickelte. (In Herodots „Historien“, vor 2500 Jahren geschrieben, wird dies sehr schön veranschaulicht).
Ich zitierte auch Julia Kristeva („Fremde sind wir uns selbst“, Frankfurt am Main 1995) mit den Worten:´„Sich ängstigen oder lächeln, das ist die Wahl, vor der wir stehen, wenn uns das Fremde überfällt; wofür wir uns entscheiden, hängt davon ab, wie vertraut wir mit unseren eigenen Phantomen sind.“
———————————————————————————————————-Im Dezember 2015 ging die Flüchtlingsthematik sogar in mein Kinderbuch von Tui-Tiu ein: „Besuch aus der Fremde“ hieß es:
Was war passiert?
In die Familienidylle ist eine Fremde eingebrochen. Eine fremde Vogelmama mit gleich vier Sprösslingen auf dem Rücken. Eine Ausländerin! Was will die denn hier? Man wird ja noch mal fragen dürfen! Und wie sie schnattert und quakt, diese Fremde! Wer soll das verstehen?
„Ich bin Kua-Ack von der Kuelle, schnattert die Fremde aufgeregt. Diese hier, Madame! meine Kinder A-Kuack, E-Kueck, O-Kuock und hier, die klitzekleine I-Kuick. Kuecksilber, reines Kuecksilber! Hör auf zu kuengeln, O-Kuock!
Wir weg von schöne Kuelle, kreuz und kueer, kuer-feldein, kuer-beet, immer immer. Meer durch-kuert mit arme Waisenkinder. Hör auf zu kuäken, I-Kuick! Ihr habt gut. Blätter, Gras auf Boden, aber dort – kuitte-gelber Kualm, wir kuer-durch, mein armer Kui-Ick ganz zerr-kuetzt, ach, meine arme Waisenkinder! Kuäl mich nicht, I-Kuick! Lass das Kuieken, O-Kuock! Was muss die Dame von uns denken, A-Kuack!“
„Nun, nun“, beruhigt Mama Tiu die aufgeregte Kua-Ack von der Kuelle. „Nun machen Sie es sich doch erst mal bekuem. Keiner muss sich kuetschen. Platz ist für alle“.
Ziuzui bewundert ihre Mama Tiu, die sich durch das Kuassel-Kuintett nicht aus der Ruhe bringen lässt. Aber ihr ist auch ein bisschen mulmig. Vier Neue Fremde? Und dazu das Neue Kleine der Mama? Ob da noch genug für sie übrigbleibt?
Damals konnte Tui-Tiu ja nicht ahnen, dass einer dieser unerwünschten Neuankömmlinge ihre erste Liebe sein wird, um dessen Gunst sie, die füllige Einheimische, vergebens wirbt.
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Dann kam der Januar 2016. Ich postete den Beitrag „Märchenstunde“, legte das Bild Ors Traum und schrieb: Es ist der Traum von einer Welt, in der man frei herumziehen kann, mit wenigem auskommt und überall willkommen ist. Ich selbst hatte diesen Traum, aber damals traute ich mich nicht, ihn zu unterschreiben. „Willkommen“ – das schien eine zu realitätsferne Utopie. In meinem diesjährigen „Welttheater“ lebt dieser Traum wieder auf.
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Viele von uns suchen das Fremde – drum reisen wir. Im August 2015 – auf dem Höhepunkt der ersten „Flüchtlingskrise“ – warb das griechische Touristik-Ministerium mit dem Slogan Lebe deinen Mythos. Dazu schrieb ich:
Es ist heiß, von Ferne glänzt das Meer. Nimm deine Träume, nimm dein Segelboot, brich auf! Grenzenlos ist das Meer, grenzenlos der Sommer. – „Lebe deinen Mythos“ … Endlich bist du frei!
Zwei junge Männer folgen dieser Aufforderung.
Doch wie es so ist mit den Mythen und Märchen: sie gelten nicht für jedermann.
Hast du Papiere? schreit er. Hast du Geld? Hast du die richtige Hautfarbe? Nein? Dann hau ab, zurück marsch marsch, zurück, dahin, woher du gekommen bist. Und zwar schleunigst! Hier ist Europa, hier herrscht Ordnung!
Du verstehst die Sprache nicht? Na, dann komm mal mit, wir werden sie dich schon lehren. Ein Richter, ein Auffanglager für die Sonne, für den Traum von Freiheit.
Grenzenlosigkeit? Das ich nicht lache. Ein Übersetzungsfehler.
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Das Thema ist bis heute akut, und ich, weit davon entfernt, eine Lösung zu wissen, möchte jedenfalls mein eigenes Herz frei halten von Verfinsterung. Immer wird mir der Fremde willkommen sein – bin ich doch selbst eine Fremde, immer schon. Doch verstehe ich sehr wohl die Menschen, die fürchten, dass ihnen ihre eigene Heimat schließlich entfremdet und entrissen wird.
Und so sage ich heute: Vorsicht! Es gibt Punkte, an denen Quantität in Qualität umschlägt. Wenige werden freundlich aufgenommen …es werden mehr …. und irgendwann sind es zu viele. Da schlägt dann die Willkommens-Kultur in eine Unkultur des Grolls um. Das gilt für die Zuwanderung ebenso wie für den Tourismus. Im Grund gilt es überall, wo das rechte Maß verloren geht. Παν μετρον αριστον – so sprach schon im 6. vorchristlichen Jahrhundert Kleoboulos von Lindos, was etwa bedeutet: „Alles mit Maß“. Seither wurde der Spruch unzählige Male wiederholt – praktisch umgesetzt aber wurde er bis heute noch nicht.
Eine eindrucksvolle Sammlung
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Alles mit Maß, schreibst Du, liebe Gerda, und ich ergänze, mit viel Toleranz und Einfühlungsvermögen. Nur so würde es auf Dauer gehen, aber das ist wirklich nicht einfach… Zu vieles liegt im argen
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es ist nicht einfach, darauf können wir uns sicher einigen.
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Auf jeden Fall!
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Alles mit Maß, das hätten wir uns sagen sollen, als wir Afrika, mittel- und Südamerika ausgebeutet haben und als Mindestlöhne eingeführt werden mussten, um die Ausplünderung der eigenen Brüder und Schwestern selbst bei uns überhand nahm.
Aber noch heute hat sich die Denke nicht verändert: für die Flüchtlinge ist der Staat zuständig, wir persönlich wollen davon nicht behelligt werden. Wir habeznie gelernt, Verantwortung zu leben.
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Danke, Werner.
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Du hast Dir viele Gedanken gemacht und sie vielfältig und eindrucksvoll in Deinen Legebilder dargestellt, um eine Lösung der vielschichtigen Probleme zu finden, die ja auch Teil Deines Lebens sind, Gerda.
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Danke, Gisela. Das Thema ist ja sehr vierschichtig.
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Stimmt.
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