Der heilige Laut der Inder A-U-M: Urlaut der Weltentstehung, dessen Kraft jeder spürt, der ihn einmal gesungen hat, allein oder in Gruppen – er klingt auch im russischen Kunstwort Z-AUM mit (zu sprechen mit weichem S). Und das ist natürlich kein Zufall. Die gängige Erklärung scheint eine andere zu sein: Es sei eine Wortbildung aus russisch za „jenseits“ beyond, behind“ und um „Vernunft“ – also „jenseits des Ratio“. Weiter heißt es, zaum sei eine experimentelle poetische Sprache, die durch den Klang und nicht durch definierte Bedeutungen charakterisiert ist.
Genau das trifft freilich auch auf AUM zu. „OM (AUM) ist eine Silbe, die nicht durch einen bestimmten ihr zugeordneten Wortsinn, sondern durch ihren Klang bedeutsam ist“ (Wiki).
Auch das große Mantra Aum mani padme hum ist nicht durch eine rationale Defitinion zu fassen – es ist der Klang selbst, der sich verbindet mit dem Klang unserer Welt – ihrem Entstehen und Vergehen. Einstimmung – Zusammenklang. Einatmen – Ausatmen.
Wenn du dieser Silbe A-U-M nachlauschst, hörst du sie auch in deutschen Wörtern klingen: im Rauschen des B-AUMs, der im Boden wurzelt und dessen Gezweig den Himmel einfängt, im seidigen Schleifen des S-AUMs eines Kleides auf dem Parkett, im leisen Tönen einer Welle, die auf dem Strand ausläuft – – S-AUM des Meeres. Der R-AUM öffnet und schließt sich und klingt unter deinen Schritten, der TR-AUM öffnet fernere Räume, in denen zu herumirrst und nach Erkenntnis suchst. Der SCH-AUM bläht sich schäumend auf, funkelt und zerfällt.
R-A-U-M
B – A – U – M
T – R – A – U – M
S – A – U – M
S – C – H – A – U – M
Und so hat diese Reise, die beim Zaun begann, hinter dem der Hund mich sinnend betrachtete, im zerfallenden Schaum ein vorläufiges Ende gefunden.
DANKE, liebe Gerda, diese letzte Ecke zum Om war nun für mich auf den ersten Blick sehr überraschend, ist aber eigentlich bei etwas Nachdenken nur konsequent: Das Wort der Einheit von Einem und Allen – ja, das ist das Wort der Worte, und der Reim ist sein schönstes Ausdrucksmittel. Puh, Du verstehst mich besser als ich mich selbst 😉
Aber es ist auch ganz viel Gerda in diesen Bildern: Ich bin voller Bewunderung und würde da gern mal in Deinen Kopf schauen und Mäuschen spielen, während Du Schnipsel legst, um dieses kreative Feuerwerk quasi live zu erleben. Deine künstlerischen Manifestationen geben davon ja nur eine ungefähre Ahnung.
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Nee, nee, liebe Sabine-Lyrifant, du musst dich schon mit den künstlerischen Manifestationen begnügen 😉 … müssen wir ja alle: uns begnügen mit den Manifestationen, denn die Substanz ist zu groß für uns. Das „kreative Feuerwerk“ wollte zB Faust belauschen (Geisterbeschwörung im 1. Akt) und fiel damit sofort tüchtig auf die Nase. Die kreative Kraft wird ja nicht in meinem Kopf geboren, sondern ist das, was alles Lebendige durchdringt (wodurch es lebendig ist), und in meinem Kopf kann ich ein wenig davon reflektieren (wie der Mond die Sonne) und diesen Glanz über die Hände in die Materie leiten,
„Prooemion“ von Goethe.
Im Namen dessen, der sich selbst erschuf!
Von Ewigkeit in schaffendem Beruf;
In Seinem Namen, der den Glauben schafft,
Vertrauen, Liebe, Tätigkeit und Kraft;
In jenes Namen, der, so oft genannt,
Dem Wesen nach blieb immer unbekannt:
Soweit das Ohr, soweit das Auge reicht,
Du findest nur Bekanntes, das ihm gleicht,
Und deines Geistes höchster Feuerflug
Hat schon am Gleichnis, hat am Bild genug;
Es zieht dich an, es reißt dich heiter fort,
Und wo du wandelst, schmückt sich Weg und Ort;
Du zählst nicht mehr, berechnest keine Zeit,
Und jeder Schritt ist Unermeßlichkeit.
