„Die persönlichen Wege zur Malerei sind wohl verschieden, aber ich denke es gibt schon auch Gemeinsamkeiten“ – schreibt Myriade in einem Kommentar. Ja, so sehe ich es auch. Der wohl größte Unterschied ist, ob ein Mensch eher dazu neigt, wie ein Bergarbeiter ins Unbewusste hinabzusteigen, um von dort das Material heraufzubefördern, aus dem er seine kleine Welt baut, oder ob er es vorzieht, die Ideenwelt anzuzapfen und quasi von oben her ins Leben hineinzuwirken und es zu gestalten. Im ersten Fall ist sein Vorgehen eher hermeneutisch (griechisch: interpretierend), im zweiten eher interventionistisch (lateinisch: eingreifend). Das ist eine brauchbare Unterscheidung, die man natürlich nicht wörtlich zu nehmen braucht. Ich gehöre zu denen, die meistens, auch beim Malen, den ersten Weg beschreiten. Vielleicht ist es der weibliche Weg. Aber auch der intervenierende Weg „von oben“ (von der Idee her) ist mir nicht fremd.
Beim Malen geht es mir darum, der Materialität Form und Sinn abzuringen. Der sich bildenden Oberfläche ihre Gesetze abzulauschen und sie gefügig zu machen für meinen Ausdruckswillen. Es ist der Weg vom Abstrakten (Farbe und Form) zum Thematischen (Bedeutung).
Hier nun drei Beispiele aus dem Jahre 2008, mit einem gemeinsamen Thema: heilige Innenräume.
Bild No. 1. Das Vorgehen: Ich schüttete Plastikfarbe über eine bereits bemalte Leinwand und ließ sie in kontrollierter Weise sich verteilen – in der Mitte als dick aufliegenden Balken, im Hintergrund als filigranes Gitterwerk.
Daraus entwickelte ich diesen Innenraum, wie er in meinem Gedächtnis aufgehoben ist: als verfallener byzantinischer Kirchenraum in Istanbul. Was also tat ich? Ich prägte der noch undefinierten abstrakten Oberfläche mein Thema auf. Ich verband den materiellen Eindruck mit einem inneren Bild, dem ich durch ein paar Interventionen mit dem Pinsel Nachdruck verlieh.
No.2. Ich hatte nun mein Thema gewonnen und machte einen weiteren Anlauf, auf einer etwas kleineren bemalten Leinwand, der ich eine stark strukturierte Oberfläche gegeben hatte. Dieses Bild ist viel fester, da er mehr vom Willen bestimmt ist. Es hat aber auch dieser Raum etwas Geheimnisvolles für mich, und genau deshalb interessiert er mich auch: der rötliche Grund scheint mir Spuren von alten Fresken mit Heiligenbildern zu tragen. Meine Einbildung? Mir reicht die Ahnung, die mich verbindet mit etwas, das nicht mehr ist.
No.3. Hier benutzte ich eine noch kleinere Leinwand und kehrte den Vorgang der Bildentwicklung um: Ich nahm mir vor, als Gegensatz zu den hohen, säulenreichen Kirchen-Innenräumen ein Felsenkirchlein zu gestalten, wie es sie in der Mani gibt. Ich hatte also ein Thema, für das ich die richtigen Ausdrucksmittel suchte.
Man spürt vielleicht, dass ich hier mehr „vom Kopf her“ vorgegangen bin und es mir Mühe machte, den richtigen Standtpunkt einzunehmen, von dem aus ich in den Raum hineinschaute. Aber die Liebe zum Gegenstand macht diesen Mangel einigermaßen wett. Am überzeugendsten ist die Wölbung, die den Kirchenraum abschließt. Um diese Wirkung zu erzeugen, ging ich wieder und wieder mit Farbe über die Leinwand, so als wollte ich den kleinen heiligen Raum selbst aus dem Felsen herausmeißeln.
Die verblassten Fresken und die heiligen Geräte sind hier absichtlich aufgetragen und so oft übermalt worden, bis der gewünschte Effekt in etwa erreicht war. Geheimnisvoll sind sie vielleicht für den Beschauer, nicht aber für mich, da ich weiß, wie ich sie „produziert“ habe.
2 aussagen, die mich ins sinnieren bringen.
spricht dies nun eher für «interpretierend» oder «eingreifend». für mich das zweite. lieber gruss. barbara
– «… und ließ sie (die Plastikfarben) in kontrollierter Weise sich verteilen»
– «… und es mir Mühe machte, den richtigen Standtpunkt einzunehmen, von dem aus ich in den Raum hineinschaute.»
–
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Nun, beim zweiten Zitat sage ich ja selbst, dass ich hier das umgekehrte Verfahren anwende: von der Idee zur Materie. Bei dem ersten Zitat kann man ins Sinnieren kommen: Ich ließ …. kontrollierend … – das ist Intervention, aber verlaufen, sich verteilen – das ist geschehen lassen. Ich bewege die Leinwand, gebe Richtung und Neigungswinkel vor, auch wie flüssig die Farbe ist, aber die Bewegung der Farbe ist von den Eigenschaften der Materie abhängig. Ich lasse es geschehen.
Wichtiger ist die Reihenfolge: Ich betrachte das Ergebnis des materiellen Prozesses und öffne mich für Assoziationen, die aus meinen Erinnerungen aufsteigen. Dann erst nehme ich den Pinsel und interveniere entsprechend einer Idee, die mir „gekommen“ ist.
Ich denke, die beiden Prinzipien sind schon verschieden, aber natürlich greifen beide ineinander ein. weder ist es ein ganz kontrollierter Vorgang wie in der herkömmlichen Malerei (Studien, Vorzeichnungen, Farbskizzen) noch ist es ganz spontan wie in der automatischen Malerei.
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danke für die ergänzung, sehr nachvollziehbar
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sehr interessant, wie dein unterschiedliches “ rangehen“ gedanklich z.B.
die meisten Bilder entstehen ja schon vorher im Kopf, Motiv, Material, Farbwahl etc.
wenn es an die Umsetzung geht, spielen noch viele andere Komponenten mit,
Deine Beschreibung gefällt mir, in deinen Bildern kann ich den Arbeitsprozess nur
erahnen. Großartig und anregend das Ergebnis.
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ich denke, Afrikafrau, dass tatsächlich jeder anders vorgeht und es nicht ganz einfach ist zu beschreiben, wie man einen Gedanken umsetzt. Oft weiß man es ja selbst erst hinterher. Wenn du einen Nutzen ziehen kannst aus den Beschreibungen, freut es mich.
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