Eben sah ich Ullis Kommentar zu „Im Laufe der Zeit“: „Mir ging durch den Kopf, dass ich den Anfangspunkt bei den Höhlenmalereien setzen würde und nicht bei einer griechischen Skulptur 😉 und schon hätten wir eine feine Diskussion 🙂“ … und freute mich. Denn genau so hatte ich meine Bildanregung gemeint: Wo setzt du einen Anfang? Und was macht es mit dir, wenn du ihn so setzt und ein anderer setzt ihn anders?
Um diesen Gedanken noch mal zu verdeutlichen, habe ich zwei weitere Collagen gemacht: die „Galerie“ mit ihren Besuchern lasse ich unverändert (Gegenwart), aber ich setze eine neue „Rahmenhandlung“.
In dieser Collage setze ich einen Anfang im Mittelalter: eine wunderschöne holzgeschnitzte Gruppe von Reitern ist dort abgebildet. Einer der Reiter ist schwarz, aha, das ist Balthasar. Die ganze Gruppe zeigt also die Heiligen drei Könige, oder richtiger: die drei Weisen, die aus dem „Morgenland“ kamen. Morgenland = Orient. Man könnte die Region, aus der sie angeritten kamen, um dem gerade geborenen Herrn der Welt ihre Gaben darzubringen, im heutigen Iran, in Syrien und in Abessinien lokalisieren.
Die Figurengruppe verweist inhaltlich auf das Jahr 1 unserer Zeitrechnung, wurde im 12. Jahrhundert gestaltet und 2016 von mir fotografiert. Der mittelalterliche Mensch sah das Christentum als den legitimen Weltherrscher an. Sein Selbstvertrauen war ganz ungebrochen. Es war die Zeit der Kreuzzüge, und die Zeit der Entdeckungen und Eroberungen stand kurz bevor. — Der heutige Betrachter wird, sofern er in der christlichen Tradition erzogen wurde, diese Szene als „Anfang“ einer Geschichte einordnen, die zu einer tiefgreifenden Neuordnung der weltlichen und geistigen Verhältnisse führte. Er sieht sich in dieser Reihe, er ist ein Teil von ihr: von der Geburt Jesu über die Eroberung der „heidnischen“ Welt und die Vorherrschaft des Christentums führt eine Linie, in der er selbst auch steht. Und selbst wenn er heute von Zweifeln heimgesucht wird, ob der damals gesetzte Impuls des „Ein Gott-eine Kirche-eine Menschheit“ heilbringende Folgen hatte, wird er sein Geschichtsbild nicht umkrempeln. Für ihn „begann damals alles“.
Und hier? Auch diese Schnitzfiguren – „Hilfsgeister“ aus der Sammlung von Horst Antes – entstanden in etwa derselben Zeit wie die mittelalterliche Gruppe -, habe ich im St. Annen-Museum in Lübeck fotografiert. Auch sie setzen einen Anfang. Aber welchen? Welchen Anfang aber setzen sie für dich? Welchen, vermutlich, für einen Afrikaner, wenn er sie im Museum von Lübeck betrachtet? Oer wenn er sie in seinem eigenen Land in der Hand hält? Was diese Figuren für mich bedeuten, kannst du nachlesen bei https://gerdakazakou.com/2016/06/23/afrika-is-on-my-mind/.
Ach schön, heute verstehe ich dich wenigstens richtig. Sonst hätte ich noch angefangen mich um meinen Geist zu sorgen 😉
Immer wieder spannend wie sich ein und dasselbe Bild verändert, je nachdem was du noch dazu hineinsetzt. Beide Gruppen aber korrespondieren mit den Galeriebesucher*innen, jede auf eigene Weise. Die Afrikagruppe in Distanz, die Weisen aus dem Morgenland sehr nahe am Jetzt. Ob das allen so geht, keine Ahnung, ich nehme es so wahr.
Herzlichst, Ulli
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P.S. kann das sein, dass du mal wieder keine Benachrichtungen von meinem Blog erhälst? Hatte gestern zwei neue Beiträge eingestellt. Sorry, mir fällt immer auf, wenn du nicht auftauchst.
