Lange schon geht die ungewisse Fahrt auf dem maroden Schiff Hellas. Wird sich ein sicherer Hafen finden? fragt sich angstvoll das Volk, das im Bauch des Schiffes sitzt, dort, wo die Armen reisen.
Als die Fahrt los ging, wurde ein Schatz an Deck gebracht. Mit diesem Schatz lassen sich keine Hafengebühren bezahlen und keine Zöllner bestechen. Es ist ein Schrein mit einem lang geliebten, alt verehrten Gral. Wer aus ihm trinkt, so sagen seine Hüter, wird ein guter Mensch, der niemanden ausbeutet, der die Armen liebt, die Kriege hasst und die Fremden gastfreundlich aufnimmt.
Es gab Zeiten, da wurde er in halb Europa verehrt, später dann war er im großen Sowjetreich zu Hause. Als sich dort die Verhältnisse und der Glauben änderten, übernahmen ihn unsere griechischen Genossen in treue Verwahrung. Und sagten: Wir werden seinen Glanz wieder über ganz Europa strahlen lassen.
Sie enterten das morsche Schiff Hellas, warfen den vorigen Kapitän über Bord und übernahmen das Kommando. Das Volk klatschte Beifall. Das war mitten im Winter. Vor ihnen leuchtete eine rote Hand, die immer geradeaus wies. „Sie machte uns Mut, und so verloren wir unsere Route nicht bei Tag, und auch nicht bei Nacht“, hörte ich sie erzählen.
Doch ein Seeungeheuer namens Troika bremste ihre flotte Fahrt. Das marode Schiff würde den Frontalzusammenstoß nicht verkraften, fürchtete der Kapitän. Im blauen Meer würde es versinken und mit ihm „die ganze Firma“*. Also kehrte er um und zog nun vor dem Ungetüm her. Bravo, so ließ sich trefflich segeln! dachte mancher.
Aber nicht alle dachten so. Die Wächter des Heiligtums auf dem Hinterdeck waren sauer. Erst murmelten sie nur, dann meuterten sie offen. Kämpfe brachen aus über die Frage, was wichtiger sei: der Schatz oder das Schiff?
Also wenn ihr mich fragt: Ich bin für das Schiff, denn ich sitze drin. Aber kann ich die verurteilen, die ihr Leben der Verteidigung ihres Heiligtums verschrieben haben und nun schreien: Unsere Glaubensartikel sind uns wichtiger als euer verrottetes Schiff!
Schließlich verluden die Aufständischen ihren Schatz in ein Beiboot und kappten die Taue zum Schiff Hellas. Die liebe Sonne, die wir alle sehen, sahen sie nicht, denn für sie ist die Sonne immer und allzeit rot.
Wir starren ihnen nach, wie sich ihr Schifflein mit dem Schatz im rötlichen Nebel verliert. Auch zwei große Raubvögel betrachten die Szene. Das Schifflein ist ihnen egal. Was aber wird mit dem alten Kahn Hellas? Wer wird das Kommando übernehmen? Welche Route wird er nehmen? Das interessiert die großen Vögel sehr wohl.
*Bertholt Brecht, Seemannslied
sehr interessant, gerne angesehen und gelesen
LikeGefällt 1 Person