Mein Blog steht, wie ihr wisst, unter dem Motto: alles fließt und nichts bleibt, wie es war. Der Satz stammt von Heraklit. Es ist einer der wenigen, die auf uns gekommen sind. Sein Hauptwerk, das den Titel „Über die Natur“ gehabt haben soll, ist verschollen. Ein paar Sätze haben uns andere Philosophen überliefert.
Einer dieser Sätze lautet in gängiger Übersetzung: „Du kannst nicht zweimal in denselben Fluss steigen“. Das Originalzitat las ich heute nach: Ποταμώ ουκ έστιν εμβήναι δις τω αυτώ. Und das heißt: Du kannst nicht zweimal als derselbe in den Fluss steigen.
Sicher, der Fluss, in den du steigst, ist nicht derselbe. Er führt stets neues Wasser mit sich. Aber das interessiert den Philosophen wenig. Was ihn interessiert, ist, dass DU nicht DERSELBE bist, wenn du das zweite Mal in den Fluss steigst. Diese Erkenntnis ist mehr als erschütternd. Sie ist bodenlos. Denn sie raubt uns die Sicherheit unserer Identität.
Rechtfertigt das nun, dass ich mich von dem Beitrag, den ich gestern für den Mitmachblog schrieb (https://mitmachblog.wordpress.com/2016/08/30/tabu-worueber-man-nicht-spricht/), heute bereits ein wenig distanziere? Oder dass ich einen anderen Akzent setzen möchte?
In meinem gestrigen Beitrag über das Tabu steht der Satz „Alles was wichtig ist, ist Geheimnis. Dein Beginn und dein Ende, deine innersten Gedanken – sprich nicht drüber. Schweig.“ Ich schloss mit dem Hinweis auf die Mysterien der Alten, die den Adepten das Erleben von Tod, Verwandlung und Neugeburt ermöglichten. „Sprechen durfte er nicht über seine Erfahrungen“, schrieb ich dort. „Vielleicht konnte er auch nicht drüber sprechen. Denn solche Erfahrungen entziehen sich wohl der Sprache.“
Und gerade darüber möchte ich nun sprechen. Über meine „innersten Gedanken“, für die es keine Wörter gibt. Denn wenn ich nicht über meine innersten Gedanken spreche – wozu spreche ich dann überhaupt? Dann schwätze ich ja nur und tanze um den heißen Brei herum.
Ulli macht mir mit ihren „Schilden“ Mut, wie sie mir überhaupt Mut macht beim Versuch, für schwer zu Sagendes Worte zu finden.(https://cafeweltenall.wordpress.com/2016/08/30/mein-tanz-mein-lied/). Sie geht über den Umweg des Modells der Schilde – ich werde einen anderen Umweg einschlagen: den über Heraklit und die Mysterien des Altertums. In loser Folge werde ich ein paar Überlegungen dazu hier niederlegen. Und wer will, folgt mir dabei und nimmt sich aus dem Fluss, was ihm wertvoll erscheint. Ich aber werde mich, schreibend und denkend und lebend, weiter wandeln.

Hades raubt Persephone, dargestellt als Teller (c) gerda kazakou
…das ist es doch, alles Leben ist ständiger Wandel, wir alle sind davon betroffen, Stillstand gibt es nicht einmal mit dem Tod, denn dann setzt der Verfall ein, während neues Leben schon darauf wartet, sich unsere Reste einzuverleiben…was bleibt, das sind unsere Energien…Freude, Trauer und Sehligkeit, die wir hinterließen, schweben über den Orten, an denen wir weilten…
…und Geheimnisse sind zuerst für einen selber Geheimnisse, manchmal möchte man nicht erzählen, was jemand anderes für völlig unwichtig hält, da sind wir sehr unterschiedlich…aber es ist völlig in Ordnung, etwas für sich zu behalten, nicht jeder Mensch ist einem wohlgesonnen…
…ich freue mich auf Deine Gedanken!
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… und ich freue mich auf die Resonnanz, die mir schon jetzt, bei der Ankündigung meines Vorhabens , von dir so schön entgegenkommt.
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Es sind keine einfachen Gedanken, von denen ich hier lese, liebe Gerda, aber wären sie einfach, wären es keine inneren, keine die man nur dort anvertraut, wo man sich gut fühlt.
Steige ich in einen Fluß, der immer verändert ist, weil er stetig fließt, dann bin auch ich beim nächsten Mal schon ein wenig anders. Es fängt doch schon bei den Äußerlichkeiten an, bei den Haaren, die gewachsen und ausgefallen sind *g*, das erste Mal war uns warm im Herzen und dadurch empfanden wir die Wassertemperatur als angenehm und heute frösteln wir und fühlen uns anders als gestern.
Alles fließt, nicht nur der Fluß, auch wir, nur sind wir von anderer Gestalt, nicht zeitlos, wie das fließende Wasser, sondern im Alterungsprozess gefangen, der uns unentwegt verändert, mal sehen wir gelassen den Wolken nach und mal sind Gedanken in uns, die uns beschäftigen und unseren Genuss im Wasser schmälern…
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Oder auch umgekehrt, liebe Bruni. Es kann ja auch passieren, dass du, ganz neu und froh, in einen Bach steigst, den du bisher nur als lästiges Hindernis auf deinem Weg angesehen hast. Und so, stehenbleibend und genießend, wirst du eins mit dem goldblauen Flirren der Libelle, die über dem Wasser steht. Ich bin sicher, du verstehst was davon.
