Das Cabaret Voltaire, wo ich gestern Bilder meiner kommenden Ausstellung gehängt habe, liegt im Athener Stadtteil Metaxourgeio. Ein „unterbewerteter“ Stadtteil, der von vielen seiner bürgerlichen Bewohnern aufgegeben wurde. Immer schon zog das halb industrielle Stadtgebiet, mit wild wüchsiger Architektur und billigen Mieten, Künstler und Unterhaltungsbetriebe jeder Art an. Zeitweise boomte hier das Nachtleben. Seit die Krise zuschlug, ist es aus damit. Elena vom Cabaret Voltaire ist eine der letzten, die sich nicht vertreiben ließen. Die Türen sind jetzt freilich aus starkem Eisen. Als ich gestern vor dem Eingang parkte, knirschte Glas unter den Reifen: in der Nacht zuvor hatte es das Auto ihres Bruders erwischt.
Drei große antike Straßen trafen sich hier: die heutige „Peiraios“ verband Athen mit dem Hafen Piräus, die „Heilige Straße“ führte von Athen nach Eleusis, und auf dem sogenannten „Dromos“ (Straße) konnte man von der Akademie des Platon zum Kerameikos gelangen (antiker Friedhof, vergl. meinen Sonntagsbeitrag vom 16. November). – Die Straßen gibt es noch, aber sonst erinnert nicht mehr viel an die alte Pracht. Und das kam so:
Als der neugriechische Staat 1821 gegründet wurde, machten sich Architekten, die König Otto aus dem Norden mitbrachte, daran, die nicht mehr vorhandene Stadt Athen auf dem Reißbrett neu zu erfinden. Zunächst war geplant, die königliche Residenz hier zu erbauen. Doch schließlich verlegte man sie und das „gehobene Athener Leben“ an den heutigen „Platz der Verfassung“ (Syntagma). Dadurch geriet das Gebiet westlich des „Platzes der Eintracht“ (Omonia) an den Stadtrand – wo es sich auch in der Antike befand.
Metaxurgio heißt „Seidenspinnerei“ und ist benannt nach der Fabrik, die hier Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Produktion aufnahm. Es war die erste, die mit Dampfmaschinen produzierte. Das prächtige Gebäude hatte ein griechischer Prinz aus der Walachei schon 1821 erstellt, als es noch so aussah, dass sich der königliche Hof hier ansiedeln würde. Die Altertümer aus dem benachbarten Friedhof und der Stadtmauer kamen als Baumaterial gerade recht. Als sich der kgl. Hof weiter nach Osten verzog, entstanden hier Werkstätten und Industrien, Kaufhauspaläste, einfache Arbeiterwohnungen und neoklassische Bürgerhäuser, die dem königlichen Geschmack nacheiferten, Hotels, Tavernen, Bordelle, Kinos und Theater, Konditoreien und Galerien – ein buntes Gemisch von Berufen und gesellschaftlichen Klassen.
Heute? Bunt gemischt ist auch heute die Bevölkerung. Außer den verbliebenen Athenern versuchen Menschen aus anderen Kontinenten, hier ihr Leben zu fristen. Leicht war das nie. Es ist schwieriger geworden.
Es hört sich ein wenig wie meine Heimat, Berlin Wedding an. Während der Wedding durch seine noch einigermaßen bezahlbaren Mieten im Auftrieb ist und immer mehr Studenten hier wohnen, ist es bei dir in Metaxurgio gegenläufig, das tut mir leid. Vielleicht nur eine vorübegehende Flaute?
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den Wedding kenn ich ein bisschen, da hab ich 1964 mal gewohnt, war ziemlich gräuslich. Stadtteile bewegen sich auf und ab. Metaxurgio kann, wenns wirtschaftlich besser wird in Griechenland, wieder sehr attraktiv werden – wie zB Kreuzberg. danke für die guten Wünsche! Es ist übrigens nicht „mein“ Stadtteil, ich wohne recht privilegiert in einem nördlichen Vorort, Maroussi, wenn ich nicht in der Mani bin.
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Interessant. Das Bild gefällt mir auch sehr gut, es hat so viel Tiefe und auch Leichtigkeit ….
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Herzlichen Dank, Myriade!
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