Jürgens Schnipsel sind da! Erste Annäherung

Jürgen Küster, vom Bucholov Blog, hat mir die Überbleibsel seiner Scherenschnitte geschickt. Der Umschlag DINA4 kam heute mit der Post, an der Seite klaffte eine große Öffnung. Doch der Inhalt war intakt:

Der Freude folgte die Spannung. Was das wohl für Schnipsel sind? Ich schütte sie auf eine weiße Unterlage im Format 70 x 100 cm, aber es sind zu viele, um mir einen Überblick zu schaffen (Bild 1) Also häufe ich einen Teil aufs Sofa (Bild 2) und breite den Rest vor mir aus (Bild 3), aber immer noch erschlägt mich die Fülle, und ich reduziere weiter (Bild 4)

Sogleich ist mir klar: das wird schwierig. Dies Material ist vollkommen anders als das von Susanne Haun.

Susannes Teil

Susanne hatte eines ihrer Bilder willkürlich zerschnitten. So waren – bis auf eine große Spirale – geometrische Teile mittlerer Größe entstanden, die als solche „neutrales“ Baumaterial für meine Bildwelten sein konnten, wenngleich sie natürlich Susannes Energie in Farbe und Form trugen.

Jürgens Material aber?  Wenn ihr bei Jürgen schaut, zB unter https://juergenkuester.net/2018/01/02/was-macht-man-damit/ oder unter dem Stichwort  „Scherenschnitt“, dann bekommt ihr einen Eindruck von den Teilen, die er mir geschickt hat: es sind die Negativformen, die bei Jürgens Schneiden übrig blieben. Sie sind abgeleitet von seinem künstlerischen Wollen. Große, winzige, schwarze, farbige, gemischte, unregelmäßig geschnittene, bedeutende, skurile Reste, unbewusste Überbleibsel eines bewussten Tuns halte ich in der Hand.

Ich nehme ein Teil aus der Masse heraus, betrachte es genauer:  Schnitte, Einschnitte, auch Reißstellen. Und Teil eines aufgeklebten Bildes von Hieronymus Bosch, so meine ich zu erkennen. Jürgen hat mir erzählt: das Material stammt ursprünglich vom inzwischen verstorbenen Künstler Peter Maschke. Jürgen schrieb mir dazu: „Die Papiere, die ich fuer die Scherenschnitte verwendet habe, waren von ihm schwarz übermalt und mit farbigen Kopien beklebt worden. Handschriftliche Textstellen aus diversen Büchern  waren eingefügt. Sie lagen jahrelang in seiner Materialecke und warteten auf irgendetwas. Aber was?“ So viel Wollen, so viel Geschichte steckt in diesen Schnipseln. Wie werde ich damit umgehen können?

Meine erste Reaktion ist: ich muss die Geschichte unkenntlich machen, vielleicht sogar ganz auslöschen, um eigenes daraus zu formen. Ich versuche es auf einer quadratischen grauen Fläche 50 x 50 cm mit ein paar willkürlich herausgegriffenen Teilen, die ich dicht zusammen, teilweise auch übereinander lege. Aber überall spritzt mir Bildhaftes entgegen, das sich nicht integrieren, sondern seine eigene Stimme behalten, seine eigene Geschichte erzählen will.

In einem zweiten Anlauf stülpe ich meine eigene Bildwelt über das Eigenleben der Teile, ich zwinge sie, eine kleine untergeordnete Rolle in meiner Geschichte zu spielen. Und ja, so wird es gehen. So kann ich sie zähmen.

Aber etwas Unbefriedigendes bleibt. Die Teile sind zu schön, zu ausdrucksstark, zu geladen mit ihrer eigenen Geschichte, als dass ich sie einfach so unter meine Absichten unterordnen möchte. Ich muss einen mittleren Weg finden, in dem jedes Teil wichtig bleibt und sich dennoch meinem persönlichen Ausdruckswillen fügt.

Fortsetzung folgt.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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27 Antworten zu Jürgens Schnipsel sind da! Erste Annäherung

  1. kunstschaffende schreibt:

    Ich finde Dein erstes Bild sehr ausdrucksvoll und es gefällt mir sehr gut!
    Susannes Schnipsel sind verspielt und voller Fröhlichkeit!

    Was ich jetzt von Jürgen sehe, ist eher ernsthaft, dominierend und ein bißchen bedrückend!

