Giovanni Francesco Barbieri, Et in Arcadia ego (1616–1620)
Auch ich war in Arkadien. Gestern. Und besuchte zwei heilige Orte, die verschiedener nicht sein könnten.
Der erste ist ein hoher einsamer Ort, kahl und steinig, auf schmalem Schotterweg mühsam zu erreichen: der Gipfel des Berges Lykaion, des Wolfsbergs. Es ist „der heilige Berg der Arkaden“. Leichenweiße bröckelige Steine, manche sind rötlich, was auf Eisenhaltigkeit schließen lässt. Hier wachsen nur ein paar krüppelige Eichen, schöne Disteln und ein Heer von Königskerzen, die jetzt ihre erloschenen Kerzen in den blauen Himmel spießten.
Doch zwischen dem bröckelnden Gestein blüten zahlreiche goldene Kelche hervor, als wollten sie das Licht des Tages in sich auffangen.
Der gesamte zentrale Teil der Pelopsinsel – Arkadien – breitet sich vor deinem Auge. Du wirst zum Adler. Zeus wurde hier verehrt. Sein Tempel durfte von Menschen nicht betreten werden. Taten sie es doch, merkten sie bald, dass sie ohne Schatten waren. In spätestens einem Jahr würden sie tot sein.
Über den Wolfsberg wurden im Altertum viele Geschichten erzählt. Von Menschenopfern wurde geraunt. Der König der Arkaden wurde, weil er Zeus gebratenes Menschenfleisch vorsetzte, in einen Wolf (lykos) verwandelt, daher der Name des Berges Lykaion. Pausanias, der die Tempel Griechenlands im 1. Jahrhundert noch vorfand und bereiste, berichtet davon, und Ovid beschreibt die Verwandlung des Königs in seinen Metamorphosen. Aber auch Platon kannte die uralte Legende. Am Fuße des Berges liegt eine Ortschaft namens Lykosoura, die Pausanias als die älteste Stadt der Welt bezeichnet.
Als ich hinabstieg, sah ich den kahlen Gipfel sich spiegeln in einer Pfütze, die vom letzten Regen stehen geblieben war.
Der Himmel verfinsterte sich kurz, doch ein frischer Wind zerstreute die Wolken wieder.
Wie allen antiken Heiligtümern, so hat die Kirche auch diesem ihren Stempel aufgedrückt. Zu mehr als zwei armseligen Kapellen reichte es allerdings nicht. Die bedeutendere wurde 1934 errichtet. Darin fand ich zwei Ikonen, die aus jener Zeit stammen müssen. Die Farbe ist gesprungen. Die eine Ikone zeigt den Propheten Elias, die andere den auferstandenen Christus, zu meiner Verwunderung geflügelt.
Der Prophet Elias – das ist auf Griechenlands Bergen der Nachfolger von Helios (ΗΛΙΟΣ), dem Sonnengott. Die meisten Gipfel in Griechenland heißen nach ihm. Er fährt wie dieser mit feurigem Pferdegespann in den Himmel. Hier hält er einen Vogel in der Hand, der mir sehr dem Adler des Zeus nachempfunden zu sein scheint. Die anderen Symbole über ihm kann ich nicht entschlüsseln.
Der Wolfsberg scheint mir ganz und gar dem menschlichen Schädel zu entsprechen. Himmelragend und hoher Geistigkeit zugewandt im Positiven, verknöcherte Natur und Tod (Totenschädel) im Negativen. Die Festung Machaerus am Toten Meer kam mir in den Sinn, wo Johannes der Täufer auf Verlangen von Salome geköpft wurde. Auch jener Berg gleicht einem Schädel, mehr sogar noch als dieser. Und so wunderte es mich kaum, dass im Kirchlein auf dem Wolfsberg zwei Ikonen des Täufers hingen, seine hagere geflügelte Gestalt im Fell überragt die Berggipfel und ist dem Himmel zugewandt, während zu seinen Füßen sein abgeschlagener Kopf liegt.
(Dieses Photo stammt aus dem Internet. Die Ikonen im Kirchlein waren zu schlecht).
Wenn der Wolfsberg mir „männlich“ zu sein schien, mutete mich der andere Ort, an den wir gestern fuhren, durch und durch „weiblich“ an. Er nennt sich Hl. Theodora. Darüber schreibe ich in einem anderen Beitrag, weil dieser sonst zu lang würde.
