Was macht eine Autorin, wenn sie nicht mehr weiter weiß? Sie hofft auf Einfälle ihrer LeserInnen. Und siehe da, Ulli eilte mit einer Geschichte zu Hilfe, die im fernen Tibet spielt: Ein gottesfürchtiger Einsiedler namens Milarepa umarmt die furchterregenden Dämonen, die ihn belagern, und lädt sie ein, ihn zu fressen. Daraufhin verschwinden sie. Danke Ulli! – Ich wollte diesen Einfall schon beim Schwanze packen, da fiel mir ein: John hat ein Leben auf dem Gewissen. Da reicht es wohl nicht, sich den Dämonen (hierzulande nannte man sie Erynnien) zum Fraß anzubieten. Er muss durch die Erkenntnis seiner Tat hindurch.
Als Ulli ob meiner Einwände resignierte, meldete sich Bruni zu Wort. Ihr Vorschlag: Der Übeltäter ertränkt die Dämonen in Farbe, um sie anschließend zu retten. Der therapeutische Trick: Der Bösewicht kommt in eine Situation, in der er sich zum guten Menschen wandeln kann. (All das könnt ihr nachlesen in den Kommentaren zu https://gerdakazakou.com/2016/04/20/geschichtengenerator-john-der-maler/).
So mit frischen Einfällen gewappnet, traue ich mich heute an eine Fortsetzung der John-Geschichte. Allerdings: Von Emmas kunsttherapeutischen Einfällen erwarte ich nicht viel, ergo entfällt Brunis Vorschlag. Auch ein indischer Weiser ist John mit Sicherheit nicht. Tut mir leid, Ulli! Ihr verzeiht mir, wenn ich stattdessen einen alten griechischen Trick anwende und ein Orakel befrage, nicht wahr?
Gesagt getan. Und so schicke ich John heute auf eine psychedelische Reise* nach Delphi.
He, John, ich habe Delphi gesagt, nicht Theben! Doch John hört schon nicht mehr auf mich. Er strebt schnurstracks zum Felsen, auf dem einst die Sphinx hockte. Ihr erinnert euch? Ödipus hatte grad seinen Vater Laios erschlagen und kam an der Sphinx vorbei, die Theben mit ihrem Rätsel in Angst und Schrecken versetzte. Ödipus löste das Rätsel, die Sphinx stürzte sich zu Tode. So konnte das Verhängnis seinen Lauf nehmen, das die Pythia von Delphi (also doch Delphi!) dem Laios geweissagt hatte: „Dein Sohn wird dich erschlagen und deine Frau, seine Mutter, heiraten“. Um das zu verhindern, befahl Laios, den neugeborenen Sohn zu töten, aber der gute Jäger brachte es nicht über sich. Und so lebte Ödipus zu seinem und seiner Eltern Verderben. Gut für Freud und die Psychoanalyse! Der Odipus-Komplex hatte seinen Mythos gefunden.
https://gerdakazakou.com/2016/01/20/was-ist-der-mensch/
Ob John all das bewusst ist, als er nach Theben eilt? Ich weiß es nicht. Jedenfalls nimmt er seine Palette und baut daraus flugs einen Dreifuß, entzündet auch ein paar duftende Kräuter – und schon erscheint die Sphinx vor ihm. Welche Sphinx? Die ist doch schon vor Jahrtausenden in den Abgrund gestürzt. Die Sphinx, die John vor sich sieht, ist – Luise.
In der nächsten Folge werden wir, hoffentlich, dem Dialog zwischen den beiden lauschen dürfen und erfahren, wie sie den Streit zwischen sich beizulegen wünschen.*psychedelisch ist, wie könnte es anders sein, ein aus dem Griechischen abgeleiteter Fachbegriff. Eine ungefähre Übersetzung ist „die sich offenbarende Seele“. In der Psychiatrie versprach man sich von der Wirkung von Drogen, insbesondere von LSD, einen Aufschluss über seelische Probleme und deren positive Beeinflussung. LSD wird auch heute noch in der Psychiatrie verwendet. Die wirkende Substanz von LSD gleicht chemisch der von Mutterkorn, das im Altertum bei den Eleusischen Mysterien in einem Getränk, dem Kykeon, gereicht wurde. Genauer: Es wurde eine Mischung aus Gerstensaft und Minze gereicht. Die Gerste war oft von Mutterkorn befallen. (Daher, so spekuliere ich, stammt auch der Name „Mutterkorn“ – Demeter, der die Mysterien geweiht waren, war Mutter- und Getreidegöttin, „Kornmutter“. ).
Guten Morgen Gerda, ich habe gerade erst deinen Kommentar auf meinen gelesen (irgendwie klappt es nicht mit den Infos zwischen unseren beiden Blogs, zu dumm aber auch!), nun ist nix mehr mit anstrengen, dafür hast du es getan, hoffentlich hat John jetzt nicht einen Horrortrip, na wir werden es ja lesen. Das erste Bild zeigt das Gekreisel in sich und um sich selbst ganz wunderbar!
herzlichst Ulli
LikeLike
Wow, welch tolle Einblicke und Erkenntnisse. Sind wir so mit unserem Leben beschäftigt, dass wir Drogen brauchen um unsere Seele zu hören oder zu fühlen?
LikeLike
Mir scheint nicht, dass ein Zuviel an Beschäftigung mit unserem Leben schuld ist, dass unsere Seele uns so unbekannt ist. Vielleicht ist die Fehlleitung unseres Denkens, das Starren auf die Außenseite unseres Daseins schuld (ich kanns nicht besser ausdrücken).
LikeGefällt 2 Personen
Ich verstehe was du meinst. Gut formuliert. Ich habe es oben schon versucht es banal zu formulieren, aber es ist schwer in Worte zu fassen. Die Seele spricht täglich zu uns, subtil, ich kann sie hören. Sie wird aber lauter, wenn ich sie ignoriere und dies möchte ich vermeiden, denn dies tut weh.
Grüne Grüße
Mion
LikeGefällt 1 Person
Pingback: Freitag, den 22. April 2016 | Kulturnews