7.2.2021 Will.i und die Revision (Kunst am Sonntag)

Draußen ist indifferentes Wetter – nicht gut, nicht schlecht, nicht hell, nicht dunkel. Will.i langweilt sich. Er ist jetzt 28 Tage alt, immer noch ein Kind, aber nicht mehr so spontan wie am Anfang. Schlägt man ihm was vor, mault er erst mal, aber was Eigenes stellt er auch nicht auf die Beine. Ich fürchte, Will.i ist in der Phase, wo er will, aber nicht weiß, was er will.

„Anstatt hier rumzuhängen“, sage ich zu ihm, „könntest du mir im Atelier bei der Revision helfen. Wie du weißt, gibt es da haufenweise bemaltes Papier, und meine Versuche, einen Teil wegzuwerfen, sind kläglich gescheitert. Vielleicht sagst du mir, was sich aufzuheben lohnt.“

Also steigen wir ins Atelier hinunter, und ich ziehe das unterste Dossier aus dem Stapel. Blatt für Blatt nehme ich heraus und frage Will.i wie Aschenbrödel die Täubchen: Ins Kröpfchen oder ins Töpfchen? Weg damit oder behalten?

Am schnellsten urteilt er, wenn das Bild farbenfroh ist: „Behalten“.

Ist das Bild farbenfroh UND erzählt eine Geschichte, geht es noch schneller : „Behalten!“

Manchmal will Will.i wissen, wo ich es gemalt habe. Ich sage dann wohl: „Das war eine alte Ölmühle auf der Insel Lesbos. Da waren wir, wart mal, ich glaub, das war Anno 1974…

… Das Meer und die Steine davor waren ganz dunkel vom Öl oder vielleicht von Substanzen, die man zum Pressen benutzte. Ich erinnere mich noch sehr gut, obgleich es schon solange her ist. Ich habe damals noch mit dem Schul-Deckfarbenkasten meines Sohnes gemalt.“

„Gut“, sagt er, „die behalten wir dann wohl besser auch.“

Bilder mit Booten sind auch ok. Wo das war? Hm, vermutlich im Hafen von Kos…

Will.i gefallen auch abstrahierende Bilder, wenn sie ordentlich gezeichnet und gemalt sind. Ja, auch gemalt, denn ohne Farben „fehlt was“, befindet er. Und so passiert dieser Tempel von Samothrake die Hürde.

Schwieriger ist es bei den Bleistiftzeichnungen, die Will.i leichten Herzens ausrangieren würde, zumal das Papier dünn und schon ein bisschen angegilbt ist. Ich aber mag mich nicht von ihnen trennen. Jedenfalls ein paar kann ich retten.

Bei Stillleben ist es noch schwieriger, Will.i von ihrem Wert zu überzeugen. „Du hast doch inzwischen tausend neue gezeichnet, was willst du mit dem alten Kram?“ Ja, was will ich damit? Ich hänge einfach daran, grad weil sie so alt sind und mich daran erinnern, wie alles angefangen hat. „Behalten wir eine Federzeichnung und eine mit Bleistift“, sage ich, und Will.i nickt. Also wandern auch die ins Dossier zurück.

Freie abstrakte Versuche lehnt Will.i regelmäßig ab. „Was soll das darstellen?“ ist die Frage, die so prompt kommt, wie in anderen Zusammenhängen „Wozu ist das nützlich?“. Ich schmuggele aber doch das eine und andere Blatt zurück ins Dossier. Mir gefallen nämlich diese Experimente mit verschiedenen Medien.

Ich gebe zu, solche Sachen sind für ein Kind nicht besonders spannend, und so bin ich froh, noch auf ein frühes Bild mit fantastischen Rittern zu stoßen. „Das kannst du gleich mal rauslegen und mir schenken!“ sagt Will.i und macht mich froh.

