Momentan blühen im Garten viele hochstengelige blaue Schwertlilien, die nach der griechischen Götterbotin Iris heißen. Iris begleitete die Seelen der Toten über den Regenbogen ins Jenseits. Und so wurde die blaue Iris zum Symbol der Trauer und des weiten Meeres. Denn ja, im weiten Meer verschwand so mancher Seefahrer, um nie zurückzukehren. Nach der Götterbotin Iris hat schon der griechische Arzt Galenos von Pergamos (2.-3. Jh) auch die „irisierende“ Blende des Auges, die Regenbogenhaut, benannt, die um die Pupille herum liegt und sie öffnet und zusammenzieht ähnlich einer Fotoblende. (Foto: Wikipedia)
Oft betrachte ich die so merkwürdig aus Zartem und Wildem gemischte Blüte der Iris, ihre komplizierte Bauart, ihre vom späten Nachmittaglicht durchleuchteten blauen „Domblätter“ und den struppigen Bart auf dem zentralen getigerten „Hängeblatt“.
Heute nun beschaute ich mir meine Fotos von der blauen Iris und fragte mich wie so oft: Was heißt hier eigentlich blau? Wie blau ist dies Blau?
Wie ich schon an anderer Stelle zitierte, hatten die „Alten“ keinen Begriff für „blau“: „In den homerischen Epen etwa ist das Meer keineswegs blau. Die große Meeresfläche erscheint farbig wie Wein (οἶνοψ) oder Veilchen (ἰοειδής); seine Fluten sind entweder purpurfarben (πορφύρεος), schwarz oder dunkel (μέλας, κελαινός); das Ufer und die von Schaum bedeckten Wellen werden weiß und dann grau (πολιός).“
Dies Fehlen der Farbe Blau im Homerischen Wortschatz veranlasste die Gräzisten zu den merkwürdigsten Theorien. Offenbar hatten sie selbst nie ein Meer wirklich betrachtet, denn sie führten lange Debatten über das unterschiedliche Sehen der Völker … anstatt einfach mal hinzuschauen. Ist das Meer denn tatsächlich „blau“? Auch Nietzsche schloss sich der merkwürdigen Farbblindheits-Theorie an und erweiterte sie philosophisch-anthropologisch – zugegebener Maßen höchst eindrucksvoll:
»Wie anders sahen die Griechen in ihre Natur, wenn ihnen, wie man sich eingestehen muss, das Auge für Blau und Grün blind war, und sie statt des ersteren ein tiefes Braun, statt des zweiten ein Gelb sahen (…), – wie anders und wie viel näher an den Menschen gerückt musste ihnen die Natur erscheinen, weil in ihrem Auge die Farben des Menschen auch in der Natur überwogen und diese gleichsam in dem Farbenäther der Menschheit schwamm! (Blau und Grün entmenschlichen die Natur mehr, als alles Andere.)« (zitiert nach derselben sehr lesenswerten Abhandlung https://doi.org/10.4000/trivium.5588
Nun, lassen wir die Alten und auch Nietzsche beiseite und schauen wir uns an, was Fotoshop dazu sagt. In der folgenden Collage siehst du links ein Originalfoto. Ich wählte dann einen „einfarbig blauen“ Ausschnitt und bearbeitete ihn mit dem automatisierten Farbanpasser „autocolor“, der die vorhandenen Farben „verdichtet“ (rechts oben). Rechts unten setzte ich den automatisierten Tonanpasser „autotone“ ein („Auto Tone tastet das gesamte Bild ab und bewertet die Farbwerte einzeln. Es geht in die rote Ebene, setzt das dunkelste Pixel auf Schwarz, das hellste Pixel auf Weiß und verteilt alle anderen Werte zwischen den beiden neu“ )
Hier ein zweites unbearbeitetes Foto, bei dem ein Stück des getigerten bärtigen Hängeblatts einbezogen ist :
Welche Farbbezeichnung von all denen, die uns Homer für die Farben des Meeres anbietet, passt am besten? Farbig wie Wein (οἶνοψ/inops) oder Veilchen (ἰοειδής/joidis); purpurfarben (πορφύρεος/porphyreos), schwarz (μέλας/melas) oder dunkel (κελαινός/kelänos) bisweilen; oder weißgrau (πολιός/polios), blassgelb ockrig wie die Toten (όχρα/ochra) oder auch lebendig-hellgrün (χλωρός/chloros wie Chlorgas und Chlorophyll)?
Der Götterbotin Iris, die die Seelen auf dem Regenbogen ins Jenseits geleitet, und der nach ihr benannten Blume steht die gesamte Farbpalette zur Verfügung.
Wie verarmt ist die heutige Farbwahrnehmung! Heute sagt man blau (μπλε) für Himmel und Meer, und dann noch grün (πράσσινος), rot (κόκκινος), gelb (κίτρινος) wie für die Phasen der Verkehrsampel. Die Zwischentöne und die damit verbundenen Gemütsverfassungen sind aus dem Wortgebrauch weitgehend verschwunden.
Moin Gerda, spannend das Farbthema!! Weißt du etwas darüber, wann etwa in der Antike die Farbbezeichnungen abstrakt wurden ?Ich glaube, damit hängt auch die absurde Behauptung der angeblichen Farbenblindheit der alten Griechen zusammen.Ich erinnere mich an einen Duris von Samos…aus den FGrHist –dieser Sammlung der Fragmente griechischer Historiker…ein Zwei-Meter-langes Werk…wir kennen ja nur eine Handvoll Historiker …Herodot und folgende.Bei Duris erinnere ich mich, dass alle seine Farbbeschreibungen lebhafte Farb-Vergleiche mit konkreten Wahrnehmungen und Stimmungen waren. und eben ( noch ?) keine Abstrakta…“ wie das Meer im Morgenlicht“….“ von der Farbe der ersten Krokusse“..Genau wie bei Homer und den verschiedenen Meerfarben- Wahrnehmungen,die du anführst !!! . Ich war total begeistert… wüßte aber nicht, wie da wieder drankommen.Falls dir als Künstlerin so etwas mal unterkam ??? Mich faszinierte daren die andere Weltwahrnehmung, das sich artikulierende , so andere Bewusstsein !!!…also, wenn du Ideen hättest 🙃
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Danke von Herzen, Elsbeth! Sehr interessant. Farben vermitteln Stimmungen, es sind Schwingungen,,die unserer Aura mitschwingen lassen, und bei jeder Farbwahrnehmung erinnern wir uns an vergleichbare frühere. Schlüsselblumengelb, Eidotter, Ginsterfarbig, Sonnenblumenleuchten .…Hast du mal bei dem Link nachgelesen? Vielleicht gibt es dort im Anmerkungsapparat noch weitere Hinweise.
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Was für ein Beitrag, liebe Gerda! Da wage ich ja kaum Worte.
Wundervoller als Homer kann man das Meer kaum noch beschreiben, doch jeder sieht es etwas anders und bezeichnet es auf seine eigene Weise.
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Ich freu mich sehr, Bruni, über deinen Kommentar!
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