Welttheater, 4. Akt, 31. Szene: Jenny geht ihrer Wege, Wilhelm begegnet Isolde.

Was zuletzt geschah: In schönster Harmonie bereiten sich unsere Reisenden (Domna, Danai, Trud, Clara, Hawi) inmitten von Schafen und Hunden auf die Nacht vor. Über Danai und Hawi erscheint das Traumwesen Luise, über Trud und Clara das Luftgefährt des Weltraumforscher Jonas mit Dora…  Doch wie ergeht es Abud, und wie Jenny mit Wilhelm?

Wenden wir uns zunächst Jenny und Wilhelm zu. Dort bahnt sich ein Konflikt an: Wilhelm will zur Bucht, um Isolde (Hedonie) zu finden. Für Jenny ist das ein unverständliches Verlangen, sie ist von ihrem Helden enttäuscht. Wer führt Regie? fragt nicht nur Wilhelm, sondern fragt sich auch der Zuschauer dieses Dramas: ist es „der Gott der Gelegenheit“ Kairos?  Ist es Wilhelms Liebesverlangen (Hedonie)? Oder wer oder was sonst?

Wilhelm:

Renn schnell, du Vieh, hab keine Zeit

Zur Bucht ist es noch ziemlich weit!

Jenny:

Halt an, Kairos, und dreh gleich um

Renn nicht zur Bucht, sei nicht so dumm!

Du musst zur Stadt, ins Krankenhaus

Wilhelm:

Ins Krankenhaus? Da wird nix draus!

Mein Bein kann warten, doch nicht ich!

Ich muss hinunter an die Bucht!

Jenny:

Was hast du bloß für eine Sucht?

Hat dir Danai ein Kraut gegeben?

und willst nun nur noch eins im Leben?

Es brennt dich in den Eingeweiden?

Du solltest solche Kräuter meiden!

Kairos:

Das wird ja immer kunterbunter!

Genug, es reicht, ich schmeiß euch runter.

Ihr hattet mich für eine Zeit

doch wart ihr nicht für sie bereit.

 

Der Wilhelm hat sich blöd vergafft

die Jenny ist ganz abgeschlafft,

traut nicht mehr ihrer eignen Kraft

Seht zu, wie ihr allein es schafft!

 

Ich hab woanders bessre Herren

die sich die Chance nicht versperren!

 Kairos geht ab

Jenny:

Und nun? Ich weiß nicht wo ich bin.

Wo soll ich mit dem Wilhelm hin?

Er hat so scheints den Kopf verloren

Benimmt sich schlimmer als die Toren.

 

Ist wie verrückt nach einem Weibe,

Ich muss jetzt sehen, wo ich bleibe.

Ich lass ihn hier, vielleicht am Morgen

kann ich ne Hilfe ihm besorgen.

Jenny geht ab.

Wilhelm

O weh mir, bin ich wieder ganz allein?

War alles, was ich sah, nur Trug und Schein?

All diese Menschen, die mich fanden

in meiner Einsamkeit, sind nun abhanden?

Und du, Isolde, warst nur ein Gespinst?

Ich will dich halten, ehe du zerrinnst!

Isolde

Hier bin ich, Freund, bin da, wenn du mich rufst,

muss da sein, Bester, denn du selbst erschufst

das Bildnis, das in deinem Herzen wohnt

Du bist die Sonne ja und ich der Mond!

 

Du bist der Schöpfer, ich bin deine Tat

Du selbst bist Herr, nur du verübst Verrat

Nicht ich, wenn ich nicht mehr erscheine

Weil du ein Dasein vorziehst, ganz alleine

 

fern aller Menschen, ohne Lieb und Lust

nur mit dem Ärger stets in deiner Brust

dass nichts so ging, wie du es ausgedacht.

Und stets verließt du dich auf deine eigne Macht.

 

Dann kam der Sturz, und als du lagst danieder

da kamen alte Sehnsuchtsbilder wieder

Du wolltest Lust, du wolltest zu dem Weib

doch war zerschunden nun dein Lebensleib.

 

Um Lust zu geben und sie zu empfangen

heißt es jetzt ganz von vorne anzufangen.

Ich selbst bin ja nur deine Illusion

und wie ich ankam, so entschwind ich schon.

Wilhelm

Halt ein, ich fleh dich an, was soll ich tun

um voller Lust in deinem Schoß* zu ruhn?

Isolde

Zuallererst komm wieder auf die Beine

und wenn du lieben willst, lieb erst das Kleine,

lass es ins Herz, und fühle wie es leuchtet

und deine harte Innenschicht befeuchtet.

 

Gib dich ihm hin, und nähre seine Glut

und freu dich dran, und nähre nicht die Wut

wenn andre dir mit Liebe nicht begegnen.

Beginne, jede Liebestat zu segnen.

 

Verbinde dich mit dem, was um dich ist

denn nur im andern fühlst du, wer du bist.

So lernst du leben, lernst du selbst zu sein

im liebend Wechselspiel, nicht mehr allein.

 

Jetzt muss ich gehn, verflossen ist die Nacht

die mich im Mondeslicht zu dir gebracht.

Gewinn mich neu in frischer Tageshelle

indem du sprudeln lässt der Liebe Quelle.

Isolde geht ab

Wilhelm schläft erschöpft ein.

—–

*Anm: gr. κολπος (kolpos) bedeutet auf deutsch nicht nur „Bucht“, sondern auch weiblicher „Schoß“ bzw vagina. Durch diese Assoziation erklärt sich, dass Wilhelm immer von der „Bucht“ träumt, die er erreichen muss. Mit „Schoß“ bzw „Bucht“ ist sowohl die früheste mütterlichen Umarmung als auch die spätere Vereinigung des Mannes mit der Frau assoziiert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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3 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, 31. Szene: Jenny geht ihrer Wege, Wilhelm begegnet Isolde.

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Oh durch welche Tiefen muß Wilhelm erst gehen! Und aus welchen weisheitsvollen Höhen spricht nun Isolde die rettenden Worte, die Wilhelm wohl zur Besinnung und Verwandlung bringen werden, nehme ich an. Ja, es ist wirklich spannend, Gerda, und ich staune über die unvorhersehbaren Wendungen .🌞💕🍀

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