Was zuletzt geschah: In schönster Harmonie bereiten sich unsere Reisenden (Domna, Danai, Trud, Clara, Hawi) inmitten von Schafen und Hunden auf die Nacht vor. Über Danai und Hawi erscheint das Traumwesen Luise, über Trud und Clara das Luftgefährt des Weltraumforscher Jonas mit Dora… Doch wie ergeht es Abud, und wie Jenny mit Wilhelm?
Wenden wir uns zunächst Jenny und Wilhelm zu. Dort bahnt sich ein Konflikt an: Wilhelm will zur Bucht, um Isolde (Hedonie) zu finden. Für Jenny ist das ein unverständliches Verlangen, sie ist von ihrem Helden enttäuscht. Wer führt Regie? fragt nicht nur Wilhelm, sondern fragt sich auch der Zuschauer dieses Dramas: ist es „der Gott der Gelegenheit“ Kairos? Ist es Wilhelms Liebesverlangen (Hedonie)? Oder wer oder was sonst?
Wilhelm:
Renn schnell, du Vieh, hab keine Zeit
Zur Bucht ist es noch ziemlich weit!
Jenny:
Halt an, Kairos, und dreh gleich um
Renn nicht zur Bucht, sei nicht so dumm!
Du musst zur Stadt, ins Krankenhaus
Wilhelm:
Ins Krankenhaus? Da wird nix draus!
Mein Bein kann warten, doch nicht ich!
Ich muss hinunter an die Bucht!
Jenny:
Was hast du bloß für eine Sucht?
Hat dir Danai ein Kraut gegeben?
und willst nun nur noch eins im Leben?
Es brennt dich in den Eingeweiden?
Du solltest solche Kräuter meiden!
Kairos:
Das wird ja immer kunterbunter!
Genug, es reicht, ich schmeiß euch runter.
Ihr hattet mich für eine Zeit
doch wart ihr nicht für sie bereit.
Der Wilhelm hat sich blöd vergafft
die Jenny ist ganz abgeschlafft,
traut nicht mehr ihrer eignen Kraft
Seht zu, wie ihr allein es schafft!
Ich hab woanders bessre Herren
die sich die Chance nicht versperren!
Kairos geht ab
Jenny:
Und nun? Ich weiß nicht wo ich bin.
Wo soll ich mit dem Wilhelm hin?
Er hat so scheints den Kopf verloren
Benimmt sich schlimmer als die Toren.
Ist wie verrückt nach einem Weibe,
Ich muss jetzt sehen, wo ich bleibe.
Ich lass ihn hier, vielleicht am Morgen
kann ich ne Hilfe ihm besorgen.
Jenny geht ab.
Wilhelm
O weh mir, bin ich wieder ganz allein?
War alles, was ich sah, nur Trug und Schein?
All diese Menschen, die mich fanden
in meiner Einsamkeit, sind nun abhanden?
Und du, Isolde, warst nur ein Gespinst?
Ich will dich halten, ehe du zerrinnst!
Isolde
Hier bin ich, Freund, bin da, wenn du mich rufst,
muss da sein, Bester, denn du selbst erschufst
das Bildnis, das in deinem Herzen wohnt
Du bist die Sonne ja und ich der Mond!
Du bist der Schöpfer, ich bin deine Tat
Du selbst bist Herr, nur du verübst Verrat
Nicht ich, wenn ich nicht mehr erscheine
Weil du ein Dasein vorziehst, ganz alleine
fern aller Menschen, ohne Lieb und Lust
nur mit dem Ärger stets in deiner Brust
dass nichts so ging, wie du es ausgedacht.
Und stets verließt du dich auf deine eigne Macht.
Dann kam der Sturz, und als du lagst danieder
da kamen alte Sehnsuchtsbilder wieder
Du wolltest Lust, du wolltest zu dem Weib
doch war zerschunden nun dein Lebensleib.
Um Lust zu geben und sie zu empfangen
heißt es jetzt ganz von vorne anzufangen.
Ich selbst bin ja nur deine Illusion
und wie ich ankam, so entschwind ich schon.
Wilhelm
Halt ein, ich fleh dich an, was soll ich tun
um voller Lust in deinem Schoß* zu ruhn?
Isolde
Zuallererst komm wieder auf die Beine
und wenn du lieben willst, lieb erst das Kleine,
lass es ins Herz, und fühle wie es leuchtet
und deine harte Innenschicht befeuchtet.
Gib dich ihm hin, und nähre seine Glut
und freu dich dran, und nähre nicht die Wut
wenn andre dir mit Liebe nicht begegnen.
Beginne, jede Liebestat zu segnen.
Verbinde dich mit dem, was um dich ist
denn nur im andern fühlst du, wer du bist.
So lernst du leben, lernst du selbst zu sein
im liebend Wechselspiel, nicht mehr allein.
Jetzt muss ich gehn, verflossen ist die Nacht
die mich im Mondeslicht zu dir gebracht.
Gewinn mich neu in frischer Tageshelle
indem du sprudeln lässt der Liebe Quelle.
Isolde geht ab
Wilhelm schläft erschöpft ein.
—–
*Anm: gr. κολπος (kolpos) bedeutet auf deutsch nicht nur „Bucht“, sondern auch weiblicher „Schoß“ bzw vagina. Durch diese Assoziation erklärt sich, dass Wilhelm immer von der „Bucht“ träumt, die er erreichen muss. Mit „Schoß“ bzw „Bucht“ ist sowohl die früheste mütterlichen Umarmung als auch die spätere Vereinigung des Mannes mit der Frau assoziiert.
Oh durch welche Tiefen muß Wilhelm erst gehen! Und aus welchen weisheitsvollen Höhen spricht nun Isolde die rettenden Worte, die Wilhelm wohl zur Besinnung und Verwandlung bringen werden, nehme ich an. Ja, es ist wirklich spannend, Gerda, und ich staune über die unvorhersehbaren Wendungen .🌞💕🍀
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Ja, er hat es nicht leicht. Wer nur als Überleben denkt und hortet, anstatt ans Leben und Teilen, muss tatsächlich ganz von vorn anfangen. Nun hat er den Boden erreicht, und es kann eigentlich nur noch aufwärts gehen.
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Ja, das glaube ich auch, Gerda.🙋
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