Und so gelang es uns heute tatsächlich, eins der vielen Dossiers um ein paar Zeichnungen zu erleichtern. Unter den ausrangierten Blättern ist auch eins, das mich an damalige Versuche erinnert, Vergangenheit zu malen. Gefunden habe ich nur die Titel, nicht die dazu gehörigen Bilder. Aber ich erinnere mich, als wäre es gestern.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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28 Antworten zu 7.2.2021 Will.i und die Revision (Kunst am Sonntag)

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Wunderbare Gemälde. Ich bin ja ganz überrascht und erstaunt.

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  2. Gisela Benseler schreibt:

    Und auch wunderschöne Zeichnungen.

    Gefällt 1 Person

  3. Susanne Haun schreibt:

    Liebe Gerda,
    Ich mag sowohl die farbenfrohen als auch die Bleistiftzeichnungen. Eine schwierige Aufgabe, die du dir da vorgenommen hast.
    Liebe Grüße von Susanne

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    • gkazakou schreibt:

      Schön, dass du vorbeigeschaut hast, Susanne. Aussortieren und wegschmeißen finde ich tatsächlich sehr schwierig, denn an jedem Fitzelchen hängt ja eine Erinnerung, eine Erfahrung. Außerdem ändern sich meine Kriterien. Aber wem sag ich das.

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  4. linienspiel schreibt:

    Liebe Gerda, tolle Werke und gut, dass du schmuggeln konntest!
    Das Aussortieren bedeutet aber nicht das Ende der Werke, oder etwa doch?

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    • gkazakou schreibt:

      Doch, Beate, es müssen weniger werden, es sind einfach zu viele. Von den ganz frühen werde ich aber nicht mehr viele wegwerfen, die habe ich schon öfter ausgedünnt.

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  5. versspielerin schreibt:

    wunderbare bilder!!

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  6. Karin schreibt:

    Du brauchst eine will.a= bei mir würde keine Zeichnung aussortiert, eher die bunten 🤗 das Aussortieren wäre Strafarbeit für mich, denn wie Du schreibst, hängen an allen Erinnerungen. Lieber Gruss zu Dir, Karin

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  7. TeggyTiggs schreibt:

    …mich begeistern vor allem die Bleistiftzeichnungen! …aber bei dem Gesamtangebot würde mir das Aussortieren auch schwer fallen…

    …ich bin ziemlich rigoros und werfe vieles einfach weg, nehme es zum Feueranzünder, nach mir interessiert es eh keinen…

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    • gkazakou schreibt:

      Das ist richtig: „Nach mir….“, aber jetzt ist ja noch „mit mir“. Vorgestern starb eine liebe Freundin, eine gute Malerin. Meine bange Frage: „Und was wird mit ihren Bildern?“

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      • TeggyTiggs schreibt:

        …und was, wenn Du alles einfach aufhebst, für Dich?

        ….und was, wenn alles mit Dir verschwindet? Glaubst Du, die Nachwelt braucht Deine Werke und die Werke aller Menschen?
        (Natürlich wird Deine Familie und Freunde etwas von Dir behalten wollen, das meine ich nicht.)

        Ich glaube, dass alles, was wir tun, reden und wahrscheinlich sogar was wir denken irgendwo bleibt, etwas hinterlässt, nichts geht wirklich verloren, auch das nicht, was im Ofen landet.

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    • gkazakou schreibt:

      Das ist auch richtig. Nichts geht verloren, aber alles ändert seine Gestalt. Soll les meinetwegen. Das „Festhalten“ von Eindrücken zB durch Zeichnen fügt dem steten Strom des Wandels kleine Papierboote zu, ich setze sie aus, mögen sie noch ein Weilchen weiterschippern, .

      Gefällt 3 Personen

  8. Ich verstehe den Will.i gut.
    Deine farbigen Bilder sind so wunderschön, die müssen auf jeden Fall erhalten bleiben und von Deinen anderen Zeichnungen und Skizzen sehr, sehr viele, liebe Gerda.

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  9. Nach sorgfältiger Prüfung tendiere ich dazu: Alles Behalten. 🙂

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  10. Johanna schreibt:

    Gerda, ich glaube, das Durchschauen ist schon das Wichtigste 😊 so bekommen wir einen kleinen Eindruck des Schatzes, und Du bekommst vielleicht noch manche Ein- und Ausblicke …

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