Was ist der Mensch? Das Thema grassiert, ich sah es in diversen Blogs und, ja, auch in meinem eigenen, gestern, streunte ich um dieses Thema herum („Unterwegs zur menschlichen Gestalt“). Und so machte ich mich auf nach Theben, der Sphinx einen Besuch abzustatten.

Ödipus antwortet der Sphinx (c) gerda kazakou
Vor mir war schon Ödipus dort gewesen. Er löste das Rätsel der Sphinx, heißt es, und sie stürzte sich, darob verzweifelt, in den Abgrund. Aber siehe da: Als ich vor einem der sieben Tore von Theben um mich schaute, saß sie wie seit Alters her auf ihrem Felsen, bereit, jeden Wanderer zu erwürgen*, der auf ihre Rätselfrage keine Antwort wüsste.
Und wie lautete diese Frage? τί ἐστιν ὃ μίαν ἔχον φωνὴν τετράπουν καὶ δίπουν καὶ τρίπουν γίνεται. Auf deutsch: „Wer ist das, der eine Stimme hat und vierbeinig, zweibeinig und dreibeinig wird?“ Dem Ödipus ging die Antwort im Traum auf, wir aber kennen sie aus dem Schulunterricht oder sonstiger Bildungsanstalt. Es ist der Mensch. So einfach beantwortet sich die Frage: Was ist der Mensch? Erst kriecht er auf allen Vieren, dann steht er wacker auf zwei Beinen und schließlich braucht er einen Krückstock, um sich fortzubewegen. (Ihr seht die drei Stadien auf dem Bild oben). Und ist doch immer derselbe: er hat „eine Stimme“, brabbelt, redet, schreit, brüllt, flüstert. Eine Stimme kommt aus seinem Inneren, mit dieser Stimme versucht er sich auszudrücken, Mitleid zu erregen, Befehle zu geben, Wünsche zu äußern, Gefühle zu benennen. Durch die Stimme ist er mit Logos – dem Wort, dem Denken, dem göttlichen Prinzip verbunden.
Wissen wir nun aber, was der Mensch ist, nachdem wir ihn definiert haben? Oder hat sich die Frage nur verschoben?
Ödipus wurde, weil er die Antwort wusste, zum König gekürt. Wie das? Eben hatte er einen älteren Mann erschlagen, in einem Hohlweg. Sie hatten sich gestritten: Wer muss dem anderen Platz machen? Ödipus war ortsfremd, aber jünger und stärker. Er zog sein Schwert und löste das Thema zu seinen Gunsten.
In Theben traf er auf eine Königin, Iokaste, die grad ihren Mann verloren hatte. Ein Fremdling hatte ihn in einem Hohlweg erschlagen. Ihr Bruder Kreon herrschte als Regent. Er gab Iokaste dem Helden zur Frau, der die Stadt von der Sphinx befreit hatte. Und so wurde er König. Die beiden hatten vier Kinder: Antigone und Ismene und die Zwillingsbrüder Eteokles und Polyneikes, die später gegeneinander Krieg führten und sich gegenseitig erschlugen.
Als Jahre später Theben von der Pest heimgesucht wurde, kam das alte Verbrechen an die Oberfläche. Ödipus selbst hatte die Aufklärung in Gang gesetzt, nicht ahnend, dass er der Übeltäter war. Als er die Wahrheit erfuhr, stach er sich die Augen aus. Denn diese hatten das Offensichtliche nicht gesehen: dass er seinen Vater ermordet und seine Mutter geheiratet hatte.
Ein blinder Alter war er nun, auf der Flucht vor sich selbst. Eine Tochter führte ihn. In Kolonos fand er schließlich Ruhe.
Wunderschön, Gerda…Deine Bilder führen einen durch den Mythos. Danke.
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Immer gern, Nadia 🙂
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15 Buchstaben werfen viele Gedanken auf. Die Antwort dürfte länger sein.
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Es ist und bleibt eine grosse Frage, ich las einen Satz: „… man wird, was man sich wünscht! Was denn sonst? Man wird, was man fürchtet, beides, Shiva tanzt.“ (Sabine Friedrich in ihrem Buch Nachthaut- demnächst mehr dazu bei mir)- muss nicht jede und jeder erst noch Mensch werden?
Liebe Gerda, dass ich deine Bilder mag, muss ich nicht immer wieder sagen, aber ich will sagen, dass ich das vorletzte ganz besonders grossartig in dieser Reihe finde.