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gut, dass du nachfragst, Ulli! Ich habe tatsächlich keine Benachrichtigung erhalten. Jetzt schaue ich gleich mal im Reader nach, ob du da angezeigt bist.
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Ich hab mich im reader gesehen 😉
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danke, Ulli. Deine Rückmeldung macht mich stutzen, denn ich sah es gerade umgekehrt: ich fand die Afrikaner sehr nah am Jetzt der Galeriebesucher, und die mittelalterlichen Könige eher weit weg. Vielleicht stilistisch? Die „Hilfsgeister“ ähneln ja wegen ihrer einfachen Expressivität mehr meinen Legefiguren.
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So unterschiedlich ist das manchmal mit der Wahrnehmung 🙂
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Gerda, Du beleuchtet „unsere Welt“ aus unterschiedlichen Perspektiven und setzt damit „Zeichen“, die nicht unwidersprochen sein können. Aber muß ich widersprechen? Nein, ich brauche ja nur meinen Weg weiterzugehen. Und wer es wissen will, kann es lesen.
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Selbstverständlich kannst du alles ganz anders sehen, liebe Gisela. Genau das schreibe ich ja, ständig, in der einen und anderen Weise: jeder einzelne, auch jede Nation, Kultur, Religion legt sich das, was geschieht, auf die ihm/ihr passende Weise aus. Er/sie hält das dann für die Wahrheit.
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Ja, es gibt „Wahrheiten“, die wir dafür halten und damit glücklich sind. Aber es gibt doch über allen Teilwahrheiten, so meine ich, die WAHRHEIT. Doch die kann natürlich kein Mensch erfassen. Aber Wege zu IHR sollten freigehalten werden, damit sie gangbar bleiben. Ich finde, darauf sollten wir achten.
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Bin ich für die Lüge? Bin ich für die Täuschung, die Selbsttäuschung, die Krücke? Nein. Bin ich dafür, Wege zur „WAHRHEIT“, falls es die denn gibt, zu verbauen? Nein. Ich versuche zu verstehen, das ist alles. Und dafür benutze ich die mir zur Verfügung stehenden Mittel: Sinne, Denken, Kommunikation, Intuition. Ich weiß nicht, über welche anderen Mittel du verfügst, um zu Urteilen zu kommen.
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Gut, Gerda, wenn es so ist, halte ich mich jetzt zurück. Ich wollte mich ja sowieso nicht streiten. Ich wollte Dich auch nicht angreifen, sondern nur darauf hinweisen, sorgsam zu unterscheiden.
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so so, ja ja.
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…wer sagt eigentlich, dass es einen Anfang geben muss?
…kann es nicht sein, da wir in einer Welt der ständigen Übergänge leben, dass dies immer schon so war?
Vielleicht gibt es alle gedachten Anfänge immer nur als Anfang nach einem Untergang?
…die Hilfsgeister gefallen mir gut, sie scheinen die Galeriebesucher zu erschrecken…damit hatten diese wohl nicht gerechnet…
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stimme dir im Prinzip zu. weiteres gibt es im Kommentarstrang zu https://gerdakazakou.com/2020/03/08/im-lauf-der-zeit-collage-und-gedanken-ueber-kontextualisierung/ zu lesen, insbesondere im Dialog mit Afrikafrau.
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Wo ein Anfang gesetzt wird, liegt wohl auch daran, um welches Thema es geht. In allen Deinen Beiträgen kann man ihr Entstehen gewissermaßen miterleben liebe Gerda. Du erzählst von Deinen Anfängen, Deine Schritten und wir sehen Dein Endergebnis.
Ich habe eben mal schnell wieder einen Blick in Deinen Afrika Beitrag von 2016 geworfen und bewunderte die afrikanische so besonders ästhetische Schönheit dieser Figuren, und deshalb gefällt mir nun auch die Erweiterung Deiner virtuellen Galerie mit den Hilfsgeistern besser als die mit den Heiligen Drei Königen, die mir zu wenig schlicht sind,
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danke, Bruni. So mancher wird es wohl umgekehrt sehen und die kunstvoll geschnitzten Weisen den primitiven Schutzgeistern vorziehen. Es kommt eben drauf an, was man sucht.
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Sie gefielen mir hier entschieden besser, liebe Gerda
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