Trakls Gedicht „Verklärter Herbst“ begleitet mich, als ich, immer dem Lauf des Rheins folgend, mit dem Zug von Düsseldorf nach Frankfurt fahre, mit der Zeile: „Wie schön sich Bild an Bildchen reiht….“. 1913, 26jährig, schreibt Georg Trakl das Gedicht. Ein Jahr später ist er tot (Grodek*).
Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.
Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
Gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.
Es ist der Liebe milde Zeit.
Im Kahn den blauen Fluß hinunter
Wie schön sich Bild an Bildchen reiht –
Das geht in Ruh und Schweigen unter.
Wie schön sich Bild an Bildchen reiht… Kein Vogelzug freilich. Und nicht Herbst, sondern Hochsommer – jedenfalls der Jahreszeit nach. Ich klebe mit der Nase am Zugfenster. Vater Rhein! Nichts soll mir entgehen. Linkerhand der Fluss, Niedrigwasser, ab und an die Andeutung einer Stromschnelle, dann und wann ein Lastkahn, breite Sandbänke, Vögel versammeln sich drauf, die Wälder auf den jenseitigen Hügeln wirken leicht verdorrt. Kirchen gleiten ins Blickfeld, Burgen, Siedlungen, Fabriken, ein Atomkraftwerk. Sagt ein Landmann: Es ist gut? Abendglocken tönen herüber. Über allem scheint mir eine tiefe Müdigkeit zu liegen. Schwer zu sagen, ob es meine Müdigkeit ist oder die des Landes, das ich nach so vielen Jahren wiedersehe.
Reisen. Eigenes Erinnern schiebt sich unter die Eindrücke der Gegenwart und färbt sie ein. Bilder des Heute und Jetzt schieben sich über liebliche früherer Jahrhunderte. Natur und menschlicher Eingriff, Geschichte und Gegenwart sind einen Moment lang im Gleichgewicht. Die Seele wird ruhig im Anblick der Bilder, die aus dem Repertoire der Romantiker zu stammen scheinen.
Diese Landschaften sind nur mehr Kulissen für Dramen, die längst zu Ende gespielt wurden, sagt der Kopf. Doch was tut’s? Tief im Innern lösen sie Echos aus, die zu vibrieren beginnen und zu tönen.
Das Echo tönt, und ich lausche und höre:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten
Das kommt mir nicht aus dem Sinn….
(Heinrich Heine, Loreley, 1824)
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- In und um Grodek fanden zu Beginn des Ersten Weltkriegs einige schreckliche Schlachten statt. Die kaiserliche österreich-ungarische Armee rang mit der zaristischen russischen Armee um Galizien, Hauptstadt Lemberg, heute das west-ukrainische Lwiw. Trakl schrieb dort das unsterbliche Gedicht Grodek. Er selbst starb, unfähig, das Grauen zu ertragen, an einer Überdosis Kokain.
Wie viele Künstler schrieben jung in früheren Zeiten Bedeutendes… Es scheint, als bedürfte es in heutigen Zeiten uns etwas Älteren, daran zu erinnern, was bald auf ewig verloren …
Im Verstehen: Wunderbar geschrieben.
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Danke, Stefan. „Bald auf ewig verloren“ klingt grausam. Ich denke, immer wird es Menschen geben, die Gesagtes, Geschriebenes, Komponiertes, Gemaltes von Generation zu Generation weiterreichen
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Meine frühere Heimat- die Burgen, die Weinberge, Vater Rhein…Stätten meiner Jugend…in Bildern, die Schwingungen verursachen…
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Wie schön! Ich war nur als elfjähriges Kind einmal dort. Es war meine erste Reise überhaupt.
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Eine Deutschlandreise zeigt neue Gerda – Facetten.
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sicher, es ist ja ein anderer Βlickwinkei. 😉
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Wunderbar, aber zugleich melanholisch… , eine dichterische, einfühlsame Sprache!
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Danke Gisela. Ja, ein wenig melancholisch stimmte mich diese Landschaft schon. Schuld ist wohl der große Strom, der jetzt so wenig Wasser führt..
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Ach, das Mittelrheintal, ja, lange ist es her, dass ich dort war, und noch länger, dass ich am Rheinufer gesessen habe. Hatte der Rhein genug Wasser, hast du viele Schiffe gesehen?
Morgenkaffeegrüße ☁️🌳☕🍪🌼👍
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Niedrigwasser, wie ich ja schrieb. Müde der alte Vater Rhein. s gab nicht sehr vielle Schiffe, ich hatte mehr Frachter erwartet.
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Sehr schöne verbale Zugfahrt, liebe Gerda, wundervoller Text mit feinen Gedichten und schönen Bildchen an Bildchen gereiht *lächel*
Hab einen schönen Tag!
LG vom Lu
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Danke dir, lieber Finbar Lu!
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🕊🎶🎵🎶🎵🎶🎵🎶🐦
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Nun bin ich mit Dir im Zug gereist, liebe Gerda. Eine Fahrt, die Dich in die Erinnerungen trieb. So ganz lassen sie uns ja nicht los..
Tracl, wundervolle Worte, aber viel zu früh sein Tod. Das Grauen zu ertragen und nichts dagegen tun zu können muß entsetzlich für ihn gewesen sein.
Ich hoffe, es war eine gute und richtige Entscheidung, nach Deutschland zu reisen und noch viel besser, so denke ich, ist es nun doch wieder dort zu sein, wo Du Dich wirklich zuhause fühlst!
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warum sollen sie uns denn auch loslassen, die Erinnerungen, liebe Bruni`? Sind sie nicht dasselbe wie das gerade ablaufende Leben, nur zeitverschoben? Wir tragen doch alles in uns.
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Warum sie loslassen könnten oder sollten, liebe Gerda?
Vielleicht , weil sie bei Licht besehen unwichtig geworden sind? Weil es neue Erfahrungen, Erinnerungn gibt, die alles ausfüllen? Das, was einst schwer erschien, ist nun vollkommen nebensächlich / unwichtig ?
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Danke, liebe Bruni. Ja, es war eine sehr gute Entscheidung zu reisen. Und ja, es ist sogar noch besser, wieder hier zu sein, wo ich mich Zuhause fühle.
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Das dachte ich mir fast, liebe Gerda! *lächel*
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