    Ich bin sehr gespannt was noch folgt!

    Liebe Grüße Babsi

    Gefällt 2 Personen

  2. christahartwig schreibt:

    Eine wirkliche Herausforderung. In Deinem ersten Entwurf, den Du als „übergestülpt“ bezeichnest, sehe ich zwei Figuren, die sich zu streiten scheinen, eine weitere, die dem Streit den Rücken kehrt, und im Hintergrund eine, die ebenfalls das Weite sucht. Das ist doch ein recht guter Ansatz für Schnipsel, die nichts miteinander zu tun haben möchten, weil sie von sich selbst überzeugt sind. Auch ich bin sehr gespannt auf die fertige Arbeit.

    Gefällt 2 Personen

  3. Ulli schreibt:

    Liebe Gerda, ja wahrlich spannend und herausfordernd und so sehe ich aus das letzte Bild, hier wird kommuniziert, sogar mit erhobenem Zeigefinger, der/die andere bleibt standhaft, hört vielleicht einfach zu, um dann ihrs daraus zu machen, aber mit enem Schritt auf den anderen zu … das zweite Paar ist für mich noch rätselhaft, der erste Eindruck war, dass hier jemand eine Katze hält oder hält die Katze sie, wie gesagt noch rätselhaft.
    Klar, ich bin auch gespannt wie es weitergeht und wenn ich zu dir komme, bringe ich dir eine Tüte Schnipsel mit, ich habe so viele Fotografien, die auf eine Schere warten…
    Herzensgrüße an dich und frohes Kreieren, Ulli

    Gefällt 2 Personen

    • gkazakou schreibt:

      Fotos? Ich weiß nicht, Ulli, Papier oder Pappe wäre mir lieber….
      Die Arbeit mit diesen ausgeprägten Formen fällt mir noch schwer. Ich habe eben weiter probiert und nun einen krummen Rücken. denn wegen der Größe der Schnipsel habe ich mich zu einem großen Format (70 x 100) entschlossen. Aber wer weiß….

      Gefällt 3 Personen

  4. Susanne Haun schreibt:

    Liebe Gerda,
    ja, das kenne ich! Jürgen überfährt einen manchmal ganz schön. Das muss man erstmal können. Wir beide fahren konstant und ruhig mit bedacht, Jürgen macht einfach. Für mich ist das immer gut, da ich so auf neue Wege komme, die ich von alleine nicht gegangen wäre. Und du hast ja schon begonnen, die Schnipsel zu bewältigen und sie anzueignen. !!! Ich freue mich auf die Fortsetzung.
    Liebe Grüße sendet dir Susanne

    Gefällt 3 Personen

  5. Marina schreibt:

    Das versetzt mich zurück in meine Kindheit – da habe ich auch gerne mit Schnipseln gewerkelt – schade, dass ich es nicht weiterverfolgt habe. Ich finde deine Werke wunderschön. Wünsch Dir viele kreative Einfälle mit den neuen Schnipseln 🙂

    Gefällt 1 Person

  6. juergenkuester schreibt:

    Liebe Gerda!
    Ich bin froh, dass die Schnipsel nun endlich bei Dir angekommen sind.
    Und warte erst einmal ab, was sich da so entwickeln wird, auch bei den Kommentaren, und lasse mal sacken.
    Ich bin voller Zuversicht, bei Deiner Routine im Umgang mit schwierigem und gewichtigem Material, dass Du zu überzeugenden Ergebnissen kommen wirst. Viel Spaß, Liebe Grüße
    Juergen

    Gefällt 2 Personen

  7. Elke H. Speidel schreibt:

    Alles andere als einfach, das Ganze!

    Gefällt 1 Person

  8. www.wortbehagen.de schreibt:

    spannend, sehr spannend! Nein, bedrückend sind die Schnipsel von Jürgen nicht, nur wieder sehr anders als alle, die Dir bisher vorlagen. Liebe Gerda, ich sehe das letzte Bild an, konzentriere mich auf die Figur in der Mitte und beginne sie zu lieben, so zauberhaft schön ist sie geworden, als wolle sie eine Hauptfigur sein in einer Geschichte, die sich zu entwickeln beginnt.
    Aber vermutlich hast Du schon wieder an ganz anderen Ideen gearbeitet *g*

    Gefällt 1 Person

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