23.2.2021 Will.i und das perspektivische Zeichnen (kleine Beobachtungen)

Seit ich mit Will.i das erste Mal über das räumliche Sehen gesprochen habe, ist fast ein Monat vergangen – hier.

Damals schrieb mir Jules van der Ley im Kommentar: In NRW ist Perspektive im Kunstunterricht der 9. Klasse vorgesehen. Versuchsweise haben wir das Thema in der 7. versucht zu unterrichten, mit wenig Erfolg. Vor der 9. ist die Konstanzleistung des Gehirns zu dominant. Ein Teller wird immer als rund gesehen, obwohl er perspektivisch eine Ellipse ist. Die perspektivische Darstellung erfordert, von der Wahrnehmung zu abstrahieren und zu erkennen, dass unsere räumliche Wahrnehmung eigentlich eine Falschnehmung ist.

Will.i war damals erst 28 Tage alt und wohl noch zu klein, aber inzwischen ist er ja schon 54 Tage oder umgerechnet in seinem 15. Lebensjahr.  Ja, ja,  die Zeit verfliegt!

Als ich ihn gestern einen Teller zeichnen ließ, wurde es durchaus kein Kreis, sondern glich eher einer Ellipse, und so fragte ich ihn, was er inzwischen über das perspektivische Sehen wüsste.  Viel war es nicht. „Teller sehen manchmal aus wie fliegende Untertassen“. Ach so, ja, hat er wohl irgendwo gesehen. „Aber kannst du ein Haus perspektivisch richtig zeichnen? Weißt du, wie man das macht? Schau mal dies Haus hier. Du erinnerst dich? Wo habe ich gesessen, als ich es zeichnete?“

„Na, am Strand, was weiß ich!“ – „Schau mal genau hin: Kannst du an der Zeichnung erkennen, wo ich gesessen habe?“ Bereitwillig betrachtet Will.i die Skizze. „Rechts und unterhalb vom Haus, denn du siehst einen Teil der Hausseiten, viel von der unteren Mauer und wenig vom Dach. Und das Geländer verläuft ein bisschen schräg.“ – „Richtig, Will.i! Und wie müsste ich das Haus zeichnen, wenn ich es, sagen wir mal, von links aus gesehen hätte?“ – „Hm, dann würdest du eben die linke Hauswand sehen, soweit sie nicht vom Baum verdeckt wird.“ – „Und das übrige Haus? Wie würde ich das sehen?“ – „Kommt drauf an“, ist Will.is ziemlich desinteressiert klingende Antwort. Aber als ich das Haus nun noch mal skizziere, fängt er an, sich für das Thema zu erwärmen.

und zeichnet zu jeder Position rechts – von links unten – von vorn – von rechts oben die vermuteten Veränderungen am Haus ein, bis man schließlich nichts mehr erkennen kann. Also nehmen wir jetzt das Foto vom 28.1. und ich erkläre, so gut ich es kann, wie man eine perspektivische Zeichnung macht: „Also,“ sage ich, „wir standen hier rechts, gut, das bist du. Deine Augen sind auf der Höhe der gelben Linie, ok? Gut.  Nun lässt du deinen Sehstrahl über die Seiten des Hauses gleiten und merkst was?“ – „He, ja! Alle Schrägen, die du hier rot reingezeichnet hast, laufen in meinem Auge zusammen!“. – „Klar, wo denn sonst?“ frage ich.  – „Aber…“

„Ja, ich weiß, da sind auch noch die grünen Linien, aber lass mal für den Moment. Probieren wir es noch mal an einem anderen Bild, ja? Wo stehst du da?“

