Tief rot versinkt die Sonne an den letzten Julitagen hinter den Bäumen im Meer, und der Mond steigt als riesige leuchtenden Scheibe über den Bergrand. Das Land mit den Oliven wird vom Mondlicht überstrahlt, wirkt fast entsubstantialisiert.
Ich stand und staunte, gestern, vorgestern, heute, morgen dann wieder. Gering sind die Veränderungen: ein wenig kürzer werden die Tage, und der Punkt, an dem sich der Mond zeigt, verschiebt sich langsam, ebenso auch der Sonnenuntergangspunkt. Der Mond erscheint täglich etwa eine Stunde später und versinkt etwa eine Stunde später….
Dieses Gleichmaß steht im Gegensatz zum stets aufgeregten Informationsfluss, der eine geschwinde Gegenwart vortäuscht. Vortäuscht, ja, denn wenn du ein paar Tage keine Nachrichten gehört hast und dann doch einmal vor der Glotze hängst und schaust oder im Handy liest, was so geschieht oder nicht geschieht, ist es mit den Veränderungen auch nicht so weit her. Da ist ein Minister in Ungnade gefallen und muss zurücktreten, ein anderer wird eingeführt, da ist ein Feuer gelöscht und ein anderes ausgebrochen, da ist ein Krieg aus den Schlagzeilen verschwunden und ein anderer ist nun drin…. Je weiter der Schauplatz entfernt, desto allgemeiner die Sicht. Da war doch was im Sudan? Wen kümmert der Sudan, jetzt ist es Mali. Nein, nicht Mali, Niger! Wie bitte? Die Westafrikanische Union. Wer ist das bitte? Die sind für Frankreich. Und für die gewählte Regierung in Mali … pardon, in Niger. Die jetzt dran sind, sind illegal. Da sind doch auch unsere Soldaten, oder? Wo? In Niger? Nein, in Mali. Was machen die denn da? Es geht um Gold, und um Uran für die …
Jedes dieser Ereignisse verändert etwas für die unmittelbar betroffenen Menschen, ist für sie vielleicht eine Katastrophe, eine Hoffnung. Aber das Bild hat sich für den Unbeteiligten, der aus sicherer Entferung schaut, nicht mehr verschoben als der Punkt, an dem die Sonne im Meer versinkt und der Mond über den Berg steigt.
16.50 Uhr am 2.August.
4.50 Uhr in der Früh.
Ich wandere die ansteigende Straße hinauf. Das Mondlicht und das Licht des kommenden Tages vermischen sich, die Elektrizität der Stadt bildet einen leuchtenden Saum.
Da war doch etwas mit Niger, denke ich, hab doch schon mal was drüber geschrieben. Ja, hier.
Und vorher noch der andere Eintrag, Endzeit-endlos nannte ich ihn. Willi(e) – die Repräsentantin des Jahres 2021 – hatte es nach Niger verschlagen, und so sah ich mich veranlasst, mir ein paar Gedanken über dieses Land zu machen.
Endzeit-endlos (Malerei, Niger)
Warum nur war Willi(e) weggegangen? „Ich bin nun erwachsen“ (erklärte sie mir) „und muss mich um erwachsene Dinge kümmern, liebe Gerda. Leg du nur weiter deine Bilder und zeichne Häuser, begrüße Hunde und was der Dinge mehr sind, die einer alten Frau angemessen sind. Ich aber muss gehen. Ich danke dir sehr, dass du mich erfunden und bis jetzt begleitet hast … , nun schau nicht so traurig! Mein Abschied war doch abzusehen. Die Welt ist groß und braucht mich. Und ich brauche sie. Ich muss verstehen, was gespielt wird, und wie ich mich einschalten kann.“ –
„Und ich?“ murmele ich und versuche, meine Tränen zurückzuhalten, denn natürlich hat Will.ie recht und eigentlich sollte ich mich freuen. Will.ie umarmt mich, gibt mir einen ungestümen Kuss und flüstert: „Ich lasse dir mein Kind zurück, das ich heute Nacht geboren habe. Du verstehst: An Tag- und Nachtgleiche beginnt etwas Neues. Wenn du heimkommst, findest du es. Das Baby heißt Elpis, zu deutsch Hoffnung.“
Willi(e) ist weggegangen, und sie ließ nicht ein Kind, sondern ein Zwillingspaar zurück: Elpis und Apelpis (Hoffnung und Hoffnungslosigkeit/Verzweiflung). Vielleicht erinnerst du dich? (https://gerdakazakou.com/2021/03/23/23-3-2021-will-ies-sproesslinge-elpis-und-apelpis-und-der-narr/)

Die neugeborene Elpis habe ich damals dem Narren anvertraut, damit er sich um sie kümmert, damit sie wächst und zunimmt.

„Zum Glück ist er ein Schlafwandler“, schrieb ich damals, „er stürzt nicht ab, außer er wacht auf. Der Narr steht am Anfang jeder Geschichte – und womöglich auch an ihrem Ende.“
Lass bitte die Hoffnung nicht fallen!


