Heute schlief Will-i länger als sonst. Zu viele „Zum-ersten-Mal“-Erlebnisse waren gestern auf ihn eingeprasselt, als wir, wie vor zehn Tagen versprochen, den bei Kalamata mündenden Fluss Nedontas dort besuchten, wo er frisch und wasserreich ist. Freundin Magda chauffierte.
„Was hat dir denn gestern am besten gefallen?“, frage ich Will.i – inzwischen etwa fünf Jahre alt – , als er endlich aufwacht und gähnend am Frühstückstisch erscheint. „Der Esel“, platzt er sofort heraus. „Der hatte eine sooo weiche Nase.“
Ich freu mich still und heimlich, dass dieses Technik- und Nützlichkeit-besessene Kind ausgerechnet einen völlig überflüssigen Esel, der uns auf der Straße begegnete, allen anderen Erlebnissen vorzieht. Der Esel steckte, als wir anhielten, um einen Bekannten zu begrüßen, der da oben eine Ölmühle betreibt, seinen dicken Kopf fast zum Autofenster hinein.
„Und was sonst?“ frage ich in froher Erwartung. „Die Männer mit den gelben Westen, die den Autoreifen gewechselt haben“. Aha, ja, sowas hatte Will.i zuvor auch noch nicht erlebt: ein geplatzter Reifen mitten im JWD (Janz weit draußen), und siehe da, wenn die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten: Zwei Arbeiter, die Löcher in den Boden am Straßenrand gebohrt hatten, in denen Netze verankert werden, die das Gerölll der häufigen Steinschläge auffangen, hockten sich hin und wechselten den kaputten Reifen. Und Will.i konnte zuschauen, wie der eine den dicken Schraubenschlüssel mit dem Fuß traktierte, um die Schrauben des Rades zu lockern. Wa-Rumm, wa-rumm. „Warum könnt ihr das nicht? Ich will das lernen!“
„Und gab es sonst nichts, was dich beeindruckt hat?“ „Doch, das Schweinchen. Das war so einsam“. Das Schweinchen fanden wir in einem provisorischen Stall auf einer Wiese am Fluss. Es begrüßte uns lebhaft quietschend und drängte uns seine Schnauze durchs Gitter entgegen. Es schnitt uns ins Herz. So lieb und nett war es, und so allein in seinem Gehege, fern von jeder menschlichen Behausung. An einem Baum hingen Tüten, daneben war ein ebenfalls provisorischer Unterstand gezimmert. Man sah auch Traktorspuren im Schlamm. Offenbar kam der Besitzer des Schweinchens dann und wann und fütterte es. Wir mussten an uns halten, um es nicht zu befreien. Nun können wir uns nicht von der Erinnerung befreien, die all die schönen Tageseindrücke mit einem Gefühl der Trauer durchtränkt.
Und es waren schöne Eindrücke! Das Wasser rauschte, quirlte und sprudelte, strömte von den Abhängen, vereinigte sich und floss unter den kunstvoll geschichteten Bögen einer uralten Steinbrücke hindurch. Der Wald war von früheren Bränden geschwächt, die abgestorbenen Platanen bis in Himmelshöhen mit Efeu überwuchert. An den Hängen blühte die wilde Iris, ihre feinen Blüten waren in der frostigen Atmosphäre erschlafft.
- Zufluss des Nedontas
- abgestorben und überwuchert
- der Unterstand des Schweinehirten
- Taygetos in Messinien
Was aber sind all die Naturerlebnisse wert, wenn man sich nicht hinterher in eine Taverne setzen kann, in dessen großem Gemeinschaftsraum sich die Wanderer an den Holzöfen wärmen und kräftige Mahlzeiten zu sich nehmen? (kein Schwein, bitte!). Das geht nicht in Zeiten des Lock-down? O doch, hier geht es, und merkwürdig, alle Wanderer scheinen gewusst zu haben, dass der X in Y offen hat. Fotos machte ich nicht. Es ist nicht klug, schlafende Hunde zu wecken.
Aha, Du hattest Will-i doch mitgenommen zum großen Ausflug. Ich bin beruhigt, daß das technikbegeisterte Kind den Esel und das einsame Schweinchen gleich ins Herz schloß.
LikeGefällt 1 Person
Ja, ehrlich, Hella, es hat mich auch sehr beruhigt. Er ist doch ein ganz normales Kind. Dass er lernen will, Reifen zu wechseln, finde ich auch sehr ok. Wieso kann ich das nicht?
LikeGefällt 1 Person
Ich konnte es, habe es abgegeben
LikeLike
Wer wohl neben Dir (mit Wanderstock) den Schatten wirft? Will-i war’s sicher nicht. Schöne Bilder und auch traurige. Dein Will-i hat ja nun tatsächlich ein Eigenleben, so daß es nicht nur ausgedachte Geschichten zu sein scheinen.
LikeGefällt 2 Personen
Ich dachte schon, dass es Will.i ist, der den zweiten Schatten wirft 😉
LikeLike
Du dachtest schon… Nun ja, er war’s jedenfalls nicht.
LikeGefällt 1 Person
Gewiss, wer sonst?
LikeGefällt 1 Person
Ihr habt wohl keine Ausgangsbegrenzungen und müsst keine 15 km Bannkreise einhalten?
LikeGefällt 1 Person
Doch, haben wir alles, sogar noch strenger als bei euch. Und die Strafen, wenn man kontrolliert wird, sind hoch (300E, wenn du ohne SMS und Genehmigung unterwegs bist. Für Tavernen wird es echt teuer) Aber die Menschen gehen anders mit staatlichen Anweisungen um 😉 Trotzdem haben wir die niedrigsten Fallzahlen in ganz Europa.
LikeGefällt 2 Personen
Respekt!
LikeGefällt 2 Personen
Trotzdem- oder deswegen 😉 …?
LikeGefällt 2 Personen