Dora zum Ersten

Heute morgen schon gab mir Dora (*Anmerkung unten) die erste Lehrstunde. Ich hatte mich gegen zwei ins Bett gelegt und bis acht nicht schlafen können, überhaupt nicht.

„Sind das deine versprochenen Gaben?“ frage ich Dora, als sie frisch geputzt im hellen Tageslicht erscheint. „Ist Schlaflosigkeit dein erstes Geschenk im Jahr 2022?“

„Losigkeiten führe ich nicht im Gepäck“, antwortet sie schnippisch.

„Ja, warum aber…, ich bat dich doch um Schlaf, aber du ….“

„Da musst du schon bei dir selbst anfragen“, gibt sie mir Bescheid und verzieht ihr Frätzchen. „Wie war das doch gleich? Abends noch Kaffee trinken, in der Nacht noch schwer essen, bis zwei Uhr am Computer sitzen – was meinst du, wie der Schlaf das findet… ähäm, wie er dich finden soll? Aber wenn du willst, frag ich ihn, vielleicht erbarmt er sich.“ – Und so war es. Der Schlaf kam und blieb bis elf.

So konnte auch ich dem 1. Tag des Neuen Jahres mit offenen Augen begegnen. Dora hatte alles wunderbar eingerichtet: die Sonne schien – der Kaffee war warm – das Auto funktionierte – das Lädchen, in dem ich Oliven und Tomaten kaufen sollte, war geöffnet – das Meer, das der Küste in stürmischen Nächten arg zugesetzt hatte, rollte zufrieden glänzend in seinem Bett – eine Menge Schwemmholz wartete darauf, von mir eingesammelt zu werden, um den Kamin anzuheizen – eine Freundin erschien zum gemeinsamen Bummel – ein alter Mann erklärte uns geduldig, wie er die Algen, die er am Strand sammelte, als Bodendünger zubereitete … Zu Hause war der Tisch auf der Turmterrasse schnell aufgebaut und deckte sich mit leckeren Speisen. Wein und gute Gespäche waren auch zur Stelle. Danach legte ich mich hin, und Dora brachte mir noch ein Mützchen voll Schlaf.

Gaben, Gaben, Gaben. Danke, Dora!

Wenn man so reich beschenkt wird, möchte man gern ein wenig zurückgeben. Womit aber kann ich die kleine Dora beglücken? Vielleicht mit einem Legebild aus Scherben? Hier sieht man sie, wie sie zwei traurige Gestalten mit einem goldenen Ball beschenkt hat. Die eine bolzt gleich los, die andere schaut bedenklich. Vielleicht haben sie keine Ahnung, wozu der goldene Ball dient?

Diese hier erhielten auch einen goldenen Ball, und wie es scheint, hellt sich etwas in ihnen auf, sie spielen zusammen und werden ein ganz klein bisschen glücklicher.

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*Anmerkung: Der Name dieses Jahres ist Dora (ΔΩΡΑ). Das wurde mir bereits vor Tagen, als die Welt mit dem Neuen noch schwanger ging, ins Ohr geflüstert. Dora ist griechisch. Es ist nicht nur ein schöner Frauenname, sondern hat auch eine schöne Bedeutung, nämlich „Geschenke, Gaben“. Als Name ist es eine Abkürzung von Theodora (Gottesgeschenk), männlich auch als Theodor, oder auch in umgekehrter Reihenfolge Dorothea (Geschenkgöttin).

Das letzte Jahr hieß Will.i = ich will.  Wollen ist wichtig,  es gibt dem Handeln eine Richtung. Aber wenn die Umstände dem Wollen entgegenstehen – nützt es etwas, sich den Kopf einzurennen? Nein. Vor allem aber: Macht es glücklich?

Und da kommt nun das neue Jahr heraufgezogen und verkündet: „Ich heiße Dora. Hör auf zu wollen; empfange!“ Als ich das hörte, zog eine Seligkeit in mich ein. Wie schön! Alles wird sich von selbst schön richten. Ich muss nicht mehr wollen und mir den Kopf einrennen, ich darf empfangen. Ein Jahr des Segens. Aber schon kamen Zweifel auf: Geschenke – ist das nicht auch ein zweischneidiges Schwert? Ich bekomme zwar gern Geschenke, aber einfach so, unbesehen, in Empfang nehmen, was kommt? Was steckt im wohlverschnürten Päckchen drin?  Wenn mir das Geschenk nicht zusagt – kann ich es zurückgeben? Und grundsätzlich: Ist Empfangen nicht entsetzlich passiv? Ich mag die Kontrolle über mein Leben und seine Umstände nicht an ein unbekanntes Wesen abgeben.

Was es mit Dora TATSÄCHLICH auf sich hat – ich werde es ja erleben.