Möglicherweise gibt es ja doch ein Wiedersehen mit den Zwillingen? Natürlich lieber mit der „Hoffnung“. Es fühlt sich richtig an.
Danke, Gerda, für diese 3 wunderbaren Einblicke in Eure Landschaft in den Fotos!
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Danke, Gisela. Sehr gerne!
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😊
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Gerade, als ich Deinen Text gelesen habe dachte ich Kriege gibt es seit es den Menschen gibt.
Deine Fotos sind so schön und stimmungsvoll und wie Du schreibst, wenn man TV und Co ausblenden, dann ist daß Leben und Gezeiten Geschehen wieder normal!🤔😁
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Ja, wenn man nur die Gestirne betrachtet, ist alles in Ordnung. Und hier, wo ich lebe, habe ich das Privileg, täglich die Gestirne betrachten zu können.
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Elpis und Apelpis (Hoffnung und Hoffnungslosigkeit/Verzweiflung).
Ich schrieb mal einen Post zum Thema.
„a drawing saved my life“.
Damit meinte ich nicht, daß ich den Tag mit Zeichnungen festhielt wie ein Tagebuch, sondern anderes.
Es war damals tatsächlich so, daß eine Zeichnung, an einem bestimmten Abend, den Ausschlagpunkt gab.
Bin gespannt, was Elpis und Apelpis so tun werden in den folgenden Geschichten. 🙂
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Danke, Gerhard. Elpis und Apelpis sind ja Gestalten aus dem Jahr 2021. Ich habe ihren Werdegang dann nicht weiter verfolgt, sondern sie einfach der Geschichte übergeben. Für mich persönlich ist das Leben seither leichter, weniger drückend geworden (Ende der „Pandemie“-Maßnahmen), und die Hoffnung, dass die damit verbundene Erfahrung dann doch bei einigen Mitmenschen zu einem wacheren Denken geführt hat, habe ich, aber gleichzeitig sind auch die Herausforderungen gewachsen.
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Du bist nicht auf meinen Kommentar mit der Zeichnung eingegangen, das ist o.k.
Wacheres Denken, was ist das? Darüber könnte man ein ganzes Buch schreiben.
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Die Welt ist heute so vernetzt – und wir sind uns dieser Vernetzung bewusst – das der Flügelschlag eines Schmetterlings in Papua Neuguinea sich auf uns auswirken scheint. Nur, diese Komplexität überfordert uns und wir drohen uns darin zu verlieren und dann sind wir auch unfähig mitzufühlen.
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Das stimmt. Wobei ich mir nicht sicher bin, wie mitfühlend die Menschen früher waren, auch und gerade gegen ihre unmittelbaren Nachbarn. Manchmal scheint mir, dass viele Menschen heute eher mit den Bewohnern von Papua Neuguinea als mit ihren Nachbarn mitfühlen, weil das bequemer ist. Je konkreter der Mensch, der vor dir steht, desto dringlicher ist auch die Aufforderung, ihm notfalls beizustehen – und das ist sehr unangenehm, zumal wenn dir dieser konkrete Mensch nicht sonderlich sympathisch ist.
Was ich also sagen wollte, ist, dass die Entfernung wie eine Abstraktion wirkt, die uns entlastet. Und da heute das Entfernteste in unsere Wohnzimmer hineingespielt wird, drohen wir, in der Abstraktion zu bleiben, anstatt real zu leben, mitzuleiden und zu handeln.
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Möglich. Andererseits schotten sich ja immer mehr Menschen gegen den Nachrichten Sturm aus ferneren Gegenden – sehr deutlich bei Nachrichten aus dem Kriegsgebiet Ukraine – bewusst ab und beschäftigen sich nur noch mit dem Naheliegendsten in jeder Bedeutung des Wortes. Sie kümmern sich aber auch mehr um die Familie und Freunde.
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Oh liebe Gerda, da bin ich ganz bei Dir! Hinzu kommt, mit einer kleinen Spende beruhigen viele Menschen ihr Gewissen und man kann dann auch noch locker den Moralisten spielen. Es spenden ja so viele gerade in Drittländer und das entspricht dann Deiner Schilderung der Abstraktion. Man fährt umweltfreundliche ein Elektro Auto, mit dem Wissen, daß Kinder den mörderisch Lithium Abbau dafür machen, aber die sind weit weg und man tut ja schließlich was für die Umwelt, daß scheint wichtiger zu sein. Die Wasser Ressourcen werden dafür ebenfalls geplündert. Alles abstrakt weit weg.
Wir haben eine immer größer werdende Neidgesellschaft, die dem anderen nix gönnt.
Heute war ich bei lieben Menschen zum Kaffee eingeladen und auch daß war unser Thema.
Alles menschliche Makel, die es schon immer gab. Je größer die Armut, desto größer der Neid!
Liebe Grüße zur Nacht und einen wohligen Schlaf!
