Darf man die Sonneninsel zum Schlachthaus machen? Die Gefährten von Odysseus tun es, kaum dreht er ihnen den Rücken. Sie haben Hunger, und sie wollen ihn stillen.
Natürlich wissen sie, dass sie ein strenges Gebot übertreten: Es steht am Himmel geschrieben, dieses Gebot, gleich neben dem Symbol des Gottes. Außerdem waren sie gewarnt von der Zauberin Zirze (die sie schon mal in Schweine verwandelt hatte) und vom Seher Teresias (der extra deshalb von den Toten heraufstieg) . Sie können sich also nicht aufs Nichtwissen hinausreden. Wenn ihr mich fragt: Sie haben einfach ein unterentwickeltes Deferred Gratification Pattern*. Warten können, liebe Leute, die unmittelbare Befriedigung aufschieben, um später eine umso größere Belohnung zu erhalten – hat euch das eure Mutter nicht beigebracht?
Ihre Strafe wird sein: der Untergang. Wissen sie das auch? Theoretisch ja. Aber sie versuchen, den Gott auszutricksen, indem sie ihm Teile des Schlachtviehs opfern. Natürlich vergebens. Mit Göttern kannst du nicht so herumspielen.
Helios beklagt sich bei Zeus. Er droht, künftig nur noch in der Unterwelt zu scheinen. Eine Mitternachtsonne zu werden. Zeus erschrickt. Seine schöne blaue leuchtende Welt der Griechen soll in schwarzer Finsternis versinken? Niemals! Da ist es allemal besser, diese Mannschaft zu opfern. Ein Blitz auf Hoher See, und die Sache ist erledigt. Odysseus darf überleben, denn er hat sich nicht am Frevel beteiligt. Noch einmal, angeklammert an den Mast seines zertrümmerten Schiffes, driftet er auf Skylla und Charybdis zu. Diesmal lässt er sich von Charybdis ansaugen, klammert sich an einen Feigenbaum, der dort auf dem Felsen wächst, während die Reste des Bootes unter ihm verschwinden. Nach einer Weile ist auch das überstanden: Charybdis spuckt den Mast wieder aus, Odysseus schnappt ihn sich …. und treibt nun zur Insel der Kalypso. Sieben (7) Jahre muss er dort ausharren, bis er endlich Richtung Heimat Ithaka aufbrechen darf. Und all das wegen ein paar geschlachteter Sonnenstiere.
*“Zeitperspektive, Planungsverhalten und Deferred Gratification Pattern – eine Sekundäranalyse empirischer Untersuchungen“ lautet der Titel meiner Magisterarbeit, 1970 veröffentlicht bei Juventa München. Ich bin also eine Art Expertin für dies Thema.
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