Die abstrakte Malerei, so will es die Legende, beginnt mit einem Zaubertrick des Göttin Tyche (griechisch für „glücklicher Zufall“): Es geschah vor 105 Jahren, im Jahr 1910. Es ist Abend. Wassily Kandinsky öffnet die Tür zu seinem Atelier. Durch die geöffnete Tür wirft die tief stehende Sonne goldene Strahlen auf ein Gemälde. Verzaubert starrt der Künstler auf das Bild. Wie kommt es hier her? Es ist so außergewöhnlich, so voller „innerer Ausstrahlung“ (Kandinsky)! Es sind weder Engel noch sinnige Augen einer Geliebten, was ihn so entzückt, sondern die reine Schönheit von Farben und Formen.
Tatsächlich blickt er auf sein eigenes Werk, aber er erkennt es nicht, denn es steht auf dem Kopf.
Seither hat sich so mancher des Tricks bedient, die Dinge auf den Kopf zu stellen, um ihren geheimen Aufbau offenzulegen.
Mit der Maske hat es eine ähnliche Bewandtnis wie mit dem umgedrehten Bild. Bist du’s oder bist du’s nicht? Was ist Realität – die Maske oder das Ich dahinter? Mir solls gleich sein, denn beide haben ihren eigenen Wert. Sowieso wird sich das Denken des visuellen Eindrucks bemächtigen und ein Thema hervorzaubern aus dem Gewirr der Formen und Farben. „Was ist’s?“ fragt der Beschauer. „Was stellt das dar?“ Aha, eine Maske, aha, eine nächtliche Hütte unter einem strahlenden Stern. Oder auch: „Wer bist du? Ein Arzt, ein Dichter, ein Zollbeamter? Aha“.
Manche glauben, wenn sie Masken abreißen, würden sie der Wahrheit ins Gesicht schauen. Und schauen doch wieder nur in ein Spiegelbild ihrer eigenen Vorstellungswelt. Ja, jag das Bild ruhig durch verzerrende Filter, drehe es um und färbe es um, du wirst es doch immer wieder erkennen als das, was es in deiner Vorstellungswelt nun einmal ist: eine Maske. Nie und nimmer wird es ein abstraktes Bild, das nur durch seine Linien und Formen überzeugt. Oder doch?
Manche Künstler – es sind nicht wenige – sind auf den Trick verfallen, den Titel „ohne Titel“ zu setzen. Damit, so meinen sie, befreien sie den Betrachter von den gegenständlichen Assoziationen und zwingen ihn, das Bild „als solches“ zu sehen. Na, versuch’s mal. Ich vermute, du findest schon einen Titel.
Verflixt gescheit, Gerda!
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:), Hella!
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