Unter https://gerdakazakou.com/2016/11/30/apropos-documenta/ kommentierte Ulli: Dein Alphabet in diesem Zusammenhang, liebe Gerda, ist so wahr und real, wie traurig- schon denke ich über ein Gegenüber nach, eins, dass von mutigen Träumen gespeist wird. Das gefiel mir sehr, und so schlug ich vor: Du machst ein deutsches Alphabet zum mutigen Träumen und ich mache ein griechisches Alphabet zum freien Denken.
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Ein „griechisches Alphabet zum freien Denken“? Mut hat auch der kleinste Muck, ist einer meiner Lieblingssprüche. Also lass dich nicht einschüchtern von der Größe des Vorhabens, Gerda! Fang einfach mal an!!
Beginnen wir mit A – Alpha – Aleph. Aleph hieß der erste Buchstabe bei den Phöniziern. Aleph nannten die Phönizier den Stier, und so sah auch der Buchstabe aus: ein Stierkopf mit Hörnern. Die Hellenen stellten es entschlossen auf die Füße: A. Und da steht es bis heute, kein Stierkopf mehr, sondern ein Mann, ein Mensch.
(vergl. https://gerdakazakou.com/2015/07/16/die-rinder-des-helios/).
Auch die Aussprache änderte sich: aus dem Konsonanten HA (Hauch) wurde der reine Vokal A (Atem), aus dem träumerischen Eingebundensein in die Natur wurde der sich seiner Selbst bewusste Mensch. Aus dem Zeitalter des Stieres (ca 4000-2000 vor Christus) kommen wir herauf ins Zeitalter des Menschen, des ΑΝΘΡΩΠΟΣ (Anthropos).
ΑΝΘΡΩΠΟΣ (Mensch) sei mein erstes Wort im „Alphabet des freien Denkens“. Denn nur der Mensch ist zum freien Denken befähigt. Oder etwa nicht?
Was ist der Mensch? Die Antwort wusste Ödipus, und die Sphinx stürzte sich in den Abgrund. https://gerdakazakou.com /2016/01/20/was-ist-der-mensch/
Viel wurde spekuliert darüber, was ΑΝΘΡΩΠΟΣ (Anthropos) bedeutet. Ich darf ein wenig mitspekulieren:
ANTI bedeutet „gegen“. Du kennst es von Antwort, aber auch von Antipathie, Antibiotika. Das T wird zum stimmlosen Reibelaut Θ (zu sprechen wie thank you). Θ ist das Zeichen für das Göttliche. ΘΕΟΣ (Theos) = Gott. Du findest es in Theologie, Theophanie, Theosophie, und auch in Theodor und Dorothea. Dieses Θ nimmt aber auch die Bedeutung von Schauen an (Θεατρο = Theater, θεαμα = Show, Θεα = Sicht, Aussicht).
ΑΝΘ (anth) bedeutet mithin : „Gegenüber dem erschauten Göttlichen“.
Θ trifft auf Ρ – das hört sich ungefähr an wie das englische thr in thriller. Sprich es mal laut vor dich hin: ein stimmloses englisches Zischen zwischen den Zähnen (Th) und ein zungenrollenden vibrierendes spanisches R. Das göttlichen Θ (Thron) geht über ins sprudelnden, strömenden ΡΟΗ (Roi = Strom, Fluss, Flux). Mit diesem ΘΡ (thr) beginnt das Wort Θρισκία (Thriskia = Religion). Ergo: Wo menschliches Wollen und göttliches Sein aufeinander treffen, entsteht eine Reibung ΘΡ thr – Thriskia, Religion.
Nun bleibt uns noch das ΩΠΟΣ am Ende von ΑΝΘΡΩΠΟΣ. In diesem opos steckt als Wurzel altgriechisch „sehen“. Du kennst es von Optik, vielleicht auch von Op-Art. Und wieso kann der Mensch sehen? Weil er im Auge eine ΟΠΗ (Opi) hat, eine enge Öffnung, ein rundes Loch: die Pupille. (Vasarely, Vertreter der Op-Art) Durch die kleine Öffnung im Auge guckt der Mensch hinaus – hinauf – hin zu dem erschauten Göttlichen, das ihm entgegenströmt. So also ist das Wort ΑΝΘΡΟΠΟΣ zu verstehen.