Sehr schöner Beitrag, insbesondere die Fotos und die lehrreiche Ergänzung 🙂 Bist du tatsächlich auf den Berg gekrachselt?
LG Alexander
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nein, ich bin von einem geländegängigen Wagen von Hamburger Freunden mitgenommen worden 🙂
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Hätte ich auch gemacht 🙂
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Liebe Gerda, ein interessanter Beitrag. Diese karge Landschaft gefällt mir. Aus der Position des fotografierenden, kann man drei Hügel wahrnehmen. Dann ist der Blick frei ins Land. Diese Weite, Ferne, von dort oben. Ob es immer schon so war.
LG. Monika
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es war wohl „immer schon“ so, liebe Monika. Natürlich gab es große Erdkatastrophen, es gab und gibt Erosion, aber die Grundstruktur ist dieselbe seit uralten Zeiten.
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Danke Gerda für die ausführliche Beschreibung, die sehr informativ war! Es zeigt auch, dass diese Zeit wie jede, von Grausamkeiten geprägt war. Dies spiegelt sich ja in der Mythologie wider.
❤ gutenacht Grüße Babsi
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Ja, sicher waren auch jene Zeiten grausam – wieso auch nicht? eigentlich erwarten wir ja, dass sich der Mensch zum Positiven hin entwickelt. In diesem Mythos ist aber noch was anderes enthalten: die Götter strafen schwer die, die die Grenzen des Menschlichen überschreiten. Die Tat des Lykos (Menschenfleisch zu braten und dem Zeus vorzusetzen, vermutlich aus Hybris, denn er glaubte, Zeus würde das nicht merken…) liegt als Fluch über dem ganzen Geschlecht. Sie werden alle zu Wolfsmenschen (Werwölfen). Ohne solche Zurechtweisungen durch die Götter wären wir wohl immer noch Menschenfresser. ….:(
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Ja okay, wenn es also symbolisch dazu dient den Menschen auf den rechten Weg zu bringen.
In allen Religionen wird ja auch mit Angst gearbeitet und so auch in den Mythen.
Und trotzdem lernt der Mensch nicht dazu, das Böse ist eben stärker, Leider!
Ganz liebe und Gute 💕 Grüße an Dich
Babsi
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Danke für den lebendigen Ausflug ins Hier und Jenseits. Es passt wunderbar in die derzeitige Stimmung. Der Sommer verabschiedet sich. Das Licht ist anders geworden. Das Leben wendet sich nach Innen. Und dann die gelbe Blume …. wie ein Hoffnungsträger. – ich war einen Tag am Rhein wandern und habe die ersten Herbstzeitlosen gesehen. Liebe Grüße Marie
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Am Rhein wandern, das täte ich auch gern. An einem Fluss oder auf einem Fluss sich zu bewegen, ist ein so ganz besonderes Erlebnis.
Goldbecher heißen die wunderbaren Blumen, die den ganzen Hang überblüten. Ich dachte, es wäre eine Krokusart, aber sie gehört zu den Amaryllen. Man nennt sie auch „Goldkrokus“. Beim ersten Regen kommen sie heraus. Ich habe sie bisher nur auf den Bergen auf Trockenböden gesehen. Herbstzeitlose, Zyklamen und Meerzwiebeln blühen jetzt hier im Tal.
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Wenn Steine erzählen, muss man ihnen zuhören. Du kannst das auf berührende Weise. Ich freu mich auf den weiblichen Berg.
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ist kein Berg, liebe Arabella. Aber lies selbst.
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Gleich
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Pingback: Et in Arcadia ego / Das Kirchlein der Theodora | GERDA KAZAKOU
Tja, wer weiß, vielleicht wären wir wirklich noch Menschenfleischfresser.
Wie gut, daß wir es nicht mehr sind, liebe Gerda. Die Vorstellung ist für einen heutigen Menschen kaum vorstellbar…
Ein Wolfsberg, schon der Name alleine reizt die Fantasie sehr und die Geschichten dazu erhellen
dann unseren Geist. Wobei mir Lykos schon begegnet war, eben in Ovids Metamorphosen, aber davon fand ich nur noch Erinnerungssplitter bei mir…, weil damals zu vieles in zu kurzer Zeit auf mich einströmte, als ich mutvoll vor einigen Jahren eine Ovid-Vorlesung besuchte *schmunzel*
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Liebe Bruni, Tierfleischfresser sind wir leider bis heute, wenngleich schon Pythagoras vor den Folgen warnte…
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