Manchmal habe ich richtig Mitleid mit den Genossen von Odysseus, als der den Sirenen lauschte.
Wie fühlten die sich wohl?
Alle reden von Odysseus, niemand von seinen Gefolgsleuten. Sie haben ihren Chef an den Mast des Schiffs gebunden und sich selbst Wachs in die Ohren gestopft, denn sie durchfahren das Gebiet der Sirenen. Die Sirenen gelten als gefährlich, denn sie singen herrlich. Wer ihnen lauscht, muss ihnen folgen, und wer ihnen folgt, geht schändlich zugrunde.
Und da sind sie auch schon: strubbelige entenförmige Wesen kommen herangerauscht (das Rauschen hören die Genossen freilich nicht mehr). Die sollen gefährlich sein? Verführerisch? Die Genossen schauen zweifelnd auf ihren Chef, der in seligem Lauschen dahinzuschwinden scheint.
Was Odysseus wirklich hört, wissen wir nicht. Stoisch blickt er geradeaus, als die Sirenen ihm mit ihren Gesängen in den Ohren liegen. Das ist die eine Version.
Eine andere Version besagt, dass er höchst erregt auf die Vögel starrt, auf ihre Brüste, die sich ihm entgegen wölben, auf ihre Hälse, in denen sich der Kehlkopf hüpfend bewegt, auf ihre hässlichen Münder, die ihm das Lieblichste der Welt verkünden. Er will seine Fesseln sprengen. Vergebens.
Die Illusion darf ihn nicht auf ihren Schwingen mit sich führen, er muss bleiben, wo er ist: auf dem Deck eines Schiffes, fest angebunden an die Realität.
Und die Genossen? Ihnen bleibt von diesem ganzen Abenteuer nur eins: der Anblick strubbeliger Entenwesen, die den Chef umflattern, und die Sorge, ob sie die Fesseln kräftig genug angezogen haben. Von dem Gesang der Sirenen wissen sie nichts.
Was habe ich mit ihnen gemein?
sehr gelungen
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danke Afrikafrau!
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Bildnerich wieder sehr eindrucksvoll.
Die selbstgewählte Perspektive der Genossen mit den verstopften Ohren zumindest zweideutig, hihi. Wer verfügt hier über die Realitätswahrnehmung, die Tauben oder der Verzückte? fragt sich Hella
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Hihi! Tja. Danke Hella!
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