„Die kenn ich, das ist die Fußgängerbrücke über den Nedousa. Wo ich stehe? Na, hier irgendwo, außerhalb des Bildes. Aber nun laufen die roten Linien ja nicht in meinem Auge zusammen?“ – „Stimmt. Sie laufen auf einem Punkt der gelben Linie zusammen. Die gelbe Linie zeigt deine Höhe an, also wie groß du bist oder wenn du auf einer Leiter stündest … aber du steht ja auf keiner Leiter. Wo die roten Linien auf die gelbe treffen, ist der sogenannte Fluchtpunkt. Von deinen Augen zu diesem Punkt verläuft als gerade Linie dein Sehstrahl. Verstehst du?“ -„Also nicht wirklich. Wieso laufen die roten Linien einmal von mir aus gesehen auseinander, das andere mal aber zusammen?“

Seufz. Gute Fragen hat das Kind, das muss ich schon sagen. Und ich dachte, ich hätte verstanden, wie es sich mit dem perspektivischen Zeichnen verhält.  Aber anscheinend habe ich keine Ahnung. „Vielleicht probieren wir es mal mit einer Konstruktionszeichnung, um es besser zu verstehen? Also: Sagen wir mal, du schaust von einem sehr hohen Gebäude in eine Straßenschlucht. Deine Augen sind auf der Höhe der Horizontlinie, die ich hier mal sachte auf 2/3 Höhe einzeichne. Auf dieser Linie treffen sich alle Fluchtlinien – also die Schrägen – der parallel zueinander stehenden Häuserfronten….

Links haben wir noch ein Sträßchen mit einem anderen Gebäude. Die Fluchtlinien treffen sich wieder auf der Horizontlinie, aber an einer anderen Stelle, nämlich in dem Graffiti-Bild an der Hauswand, die uns anschaut.“

Uff! Stimmt das nun? Will.i schaut hin und her, probiert es auch mit eigenen Zeichnungen. Aber weder er noch ich sind uns sicher, ob wir das Prinzip richtig verstanden haben. Da werden wir wohl noch ein bisschen mehr nachdenken müssen.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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13 Antworten zu 23.2.2021 Will.i und das perspektivische Zeichnen (kleine Beobachtungen)

  1. Mitzi Irsaj schreibt:

    Ob ich das Prinzip ganz richtig verstanden habe, kann ich nicht sagen. Ganz sicher bin ich mir aber, dass ich euren Gesprächen sehr sehr gerne lausche. Interessant, mit euch gemeinsam die Skizzen anzusehen und die Perspektiven und Blickwinkel anhand der Bilder nachzuvollziehen.

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  2. Johanna schreibt:

    Ja von diesen Erklärungen, Zeichnungen und Nachforschungen will ich auch mehr hören! Hoffentlich kappiere ich es dann auch gleich mit 😅

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  3. Susanne Haun schreibt:

    Das erinnert mich an mein Wahlpflichtfach Darstellende Geometrie im Abitur, liebe Gerda. Das hat viel Spaßgemacht und ich habe viel gelernt.
    Liebe Grüße von Susanne

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  4. Das ist sehr interessant und aufschlussreich! Ich versuche seit Jahren das zu verstehen – habe dafür keine Begabung für das perspektivische sehen oder gar zeichnen / es ist sehr schwer für mich. Ich muss mich regelrecht dazu überwinden das zu entwickeln weil ich es eigentlich sehr gern tue, das zeichnen… eine schöne Herausforderung. Vielleicht lerne ich mehr durch deinen Blog und vielleicht traue ich mich auch wieder ans zeichnen. Toller Impuls auf jeden Fall!

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    • gkazakou schreibt:

      Das würde mich nun sehr freuen, Sarah, wenn ich beitragen kann, dass du wieder mit dem Zeichnen anfängst. Zeichnen macht so viel Spaß und hilft so sehr, die Welt ruhig zu betrachten, wenn einem sonst alles zu schwer wird. Es kommt ja gar nicht auf das gute Ergebnis an, das sich erst langsam einstellt.

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  5. Ganz toll, liebe Gerda, wie Du dem Will.i das perspektivische Zeichnen erklärst.
    So kann ich es auch verstehen und ich weiß nun endlich, wem er sein Talent vererbt hat, Dein Vater, der Architekt war.

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