In allen religiösen Darstellungen wirst du das finden: dies Aufblicken zum göttlichen Θ (Thron) – diese P (roϊ ) = Strömen zwischen oben und unten. Ecce homo. Sieh da, der Mensch. Aber der moderne Mensch fühlt dies kaum noch. Er sucht die Quelle seines Seins in sich selbst. Wie Prometheus, der den Menschen nach der großen Flut noch einmal schuf. Wer half mir / Wider der Titanen Übermut? / Wer rettete vom Tode mich, / Von Sklaverei? / Hast du’s nicht alles selbst vollendet, / Heilig glühend Herz? (J.W.Goethe, Prometheus)
Und so sind auch meine Menschenbilder: Skizzen von heutigen Menschen, drei zufällig herausgegriffene aus einer sehr großen Zahl, vor vielen Jahren entstanden und jetzt für dich fotografiert.

A wie ΑΝΘΡΩΠΟΣ
Liebe Gerda,
dein Artikel ist sehr inspirierend und bildend, ich habe mir ein Sternchen herangesetzt, um auf ihn zurückkommen zu können.
Liebe Grüße von Susanne
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Herzlichen dank für diesen Zuspruch, liebe Susanne! Ich hatte befürchtet, das Ganze sei, trotz meiner Bemühung um Leichtigkeit, zu wissenslastig geworden.
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Das ist nicht schlimm Gerda. Genau das gefällt mir.
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Liebe Gerda! Das ist der Start von einem vielversprechenden Vorhaben. Ich habe Deinen Beitrag als Frühstückslektüre genossen und werde ihn wohl heute noch einmal lesen. Und habe mal wider einiges zum Vorhandenen dazugelernt.
Liebe Grüße Juergen
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ganz herzlichen Dank, lieber Jürgen, ich freu mich ganz besonders über deinen Zusproch. Liebe Grüße Gerda
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Liebe Gerda, nun staune ich doch sehr, was du aus unserem Vorhaben gemacht hast, da fühlt sich meins dagegen gerade eben ganz popelig an, jaja ich weiss, ich soll nicht vergleichen!
Eine wunderbare Lernzeit habe ich jetzt bei dir verbracht und vielleicht, aber nur vielleicht überdenke ich meine Antwort dahingehend noch einmal. Und doch, es ist die Zeit, die mir gerade fehlt, noch hocke ich an den Rückblicken und am 21.12. gehe ich, wie jedes Jahr, bis Anfang Januar in eine Blogpause- naja, es läuft uns ja nix weg, nicht wahr?!
herzliche Grüsse vom blauen Berg
Ulli
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Liebe Ulli, ich finde es ganz wundervoll, dass wir ohne Absprache zeitgleich gebloggt haben und so jede von uns ihre Eigenart ohne Vergleichen einbringen konnte. Deins sind Weltgedanken, ja. Und mein Alphabet ist natürlich auch nicht nur für Deutsche.
Die Sprache ists, die grad den Wechselstrom zwischen dem Griechischen und dem Deutschen zwischen uns laufen lässt und, so hoffe ich, ein paar kleine Lämpchen aufleuchten lässt und beiträgt zur weihnachtlichen Festbeleuchtung. Manche Lämpchen glühen nur kurz auf, andere senden ihr Licht immer und immer. Von deinen sind es Yin und Yang – der ewige Ausgleich zwischen den Gegensätzen -, Mitgefühl, Güte und Zuversicht, die einen sanften Schein verbreiten und nie verlöschen.
ich werde diesen Kommentar auch bei dir posten.
Dieser Austausch macht mich froh. Und froh macht mich der schöne Tag und der Garten, den junge Menschen im Rahmen eines Ausbildungsprojektes anlegen, den ich eben besuchte und über den ich berichten werde
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Dies schrieb ich gerade als Antwort an dich bei mir und nun mache ich das dann auch noch bei dir:
Liebe Gerda, wie wohl mir gerade dein Kommentar tut! Anstatt mal wieder miesepetrig mich zu vergleichen und mich klein zu machen, könnte ich ja und das werde ich auch, deins aufnehmen und dazu wiederum meins machen. Dein Artikel von heute war dann letztlich eine feine Inspriration, die nun schon ihre ersten Kreise in mir drehen, zeit hin, Zeit her, rundeherum das ist nicht schwer …
Auch hier ist wieder ein blauer, milder Tag und wenn ich jetzt nicht weiterhin miesepetrig unterwegs sein will, dann ziehe ich mich jetzt mal an und lasse die Füsse laufen …
ich grüsse dich mit Dank für deins sehr herzlich
Ulli
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…mit Interesse gelesen…Du hast Dir viel Mühe gemacht, es so zusammenzustellen…und mit Bewunderung Deine Zeichnungen angeschaut…
…ich denke, die Quelle des Göttlichen lässt sich auch in jedem Menschen finden, denn das Göttliche, fließt durch uns hindurch, da es sich (auch) durch uns ausdrückt…nur der Blick nach oben drückt Demut aus, die nicht jeder empfindet, der die Göttlichkeit in sich entdeckt…
liebe Grüße
TeggyTiggs
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Liebe TeggyTipps, herzlichen Dank für deine Gedanken. Der Blick nach oben drückt, meine ich, weit mehr als Demut aus (du siehst es in dem Blick des Christus von El Greco) – in jedem Fall aber ist Demut eine sehr schöne Haltung angesichts der Wunder der Schöpfung, die um uns und in uns und durch uns hindurch fließen. Liebe Grüße hinüber zu dir! Gerda
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Wie unterschiedlich, Deins, des feien Denken und Ullis Alphabet mit den wundervoll lebendigen lesenswerten Begriffen zu jedem Buchstaben.
