Bei unserer Wanderung kommen wir an dem Rundbau vorbei, der leer und geisterhaft eine Anhöhe über der Küste bewacht. Bisher kannte ich nur den ortsüblichen Klatsch über den „verrückten“ griechisch-amerikanischen Erbauer, und den erzählte ich dem kleinen Will.i, als er mich mit seinen Fragen löcherte (hier).
Kürzlich nun erfuhr ich von zwei Freundinnen, mit denen ich dieselbe Strecke wanderte, dass sie den Erbauer persönlich kannten und dass der Bau sehr schön gewesen sei. Hier hätten sie vor mehr als zwanzig Jahren die erste Berührung mit Tai Chi gehabt – die eine Freundin wurde später Tai Chi-Lehrerin. Den Ort habe er wegen des Namens der Region ausgewählt. ΑΒΙΑ (gesprochen: Avia) – er las es als A-BIA, wobei BIA = Gewalt Α = Un-, Nicht. Also Gewaltlosigkeit. Ein Ort der Gewaltlosigkeit oder der Nicht-Gewalt sollte es werden.
Wir durchstöbern das Untergeschoss, dessen Graffiti diverse nationale und lokale Fußballvereine anpreisen. Dora schleppt eine halb verrottete Broschüre an, und da sehe auch ich das Gebäude, wie es einmal war:
Der Bau heißt hier „NEW HUMANITY CENTRE“, und angekündigt wird die FIRST ANNUAL EUROPEAN WCPA-OPEN STRATEGY CONFERENCE für den September 2002. Das war das Jahr, als wir unser Haus bauten. Na so etwas. Ob sie wohl stattgefunden hat, diese erste jährliche Strategiekonferenz?
STRATEGIE-KONFERENZ – das klingt entschlossen und fast schon martialisch. Im Zentrum unter der schweren Betondecke bleibe ich stehen und töne ein bisschen: die Akustik ist grandios. Die Betondecke ist anscheinend nach exakten akustischen Anweisungen gegossen worden. Erstaunlich.
Am meisten aber interessiere ich mich für das Glas, das einst die Öffnungen zwischen den Säulen bedeckte und nun einen glitzernden Kranz auf der Umfassung des Unterbaus bildet – ein Ebenbild fast der glitzernden Fläche des Meeres.
Ich fische zwei Stücke heraus und lege sie nebeneinander: das eine wirkt wie der Schatten des anderen.
Ich halte sie gegen das Licht. Und da wird mir dann auch klar, worum es sich handelt. Ein Großteil der Scherben ist … fumée, also „geräuchert“ wie das Glas von Sonnenbrillen.
So war also dieser Möchtegern-Sonnentempel, in dem die Neue Menschheit ein Zentrum (oder die Menschheit ein Neues Zentrum?) haben sollte, und der nun als etwas unheimliche Graffiti-Ruine inmitten der blühenden bäuerlichen Landschaft steht, mit hellen und dunklen Gläsern ausgekleidet.
Gleich nebenan erstreckt sich eine Wiese mit Asphodelen – Blumen am Eingang des Hades. Ich lasse meinen dunklen Schatten auf die weißen lichtdurchstrahlten Blütensterne fallen. Und so ist auch hier für Ausgleich gesorgt. Kein Licht ohne Schatten, kein Schatten ohne Licht.
Schön und interessant. Dein Schatten aber auch. Ich sehe da oben ein kleines Gesicht zwischen den Blütensternen.
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ja, Gisela, das ist dann wohl mein Köpfchen.
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😊Nein, Deines gewiß nicht.
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Es gibt sie also doch – Hoffnung?
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aber klar! es liegt an jedem, ob er sie umarmen willl oder nicht. 🙂
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„willl“mit drei oder siebzehn l schreiben, fast egal…
Nachtgruß von Sonja
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Ja, Sonja, meine Tastatur hängt und klempt, da sind es manchmal auch 17 llllllllllllll hintereinander oder gar keins. Ich korrigiere ständig, aber oft entgeht mir was.
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Mir fällt immer wieder auf, dass in südlichen Ländern solche Ruinen noch eine lange Zeit lang so bleiben dürfen. Bei uns hätte der Ordnungsgeist sie längst hinweggefegt.
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Stimmt. Bei uns können sie eine Ewigkeit stehen. Gut finde ich das nicht in allen Fällen. Die Akropolis – meinetwegen. ;).
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