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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31 Antworten zu Dora zum Ersten

  1. nandalya schreibt:

    Wie gut ich dich und Dora doch verstehen kann. 😊

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  2. Leela schreibt:

    der Schleier zerrissen, nie für möglich Gehaltenes Wirklichkeit geworden mit der Aussicht auf Schlimmeres. Das lässt sich nicht rückgängig machen. Augen nehmen anders wahr. So ist das bei mir.
    Aber Augen können das Blickfeld wechseln, Auftank-Oasen entdecken, kleine Doras, überall…
    Dora habe ich jetzt schon ins Herz geschlossen. Mal sehn, ob sich hier auch welche verstecken… 😊 verraten wird das aber nicht…

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    • gkazakou schreibt:

      Danke, Leela! Ich bin mir über Dora noch nicht ganz schlüssig, weiß nicht, was sie im Schilde führt. Der im Griechischen sehr geläufige Spruch: „Fürchte die Danaer, wenn sie Geschenke bringen“ (bezieht sich aufs hölzerne Pferd, das den Untergang Trojas zur Folge hatte), kommt mir nicht aus dem Sinn. Sicher ist, dass Dora etwa mit mir macht:

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  3. wildgans schreibt:

    Man muss einfach SEIN jetzt und in seinem Leben jonglieren und balancieren, gut, wenn man dabei festen Grund fühlen darf ! Wir schaffen uns so einen, mitunter einen Namens Dora!

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  4. Danke für Dora, ich werde sie in Gedanken mitnehmen, damit sie mich darauf aufmerksam macht, wo ich die vielen Gaben nicht sehe, die mein Leben bereichern.

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  5. Gisela Benseler schreibt:

    Vielleicht macht dies Wesen ja manche Menschen etwas glücklicher. Und Deine Landschafts-Photos als Kulisse kommen erneut schön zur Wirkung. Und natürlich wirst Du Dich selbst darin erneut vielseitig entfalten.

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  6. Verwandlerin schreibt:

    Sehr schöne Gedanken, liebe Gerda!

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  7. Zuviel Gaben machen unzufrieden, deshalb ist weniger manchmal mehr!
    Lassen wir uns überraschen was für Gaben uns gegeben werden und vielleicht ist die ein oder andere ein Segen.

    Gerda alles GUTE für daß Jahr 2022

    Übrigens haben wir aus dieser Jahreszahl die Quersumme 4 ! Laut Numerologie eine Glückszahl! 😁🍀🍀🍀🍀

    Liebe Grüße Babsi

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    • gkazakou schreibt:

      Danke, Babsi. Da hast du recht: ein Zuviel kann erstickend sein. An erster Stelle kommt es wohl drauf an, worin die Gaben bestehen, die man erhält. Nicht alle machen ja glücklich. Das beste Geschenk ist, wie du letztens schriebst, die Freundschaft und das Gefühl, nicht allein zu sein..

      Übrigens: die Quersumme von 2022 ist nicht vier, sondern sechs. Vier ist das Quadrat und die Zahl der Erde, sechs ist der Würfel (Kubus) mit seinen sechs Seiten, und bedeutet wiederum die Erde und das Schicksal (Zufall).
      Die Sechs wird auch als Hexagramm dargestellt, aso als zwei ineinander tauchende Dreiecke, die die Verbindung von Oben und Unten, Gott und Menschheit symbolisieren (Siegel des Salomon, „Davidstern“).

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  8. Liebe Gerda, auf diesem Wege ein frohes neues, freies und freudiges Jahr 2022! Alles Liebe, Sarah ❤️💫🌸

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  9. Lopadistory schreibt:

    Bin neugierig wie es weitergeht mit Dora …

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  10. Mitzi Irsaj schreibt:

    Dora also. Es heißt wahrscheinlich nicht umsonst, dass schenken schöner ist als beschenkt zu werden. Der gestrige Tag scheint ein Geschenk zu sein, das sich leicht annehmen lässt. Auch hier Sonne satt. Das Jahr beginnt mild und versöhnlich.

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    • gkazakou schreibt:

      Ich sehe, du verstehst schon, wie trickreich dies Jahr werden kann. So trickreich wie schenken und beschenkt werden eben. Die Sonne lässt sich auch heute nicht lumpen und alle sind mild versöhnlich gestimmt, dass es eine Freude ist.

