Samstag ist Märchenstunde: Aschenputtel

Eine Freundin schickte mir eine Liste mit Märchentiteln, die bisher allzu schlecht illustriert worden seien. Darunter war auch Aschenputtel, das mir Arabella (vergl. ihren Blog vom letzten Sonntag) in Erinnerung rief.

Es ist ein langes, episodenreiches Märchen: Ein reicher Mann hat eine Frau und eine Tochter. Die Frau stirbt ihm, er nimmt eine andere, die ihrerseits zwei Töchter in die Ehe einbringt. Was nun folgt, ist eine Form übelsten familiären bullying. Das mutterlose Mädchen muss nicht nur alle niederen Arbeiten verrichten, sondern wird darüber hinaus von den Stiefschwestern verhöhnt. Sein einziger Trost ist das Grab der Mutter. Dorthin flieht es auch, als die anderen zum Fest ziehen, das der König für seinen Sohn gibt. Ein Haselnussbäumchen, welches das traurige Kind dort gepflanzt hatte und das nun groß und stattlich geworden ist, wirft ihm auf sein Bitten hin wundervolle Kleidung herunter, die es anzieht und damit zum Fest des Prinzen läuft. Der verliebt sich sogleich in die schöne Tänzerin, will sie festhalten, doch sie entkommt. Drei Mal geht das so. Beim dritten Mal bleibt ihr goldener Schuh am Pech hängen, das der Prinz auf der Treppe des Palastes hatte ausschütten lassen. Und so findet sich schließlich „die rechte Braut“, der der Schuh passt. Die unrechten Bräute – die beiden Stiefschwestern – opfern umsonst eine Zeh und einen Hacken.  IMG_5368bbb                   IMG_5368d

Die Tauben, die dem Aschenputtel schon zuvor geholfen hatten, Erbsen und Linsen aus der Asche zu lesen, verraten den Betrug (Ruckediku, Blut ist im Schuh…). Der Prinz schaut dem demütigen Aschenputtel ins frisch gewaschene Gesichtchen, erkennt seine Tänzerin und heiratet sie. Die Schwestern bekommen ihre verdiente Strafe.

Wie sollte ich diese lange und sogar viel längere Geschichte in einem einzigen Bild wiedergeben? Ich entschloss mich, mich an der mittelalterlichen Heiligenlegende zu orientieren: Synchron erscheinen die drei Schwestern, alle probieren den Schuh. Der Vater, der im Märchen mehrmals blöde fragt: sollte es das Aschenputtel sein? – o diese Väter! – bekommt seinen Platz links im Bild, der Prinz, zugegebener Weise schon etwas ältlich und dem Vater nicht unähnlich (die erste Liebe des jungen Mädchens …) – in der Mitte, dem Aschenputtel zugewandt. Im unteren Teil des Bildes die weißen Tauben und die anderen „Vögelchen des Himmels“, die Asche und das Grab der Mutter.

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Und die Mütter? Die habe ich gemeinsam in den Himmel versetzt, wo sie nun das Für und Wider ihrer Handlungsweise erörtern mögen.

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Denn eigentlich, so scheint mir, handelt es sich um eine Geschichte, die sich um die Mutterliebe dreht: die eine Mutter ermahnt, bevor sie stirbt, ihr Kind, immer brav und tugendhaft zu sein, wodurch es prompt in die Rolle des Aschenputtels gerät. Die andere Mutter gibt ihren beiden Töchtern noch schlechteren Rat: schneidet euch die Hacke bzw. den Zeh ab, denn wenn ihr Königin seid, braucht ihr nicht mehr zu Fuß zu gehen. Hier stehen sich Weltanschauungen gegenüber. Das Märchen gibt der tugendhaften Tochter den Vorrang. Und in einem höheren Sinne hat das ja seine Berechtigung. Wie es in der schnöden irdischen Wirklichkeit ist, weiß ich nicht zu sagen.

Beide Mütter – darin sind sie sich gleich – handeln aus dem Mutterinstinkt heraus: Mein Kind soll es gut haben! Doch die Wege zum Glück werden verschieden definiert.

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Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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10 Antworten zu Samstag ist Märchenstunde: Aschenputtel

  1. Susanne Haun schreibt:

    Meine Mutter hat mir das Märchen immer wieder und wieder vorgelesen und dann gibt es ja da auch die drei Nüsse für Aschenputtel und Cinderelle von Disney!
    Ich denke, dass dieses Märchen meine Entwicklung stark behindert hat. Ich bin hundert Prozent überzeugt, dass meine Mutter es mir aus bestem Gewissen vorgelesen hat und sich natürlich ihre Träume darin wiederspiegelten. Ich liebe meine Mutter auch heiß und innig und ich schreibe die nächsten Zeilen keineswegs als Vorwurf gegen meine Mutter. Sie und mein Vater haben mich und meinen Bruder mit soviel Liebe erzogen, dass alles andere Egal ist.
    Müssen Mädchen den „sittsam, bescheiden und tugendhaft sein“? Bestimmt nicht, denn auch ein Mädchen darf eine Meinung haben und diese auch sagen. Auch ein Mädchen hat das Recht, lieber studieren zu wollen als auf den Märchenprinzen zu warten.
    Es hat mich viel Arbeit gekostet, mich von den Prinzipien dieses Märchens zu lösen!

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    • gkazakou schreibt:

      Sieh mal an, da hab ich ja mal ins Schwarze getroffen :). Ich habe mit dem Rauchen angefangen, und zwar ausschließlich öffentlich, weil es immer hieß „Mädchen rauchen nicht“. Seht, sagte ich, ihr irrt euch! Hier ist ein Mädchen, das raucht.

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      • gkazakou schreibt:

        Pardon, das war eine dumme Replik. Eigentlich wollte ich auf einen Zwiespalt hinweisen: Wenn man vernünftige Ratschläge oder Vorschriften aus Selbständigkeitsgründen zurückweist, schadet man sich meist selbst. Und muss später arg dran arbeiten, nicht aus Oppositionsgeist zu handeln, sondern aus innerer Einsicht das Richtige zu tun.

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  2. Susanne Haun schreibt:

    P.S. Deine Bilder zum Märchen gefallen mir sehr gut – auch die Mütter im Himmel, die über ihre Töchter wachen und sie beschützen.
    JA!
    Es ist ein Märchen der Mütter und Töchter!

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  3. Arabella schreibt:

    Ob der Wille “ mein Kind soll es gut haben“ nicht mit einem “ mein Kind soll gut sein“ ein besserer wäre?

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    • gkazakou schreibt:

      Nun ja, die eine Mutter sagt ja zur Tochter: du sollst gut sein – und das Kind hat es schwer (bis der erlösende Prinz kommt). Die andere sagt: du sollst es gut haben – und die Mädchen haben es schlecht, weil sie der Mutter vertrauen, anstatt selbst nachzudenken.

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  4. gkazakou schreibt:

    … und dein Kommentar ist weise, Arabella! Danke auch für die Märchenvorlage am Sonntag.

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  5. Susanne Haun schreibt:

    Du hast den Kern getroffen, Gerda, man muß aufpassen, um nicht nur aus Oposition zu handeln. Ich habe zweimal geheiratet und mich zweimal scheiden lassen, dann 12 Jahre alleine mit meinem Sohn gelebt und lebe nun endlich erst seid zwei Jahren in einer guten Partnerschaft. Ich weiss nicht, ob Rauchen da harmloser ist? Wie nennt man das so schön? Gegenskript?

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