Herzlichst
Ulli
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Und ich muss dir nicht sagen, liebe Ulli, wie sehr ich deine Kommentare schätze 🙂
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Danke Gerda, tut gerade gut, habe seit langem ein Schwimmgefühl in mir, ob ich überhaupt noch kommentieren soll.
Bluesgrüsse
Ulli
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Erst gestern abend las ich von Ödipus und der ganzen verflixten Geschichte…
Hätte er den vornehmen Herrn mit seinem Gefolge nicht erst erschlagen und es dann als kleinen
Zwischenfall schlicht und ergreifend vergessen, wäre es zu verstehen gewesen, was ihm da geschah.
Tja, was ist der Mensch? Ein übles Tier, das erschlägt, was ihm im Wege steht? Und wieso gibt es die anderen, die harmlos sind und aus diesem Grunde *gefressen* werden?
Deine Legebilder sind wieder wundervoll und gehen durch diese dramatische Handlung hindurch, ohne irgend eine Art von Schaden zu nehmen
Lieber Gruß von mir
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Tja, liebe Bruni, du hast den Finger auf den wunden Punkt gelegt. da treffen sich zwei Herren mit Gefolge im Hohlweg, jeder meint, er sei der wichtigere, also muss einer den anderen totschlagen, um Platz zu schaffen. Die Folge ist, dass eine Menge Karma ausgeglichen werden muss . Ödipus hat immerhin Glück im Unglück: der Ausgleich geschieht noch zu seinen Lebzeiten. 😉
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mir schien es wie Unglück im Unglück, liebe Gerda
und diese ewige Totschlagerei von Anbeginn an, die ist doch nicht *normal*, wenn ich das komische Wörtchen *normal* gebrauchen darf (sicher bin ich da ganz und gar nicht)
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du hast leider recht, liebe Bruni, das sich Gegenseitig-Totschlagen als fast normal zu bezeichnen. Kain und Abel haben damit angefangen, und seither grassiert es. Seither wird totgeschlagen, was geboren wurde, wobald sich dafür ein Anlass bietet. Nicht, dass ich nun den beiden Brüdern die ganze Schuld aufbürden möchte…. 😉
ich habe übrigens kürzlich was Interessantes dazu gelernt: das Wort „Selbstmord“ (gr autoktonia) wurde erstmals von Aischilos verwendet, als er beschrieb, wie die beiden Söhne des Ödipus sich gegenseitig totschlugen in einer Schlacht um die Thronfolge in Theben. Du kannst das in dem Drama „Antigone“ finden. Selbst-Mord ist der wechselseitige Brudermord. Ich erfuhr da auch, dass adelphos (Bruder) abgeleitet ist von einem Wort delphy, was Gebärmutter bedeutet…
Nun, das sind so meine kleinen etymologischen Interessen ….Liebe Grüße dir! Wie geht es der Gesundheit?????
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Wieso: Das gegenseitige Totschlagen? Kain erschlug seinen Bruder Abel. Da war Abel also tot und konnte seinen Bruder nicht mehr erschlagen.😕
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gegenseitig haben sich die Brüder der Antigone (Söhne des Ödipus) erschlagen.
Kain war der erste Brudermörder, einer in einer langen Reihe. Ob Abel sich gewehrt hätte, wenn er eine Chance dazu gehabt hätte? Unmöglich zu beantworten.
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Ganz wundervoll, Deine Erklärungen, liebe Gerda.
Mir geht es besser, aber lange noch entfernt von dem, was ich eigentlich bin…
Ich bin schon froh um das Jetzt
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da bin ich mit dir froh, liebe Bruni, und hoffe, du machst bald weitere Fortschritte. Allerliebste Grüße!
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Die sende ich Dir jetzt auch, liebe Gerda!
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Gerda, die Geschichten sind gruselig.( Jetzt verstehe ich, warum ich im mündl. Abi die Fragen der Prüfer zu „Anthigone“ nicht beantworten konnte und durchfiel).Ich glaube, auch heute würde mir nichts dazu einfallen. Aber Deine Bilder sind unglaublich gut!! Wie hast Du es denn z.B. gemacht, sie einmal metallisch-plastisch erscheinen zu lassen?
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Ganz oben ist die Original-Legearbeit. Die anderen Varianten sind mithilfe von Fotoshop-Filtern entstanden, also am Computer.
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