Wie anders und wie gut jedes in seiner Besonderheit. Hier das, was das Denken erweitert, mich staunen läßt und fast atemlos lesen, weil es mich in eine Welt trägt, der ich voller Hochachtung hier begegne.
Ich danke Dir sehr, liebe Gerda, auch für den Vasarely mittendrin und Deine Erklärung für die menschliche Pupille.
Die mittlere Deiner älteren Zeichnungen ist so schön, so liebevoll und intensiv festgehalten, dass frau den jüngeren Mann genau vor sich sieht und seine legere entspannte Haltung erkennt
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das gefällt mir alles sehr, wie du es sagst – aber atemlos sollst du besser nicht sein, 🙂 Besonders gefällt mir, dass du die mittlere junge Frau für einen jungen Mann hältst. Ich habe nämlich nach einer Figur gesucht, die das Geschlecht in der Schwebe hält. Anthropos – Mensch – sollte ja trotz des männlichen Artikels für beide Geschlechter und für alle Varianten dazwischen Geltung haben.
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Das sollte es – wirklich, immer, und nie sollte es anders sein.
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Liebe Gerda,
Euer Alphabet des freien Denkens, des mutigen Träumens, Ulli und Du, Ihr habt da eine reiche Fundgrube zu den Buchstaben geschaffen. Ihr habt zuwege gebracht, dass ich mich sehr intensiv mit den Buchstaben, der Sprache, ihren Worten und Ausdrücken, den Klängen und Lauten beschäftigte. Du hast so einen wissenswerten Abriss über die Phonetik des A geschrieben und gleichzeitig noch einen geschichtshistorischen Überblick geliefert. Danke erst einmal für alles das.
Ich bin ein syn-ästetischer Mensch, will sagen, ich nehme Buchstaben in Farben wahr. Auch Zahlen und mit denen habe ich mich im vergangenen Jahr intensiv befasst. Das A ist mein knallroter Buchstabe im Alphabet. Er ist anarchisch, aggressiv und sehr offen und direkt. Er ist ein Ruf des Erstaunens und ein Schmerzlaut. Er ist der Anfang Allens. Der Beginn ist schon ein winziges Stückchen weiter als aller Anfang. Rot ist eine Primärfarbe. Das A nimmt im Alphabet einen häufigen Platz ein. Das fällt schon auf, nicht nur beim Anagramm, in dem es gleich dreimal hintereinander vorkommt. Dreimal feuerrot und der Mund steht offen: Aaaaaah!
Nun besuche ich Dein B wie Beginn und das ist bei mir blau, in einem weichen, doch dabei auch kräftigen Blau. Ein sehr weiblicher Buchstabe mit seinen beiden Busenbäuchen nach rechts rüber.
Du siehst schon, ich will weiter….
Liebe Grüße von der Karfunkelfee
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Das habe ich sehr gern gelesen, liebe Fee. Buchstarben – Farben! 24 brauchst du, da wirst du vieles Gebrochenes assoziieren müssen. Ich bin gespannt!
Ich verstehe, dass du für A das Feuerrot assoziierst, aber Blau für B? das Blau und das Gelb, die beiden anderen Grundfarben, gehören die nicht auch zu Vokalen? es sei denn, du hättest bei B ein bestimmtes Blau im Sinn, zB taubenblau oder ultramarin oder coelio.. ach, das ist spannend, allein diese Farbbezeichnungen sind so kostbar! Danke für diese Anregung! ich hoffe, du machst weiter ….
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