Ich sehe Dora unter dem Zitronenbaum stehen. „Was schaust du da?“ frage ich neugierig. „Ich weiß nicht, was ich davon halten soll“, antwortet sie ungewöhnlich nachdenklich. „Wovon?“ frage ich und trete näher.
„Na, davon! Der Baum hat Knospen und Blüten, und also ist Frühling, oder?
„Ja, klar!“ antworte ich. „Jetzt ist Frühling, und da blühen die Bäume. Ich dachte, das wüsstest du.“
„Und was ist das daneben? Was ist da passiert?“ – „Nun“, sage ich, „das ist ein Fruchtansatz. Daraus entwickelt sich dann später die Frucht. Im gegebenen Fall eine Zitrone.“
„Hm“, macht Dora, „was meinst du mit später? Diese Zitrone ist jedenfalls schon da.“
Dora hat recht. Zitrone, Fruchtansatz und Blüte befinden sich gleichzeitig am Baum. „Ja, stimmt“, sage ich dann auch. „Du hast Recht. Zitrone, Fruchtansatz und Blüte entwickeln sich gleichzeitig am Baum.“ – „Dann ist jetzt also nicht Frühling? Oder was?“ – „Doch, klar ist Frühling.“ –
In Doras Köpfchen arbeitet es. Schließlich stottert sie heraus: „Und ich, bin ich jung, oder bin ich schon später?“ – „Du?“
Verwirrt schaue ich auf Dora. „Was hast du mit dem Zitronenbaum zu tun? Du bist Dora und das hier ist ein Zitronenbaum. Ihr seid verschieden.“ Ich verbeiße mir den Zusatz, dass der Zitronenbaum viele Jahreszeiten kennt, die sich ineinander schieben, während Dora ja nur einen einzigen Jahresablauf hat. Ein Drittel ist schon rum. Nach Menschenmaß ist sie etwa 33 Jahre alt.
„Du bist keine Knospe mehr, kleine Dora, sondern eine offene Blüte,“ füge ich hinzu. „Mal sehen, welche Frucht aus dir noch wird.“
Lange noch sehe ich Dora über der offenen Blüte stehen, in der sich der Fruchtansatz bereits zeigt.
Ja, welche Frucht bildet dieses Jahr wohl aus? Eine saure wie die Zitrone oder eine süße leicht vergängliche wie die Aprikose, einen herzhaften Apfel oder eine Birne, deren Kerngehäuse schon angefault ist… oder was?
Und ich denke: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“
Ein Drittel schon wieder rum. Ein schönes Bild, dass Dora nun bereits eine Blüte ist. Sonnige Grüße
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Blüte mit Fruchtansatz – und ich weiß noch nicht (wer wüsste es!), welche Frucht sich entwickeln will. Krieg oder Frieden? Wohlstand oder Armut? Freiheit oder Überwachungsstaat? Güte oder Hass ohne Ende?
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Vielleicht ist es besser die Antwort nicht zu wissen. Wie sollte man dann weiter machen? Liebe Grüße und einen schönen Sonntag.
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Nun, egal ob man es weiß oder nicht: es kommt ja, was kommt, oder? Sofern wir die Menschheitsentwicklung den Unheils-Mächten überlassen. anstatt mit vereinten Kräften umzusteuern. Aber was rede ich. Ich weiß ja auch nicht, wie das zu bewerkstelligen wäre.
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Das stimmt auch wieder. Es kommt was kommt. Ich wusste es auch nicht Gerda, es gibt so vieles, das im Argen liegt.
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Das las ich gerade und fand es gut: „Was wir heute tun, entscheidet darüber, wie die Welt morgen aussieht“.
Marie von Ebner-Eschenbach
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Ein schönes Zitat. Tröstlich, weil es jedem die Möglichkeit gibt etwas zu tun und nicht nur passiv zu verharren.
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Dora bei der Blüte, – wunderbar!
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Danke, Gisela!
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Tja, wie wird sich das Jahr entwickeln? Jeder Tag ist spannend und ängstliches Herzklopfen bringt er auch…
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