Heiligt der Zweck die Mittel?
„Ich finde,“ kräht Dora, der ich mein gestriges Poem zur Erfindung der Lyra vorgelesen habe, „diesen Typen, wie heißt er doch gleich, ja, Merkur, den finde ich überhaupt nicht witzig. Die arme Schildkröte totzumachen!“
„…und auch eins von Apolls Sonnenrindern“, erinnere ich sie bereitwillig. „Aber vielleicht heiligt der Zweck ja die Mittel? Immerhin hat er uns die Lyra geschenkt. Aus der haben sich dann all die anderen Saiteninstrumente entwickelt. Ohne Hermes gäbe es weder die Harfe noch die Gitarre, weder die ….“
„Blech!“ empört sich Dora. „Ich hab ja gar nix gegen die Lyra, aber konnte er dafür nicht was anderes nehmen? Holz vielleicht? Wahrscheinlich war es dem Faulpelz zuviel Arbeit. Einfacher ist es natürlich, einer Schildkröte den Garaus zu machen. Stell dir vor, ich würde das Kätzchen hier totmachen, weil ich kalte Füße habe und grad nix anderes zur Hand ist, um mir Hausschuhe herzustellen. Ich glaube kaum, dass du da so großzügig mit deinem Urteil wärst. Du würdest mich anflehen, das kleine süße Kätzchen leben zu lassen. Oder etwa nicht?“
Das Kätzchen! O weh, ja! Heute kam es mauzend angewackelt, dabei hatte ich schon gehofft, Prinkipessa hätte ihre Brut woanders hinverfrachtet. Aber nein, es steckte hinter dem Winterholzvorrat, wuchs heran und verlangt nun Lebensrechte. Die großen Geschwister sind nicht begeistert, aber was sollen sie tun? Sie dulden es. Mein Mann hat den keinen Wicht sowieso schon ins Herz geschlossen. Und ich gehöre auch nicht zu denen, die sagen, man sollte aus überflüssigen Katzen am besten Hausschuhe machen. Also sage ich kleinlaut: „Aus dem Kätzchen werden keine Hausschuhe gemacht, solange ich hier das Sagen habe.“
„Und aus Schildkröten keine Lyra, solange ich das Sagen habe!“ kräht Dora.
„Für die Lyra nehmen wir den Panzer einer toten Schildkröte,“ schlage ich vor. „Ich hab da sogar einen von Karen prächtig bemalten…“
300 Wörter
„
Hat Prinkipessa schon wieder zugeschlagen? Wolltest du sie nicht sterilisieren lassen? Aber so ein besonders süßes Kätzchen …
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Prinkipessa ist weiterhin total scheu, sie verschwindet und schleicht nur zum Fressen heran, wobei sie erst an den Napf geht, wenn ich mich entfernt habe. Zwei ihrer Kinder, wenngleich zutraulicher als sie, lassen sich auch nicht anfassen. Nur Fritzi liebt es zu schmusen, die könnte ich auch sterilisieren lassen. Auch dieser kleine putzige Wicht ist total zutraulich, obgleich er ja noch niemals zuvor Menschen gesehen hat.
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Katzen sind wohl ziemlich unberechenbar, vor allem wenn sie halb wild leben
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Schon wieder ein Kätzchen? *lächel* Ich könnte auch keines töten, Gerda!
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Das ist die Frage, ob der Zweck die Mittel heiligt, wohl wahr, und auch das ist eine Frage, die die Etüden bestenfalls anreißen können.
Das Kätzchen ist jedenfalls sehr süß. 🧡
Abendgrüße 😾🍷🍪👍
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Boah ey, ein Kätzchen für Hausschuhe töten, da werde ich gleich wild. gott-sei-Dank ein Happyend, LG Petra
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Na klar! Kätzchen für Hausschuhe – das fehlte ja noch. …. Leider ist es aber nicht sehr weit hergeholt. Viele liebenswerte Tiere opfern ihr Fell, damit die felllosen Menschen es warm haben. Und viele Tier-Sehnen landen auf Geigen und Gitarren, damit sie einen guten Klang erzeugen.
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Danke für diesen Text. Er ist Balsam für meine Seele, nachdem ich mich so abrupt von der liebgewonnenen Schildkröte verabschieden musste. Wie recht Dora hat! Ich wünsche dir ein tolles Mitten-Wochenende!!
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🙂 Danke, Alexander
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Deinetwegen kam die Frage auf, lieber Alexander. 🙂
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Es ist verrückt, wie wenige Worte so dichte Zusammenhänge kreieren, wie ich die Schildkröte behäbig vor mir sah, freundlich, nichtsahnend, fröhlich, vielleicht noch an ein Salatblatt denkend, langsam voranschreitend, dem Licht, dem Grünen entgegen. Nun existiert sie in der Imagination, Dank dir, Gerda! Wie schön ist das! Wenige Sätze können Welten erweitern und vergrößern. Vielleicht ist es das, was ich an Literatur so mag. Viele Grüße!
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Herzlichen Dank, Alexander. Von der Natur schreitet sie gemächlich zum Wort und gleitet hinüber in die Imagination, die Schildkröte. Dort zupft sie nun an einem Salatblatt, an das sie zuvor dachte und das nun ganz real vor ihr liegt…. 😉 Vielleicht ist es das, was ich an der Imagination so mag. 🙂
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Schau auch mal hier, wenn du magst, lieber Alexander:https://gerdakazakou.com/2017/02/02/griechisches-alphabet-des-freien-denkens-%cf%86-wie-%cf%86%ce%b1%ce%bd%cf%84%ce%b1%cf%83%ce%af%ce%b1/
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