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Was du im ersten Absatz über die Bedeutung von Z-AUM schreibst, erinnert mich an die Klanggedichte der DADA-Künstler, Gerda.
Indem du RA UM oder AUM weiter variierst, zeigst du einfach über diesen Reim solch eigene Zusammenhänge in unserer Sprache, die ich für bloße Zufälle gehalten habe. Hier scheint sich fast ein mythologischer Zusammenhang zu zeigen. Auch hier finde ich wieder Parallelen zu Lyrifants Dichten: sie führt mich durch ihre Gedichte zu oft ganz verblüffenden Einsichten über die Sprache und über das Leben.
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Ja, Ule, die Verwandtschaft zu DaDa ist offensichtlich, doch gibt es einen wesentlichen Unterschied: Zaum will nicht, wenn ichs recht versteh, (zumindest bei Chlebnikov), Sprache willkürlich zerreißen und neu zusammensetzen, sondern der Schicht nahekommen, wo Sprache geboren wird. So wie es im Baum das Kambium, die Wachstumsschicht gibt, ist es für die Sprache der Klang, „aus dem alles geworden ist“ (Joh-Evangelium: am Anfang war das Wort). Nichts anderes ist auch das AUM der Inder.
Ich habe das tatsächlich mal erlebt, in einer Aufstellung über Orpheus – wie menschliche Sprache aus dem Klang der Welt geboren wurde. Wie sich Kehle, Lippen, Zähne; Zunge mühten, den Atemstrom zu formen, um die Naturlaute nachzubilden mit sss und chh und ckkkk und sttt und schhh und die Vokale fanden.
Lyrifants Schnipsel haben nicht zufällig diese Gedanken bei mir locker gemacht. Dankkee auch für deine Rückspiegelung und deeine Assoziationen, durch die ich auch das Meine besser verstehe. .
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Möglich, dass dieser Unterschied zwischen Z-AUM und DADA eine Methodenfrage ist, nicht eine des Ziels? Während ich formuliere, klemmt es aber schon bei der Kombination aus DADA und Ziel …
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Sehr schöner Beitrag. Es gab in den 80er Jahren oder war es noch früher einen damals sehr bekannten Musikjournalisten, Joachim Behrendt, der in einem Buch + Tonkassette unter dem Namen „Nada Brama – Die Welt ist Klang“ auch das „gesungene“ OM diskutiert und durch Tonbeispiele demanstrierte. Das hat mich damals schon sehr beeindruckt. Mit deinem Beitrag kommen Erinnerungen hoch und ich werde gleich mal versuchen, ob ich das Werk noch finde…
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Falls du es findest – vielleicht magst du darüber etwas schreiben?
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Im Moment bin ich noch beim Suchen. Das ist ein langwieriges Geschäft. Denn wenn ich in meiner umfangreichen Bibliothek etwas finden will, lese ich mich regelmäßig hier oder da fest. Mein Schreibtisch ist inzwischen mit einen Trouvailles belegt, in denen Nada Brama noch nicht enthalten ist. Ich werde wohl irgendwann darauf zurückkommen.
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Wunderschöner, inspirierender Beitrag. Wie doch das AUM in unserer Sprache weiterlebt. Ich habe noch etliche Wörter gefunden und sie klingen lassen.
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Flaum fiel mir noch ein, wusste es aber nicht zu gestalten. Was fandest denn du noch? Kaum? Oder D-G-Pflaumen? Naumburg mit den feinen Skulpturen?
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Hier noch ein Goethe:
Howards Ehrengedächtnis
Wenn Gottheit Camarupa, hoch und hehr,
Durch Lüfte schwankend wandelt leicht und schwer,
Des Schleiers Falten sammelt, sie zerstreut,
Am Wechsel der Gestalten sich erfreut,
Jetzt starr sich hält, dann schwindet wie im Traum,
Da staunen wir und traun dem Auge kaum.
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Herzllichen Dank, liebe Hella, für diese tief-sinnige Ergänzung
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Ich lausche gebannt, liebe Gerda,
und schweige fein still
beim Klang der Worte
und deren feinstem inneren Sinn
Gelungen sind sie wieder, liebe Gerda, Deine Schnipselbilder von Lyrifant, und ich bleibe am kunstvollen Saum des eindruckvollen Festtagsgewandes hängen, weil er gar zu schön ist.
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Danke herzlichen Dank, liebe Bruni, für deine fein stillen saumseligen Zeilen.
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