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*lächel*, ja, auch umgekehrt und sich in einer Libelle wiederzufinden, scheint mir in einem solchen Moment etwas Wundervolles zu sein
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Liebe Gerda, fast werde ich ein bisschen verlegen … fast … ich danke dir und ich bin sehr gespannt wohin mich/uns dein Fluss führen wird.
ich finde ja beides richtig, es ist nie der selbe Fluss und ich bin eben auch nie Dieselbe und dann wieder doch. Weil ich diesen Kern erahne, der Kern, der immer Ich war und ist und sein wird und darum herum ranken sich all diese Geschichten, Erlebnisse, Erfahrungen, Gefühle und Gedanken, die ich Leben nenne …
Wir haben in der heutigen Zeit Zugang zu vielen Modellen und Techniken, ferner zu Mythologien, Theorien, Philosophien – Jede wählt ihre Tür und wenn alles gut geht, trifft sich die/der Eine mit der/dem Anderen, irgendwo dazwischen von hier nach dort. Wenn das stattfindet, dann ist das ein grosses Geschenk. So wenigstens empfinde ich so manche Begegnung, wie auch die Begegnung, den Austausch mit dir- ich fühle mich oft sehr reich beschenkt – danke
ich grüsse dich herzlich
Ulli
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ich las dies grad nach und freute mich. Herzensgrüße! Gerda
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„Du kannst nicht zweimal als derselbe in den Fluss steigen.“ Das nehme ich mit, ich danke dir. Danke auch für das Wollen, das Unbenennbare zu benennen. Ich persönlich glaube, dass du mit Worten scheitern wirst, aber du hast ja noch mehr Mittel, auch wenn alles letztendlich nur Stückwerk bleiben wird … wie wir selbst nur Puzzleteile sind.
Danke auch dafür, dass mir jetzt die Frage im Kopf spukt, was „εμβήναι“ ist und ich mich an meine altgriechischen Schulstunden erinnern möchte … 😀
Liebe Grüße
Christiane
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im Neugriechischen heißt das Wort μπαίνω, hineingehen. Die Vorsilbe εμ- bedeutet, wie du dich sicher erinnerst, hinein.
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Das Scheitern, liebe Christiane, schreckt mich nicht. Ich will es halt versuchen, bis ich das Unvermögen ohne Wenn und Aber fühle. Bei Susanne Haun las ich am Sonntag ein Zitat, das ich mir gern als Motto meines Vorhabens nehme: „Je mehr man scheitert, desto erfolgreicher ist man. Wenn alles verloren ist und man dann, statt aufzugeben, doch weiter macht, so erlebt man den einzigen Augenblick, wo Aussicht besteht, ein bißchen vorwärts zu kommen. Man hat plötzlich das Gefühl – und wenn es nur eine Illusion ist – daß sich etwas Neues aufgetan hat.“ Alberto Giacometti, Herbst 1965
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Stimmt, das habe ich auch schon erlebt. Natürlich wirst du es versuchen, noch dazu, wenn es eine Herzenssache ist, das war nicht gedacht, dich davon abzuhalten, das war eine Reflektion meiner eigenen Sprachlosigkeit …
Vergnügte Grüße
Christiane
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Pingback: Vor der Ausfahrt nach Ephesos | GERDA KAZAKOU
Dein Blog scheint ja eine unerschöpfliche Quelle zu sein. Ich werde zu anderen Seiten mal ein wenig tiefer graben. Zu Heraklit: Ich stimme mit dir überein. Ich wollte nur das für damalige Verhänltnisse revolutionäre Verwandlungsprinzip vor Hintergrund einer geschlossenen Welt besonders unterstreichen.
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Danke, Joachim. Das Verwandlungsprinzip haben wir, scheint mir, bis heute nicht wirklich akzeptiert, es bleibt revolutionär. Immer noch wollen wir die Form festhalten und verewigen, verwechseln sie mit der Substanz. Wir denken, wir altern, wir sterben – dabei wandelt sich nur unsere Form.
Ich habe das Motto gewählt in der Absicht, mich im flüchtigen elektronischen Medium dem Festhängen an der Form, am Gegenständlichen der Kunst, zu verweigern. Am Anfang standen meine Legebilder – gewonnen aus zerrissenen früheren Bildern, immer von Neuem zu neuen Bildgeschichten aufgebaut, und nach dem Fotografieren wieder zerstört. – So ganz ist es mir natürlich nicht gelungen, auch ich habe Archive, und das internet hebt sowieso alles auf (bis auf weiteres).
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Liebe Gerda, auch aus naturwissenschaftlicher Sicht sind wir aus Sternestaub gemacht und insofern „unkaputtbar“. Deine „Philosophie“ hinter deinen künstlerischen Arbeiten gefallen mir sehr.
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