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  11. elsbeth weymann schreibt:

    Dora faziniert mich!!
    Hat das Grundwort ihres Namens, doron, wie in vielen Sprachen, nicht auch den Doppelcharakter von empfangen UND geben ? Im Moment stolpere ich gerade über Wörter, die eine umfassende Wahrnehmung, ein Empfinden ausdrücken, das sich nicht adäquat wiedergeben lässt. Das aber dennoch durch Umschreibung das eigene Wahrnehmen, Erinnern, Empfinden deutlich bereichert.
    Hierzu —ein paar Geschenke durch Sprache(n)
    „Sie schaute aufs Meer, in die tiefe ruhige Dunkelheit, und sagte zu mir: “Sieh nur, wie stark dieser yakamoz leuchtet!“ Ich folgte ihrem Blick, konnte aber nirgendwo ein starkes Leuchten entdecken. “Wo denn?“ fragte ich sie. Sie deutete erneut aufs Meer, doch ich wusste nicht, was sie meinte. Lachend schalteten sich meine Eltern ein und erklärten, was das Wort yakamoz bedeutet: Es beschreibt die Reflexion des Mondes auf dem Wasser. Und jetzt SAH ich auch das helle Leuchten vor mir in der Dunkelheit. Yakamoz.
    So beschreibt das japanische Wort komorebi das Sonnenlicht, das durch die Blätter von Bäumen schimmert. Gurfa, ein arabisches Wort, steht für die Menge Wasser, die sich in einer Hand schöpfen lässt.“ Aus : Kübra Gümüsay, Sprache und Sein. Berlin 2020, S.11

    Bin gespannt, was sich mit, durch DORA noch alles zeigen wird!
    Ein gutes Neues Jahr !!!
    Sehr herzlich ,
    Elsbeth

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    • gkazakou schreibt:

      Liebe Elsbeth, da hast du mich reichlich beschenkt mit neuen sehr schönen und sinnreichen Wörtern! Wie du sagst – und sicher auch empfandest, als du diese Wörter mir schenktest – ist doro – das Geschenk – zu allererst ein Geben. Das Empfangen, Annehmen, Wertschätzen ist die notwendige Ergänzung, ohne die das Geben eine leere Geste bleibt. Gute Empfänger zu finden ist mindestens so schwer wie gute Schenker! Das fängt ja schon bei der Geburt an: Das Leben wird dem neuen Erdenbürger geschenkt – und sofort beginnt die Nörgelei. Warum es so und nicht anders geschenkt wurde. Auch gute Schenker zu finden, ist natürlich nicht einfach: die einen verschenken was sie selbst nicht mehr brauchen, andere verschenken, was ihnen selbst gefällt, ohne zu schauen, ob es dem Beschenkten überhaupt Nutzen bringt, wieder andere wollen immer nur geben und nie nehmen und schaffen dadurch ein ärgerliches Ungleichgewicht. Andere wieder, und das sind nicht wenige, denken, der Beschenkte habe nun eine Dankesschuld, und sind empört, wenn er sie nicht einlöst. Kurzum, es ist ein riesengroßes Thema, das sich, so hoffe ich, mit eurer aller Hilfe hier in den Kommentaren entfalten soll.
      Liebe Grüße zu dir hin! Gerda

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  12. Erstmal hat sie Dir das gesagt, was wichtig war. Die Schlaflosigkeit hattest du selbst zu versntworten. Keiner sonst, aber hilfsbereit könnte Dora tstsächlich sein, liebe Gerda. Du scheinst es auch zu bemerken. Deine Sinne sind frei und offen und sie hoffen auf Gutes, was ein Jahr, das einen so feinen wundervollen Namen trägt, auch bringen könnte – wenigtens in Ansätzen und in dem Aufeinanderzugehen …

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  13. Johanna schreibt:

    Warum denke ich an den Froschkönig mit der goldenen Kugel…?

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    • gkazakou schreibt:

      weil das naheliegend ist, liebe Johanna. Ich dachte auch daran. „Da ist ein junges Mädchen, fast noch ein Kind, und spielt im Wald nahe einem Brunnen mit seiner goldenen Kugel. (Die goldene Kugel ist die Vollkommenheit des Kindes, die unangefochtene, intakte Unschuld und Jungfräulichkeit). Und wie es so spielt, rollt die Kugel in den Brunnen, „der war tief, so tief, dass man keinen Grund sah“. Es ist untröstlich, denn es kann die Kugel nicht aus eigener Kraft zurückholen. Aber da ist ein Frosch, der aus dem trüben Wasser emportaucht“. Nachzulesen bei https://gerdakazakou.com/2019/06/23/froschkoenig-reblogged-aus-anlass-der-abc-etueden/

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  14. Ulli schreibt:

    Nun, liebe Gerda, mit Geschenken darf man ja bekanntlich machen was man will. Das ist das eine, das andere ist die Freude aufs Empfangen, ohne etwas dafür tun zu müssen. Ich finde Dora ist ein Licht im Dunkeln, sie macht mich gerade froh.

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