Babsi
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Liebe Babsi, mit dem ersten Teil deines Kommentars bin ich voll einverstanden, mit dem zweiten nicht so. Der Sozialneid von armen Menschen scheint mir vollkommen verständlich und auch berechtigt zu sein. Soll ich sie dafür tadeln, dass es ihnen wie Hohn vorkommt, wenn sie sich plagen, während andere fürs Nichtstun königlich bezahlt werden? Ok, manchmal ist der Reichtum ja auch das Ergebnis von Tüchtigkeit, da ist Neid weniger angebracht. Neid ist auf alle Fälle schlecht für den, der ihn empfindet, er kriegt davon Magen- und Gallenbeschwerden, und dem Beneideten tut er nicht weh, im Gegenteil, es gefällt ihm, beneidet zu werden, er genießt seinen Wohlstand doppelt. Also ist es nicht klug, neidisch zu sein – doch wer ist schon klug, wenns um Gefühle geht?
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Liebe Gerda,
da ich vor meiner Erkrankung selbstständig war, weiß ich, selbst und daß ständig. Ich denke einfach, es ist auch nicht immer gerecht auf alles neidisch zu sein! Es täuscht oft, weil viele für ihren Wohlstand auch einen hohen Preis zahlen!
Wer mit Ausbeutung reich wird und ist, den verachte ich!
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Das klingt bitter. Ist es vielleicht so, dass viele Menschen unter dem Ansturm von meist negativen Nachrichten, die das eigene Tun überfordern, keine Kraft mehr haben und sich einigeln und „tot stellen“ wie die Maus vor der Schlange?
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Es ist Selbstschutz, denke ich. Die Menschen schließen Nachrichten aus, um weiter funktionieren, ihr Leben leben zu können. Andererseits ist die Wertschätzung des direkten Umfelds gestiegen. Ich finde es nicht so sehr bitter, als vielmehr sehr menschlich.
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Manche der 68er Generation haben damals einen Ausweg aus der ideologischen Komplexität, die sie persönlich sahen, gesucht, und haben versucht, auf verschiedene Weisen Alternativen aufzubauen. Ich musste gerade in mich hineinlächeln, als ich diesen Film über ein Lebensexperiment von 68ern in Italien sah. Bin gespannt, was er bei Dir auslöst 🙂 :
https://www.arte.tv/de/videos/107452-000-A/italien-fuer-aussteiger-der-traum-von-freiheit/
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Vielen Dank. Den Film kann ich hier leider nicht sehen (ist für mein Land nicht freigegeben), aber ich las die Zusammenfassung. Eine Aussteigerin war ich nie, bin es auch jetzt nicht. Ich lebe in Griechenland, weil mein Mann Grieche ist und zurückwollte. Eigentlich bin ich auch keine 68erin, sondern 66-67erin, denn wir vom AStA der FU Berlin haben damals die dann so schnell sich ausbreitende Bewegung der 68er maßgeblich mit angetreten. 1967 war dann der Militär-Putsch in Griechenland und ich war „woanders“.
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Das Thema Freiheit hat damals für Dich, so nehme ich an, eine ganz besondere Bedeutung bekommen. Wie tragisch, als 67erin. Aber auch so bist Du ja, wie die Mitglieder des im Film dargestellten Dorfes ein Kind dieser Zeit, genauso wie ich selbst. Schade, dass der Film nicht bei Euch abrufbar ist. Er vermittelt nicht nur einen Rückblick auf den Zeitgeist, sondern reflektiert auch, was davon sich durchgesetzt hat oder Illusion war, was geblieben oder sich sehr schnell oder auch im Laufe der Jahre erledigt hat, was Theorie und was die Praxis war.
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Danke für deinen eingehenden Kommentar! Ich habe mir in den Jahren, die seither vergangen sind, natürlich auch viele Gedanken über die damalige Zeit gemacht, habe auch eigene Fehleinschätzungen eingesehen und stehe eher ambivalent dem gegenüber, was wir damals vorantreiben wollten. Andererseits bin ich auch froh, an einigen Durchbrüchen mitgewirkt zu haben. Wie auch immer: es war ein wichtiger Lebensabschnitt, wichtig, glaube ich, auch für die nachfolgenden gesellschaftlichen Entwicklungen. –
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Ich erinnere mich, liebe Gerda : (Hoffnung und Hoffnungslosigkeit/Verzweiflung)
Er darf sie nie fallen lassen, die Hoffnung, sonst ist es um die Menschen geschehen…
Nur hoffnungslose Menschen auf der Erde? Was wäre das denn?
Vermutlich würden sie nur übereinander herfallen und jeder würden den anderen für dieses hoffnungslose Jammertal verantworltich machen…
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Die Hoffnung stirbt zuletzt – das wussten die Menschen schon immer, und so möge es auch bleiben, liebe Bruni. Denn eine Welt ohne Hoffnung – wer wollte darin leben?
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keiner…
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