„Warum so eilig?“ Eine Entschleunigungsübung

„Wohin so eilig?“ fragte ich das nun auf den Namen „Fridolin“ getaufte behaarte Seepferdchen.

Dabei hätte ich eigentlich mich selbst befragen müssen, denn Fridolin entstand, weil ich es mal wieder eilig hatte. Eine Stelle meines immer noch sehr vollen Haares hatte sich durchs Salz des Meeres arg verfilzt, und schwankend zwischen Penelope und Alexander entschloss ich mich, es Alexander gleichzutun und den Knoten durchzuschneiden, anstatt ihn, wie Penelope, mühsam aufzurebbeln. Der Mann in mir siegte…

Vorm Schlafengehen dachte ich mir: Was ist eigentlich dies „es eilig haben?“ für mich? Mach doch mal eine neurographische Zeichnung dazu (ich lerne das ja grad mit Cynthia).

Als erstes haut man den Impuls mit einem schnellen Strich aufs Papier. Hätte ich es nicht immer so eilig, wäre mir aufgefallen, dass ein gemütlich auf einem See schaukelndes Boot mit einem liebenden Paar drauf entstand. Aber ich bemerkte es erst jetzt, als ich das Foto der Zeichnung besah.

Ich rundete nämlich gleich alle auf einander stoßenden Linien ab, wie die Methode es will.

Immer noch hätte ich das Boot mit dem Paar drauf erkennen können. Es ist jetzt freilich nicht mehr ganz so gemütlich, hat mehr speed drauf. Mit seiner dicken Haifischnase will es nach links, in die Vergangenheit düsen. All das bemerkte ich aber erst jetzt, beim Betrachten.

In die Vergangenheit wollen eilige Menschen nicht gern düsen. Also traf mein Unterbewusstein Vorkehrungen: Ich befestigte das „Gefährt“ am rechten Rand: der Zukunft, indem ich abgebrochene Linien verlängerte und verband, wie die Methode es vorschreibt. Natürlich hätte ich die Linien auch am linken Rand enden lassen können – aber nein, ein Eilender will immer in die Zukunft (rechts entsprechend unserer Leserichtung).

Zweifelnd betrachtete ich mein Machwerk. Was wollte es mir sagen? Mir schien, es sei ein Auto, das nach rechts mit Volldampf gegen ein Hinternis raste und sich dort die Nase eindrückte.

Da wurde mir doch ein wenig mulmig zu Mute. Ich fahre ja gern schnell, aber doch nicht mit solchem Ergebnis! Vielleicht sollte ich das Fahrzeug ein wenig ausbremsen? Und ihm einen neuen brauchbaren Vorbau beschaffen? Wer saß überhaupt darin? Eine Frau mit einem Kind auf dem Schoß! Also wirklich! Da darf man doch nicht rasen! Also mach mal gaaanz schön laangsaam, schau dir das grüne Land, die blaue See, den Himmel an, genieße das Fahren, und wenn die Reise lange dauert, umso besser!

Du siehst, nun ist es ein altes grünes Töfftöff geworden, und am Heck gibt es einen Aufbau fürs Großgepäck. So wird die Dame mit dem blonden Kind auf dem Schoß reisen und nicht mehr ans schnelle Ankommen denken. Der Weg ist das Ziel! Von Technik hat sie freilich keine Ahnung, da graust es ihr ein wenig! Man stelle sich vor, sie müsste die Kühlerhaube öffnen und die Kurbel in Gang setzen, mitten in der Pampa!

Diese Entschleunigungsübung hat mir gut getan. Am liebsten würde ich zurückkehren zur Anfangsskizze mit dem schaukelnden Boot –  und das ist die eigentliche Erkenntnis. September ist eine Zeit der Ruhe, des Pausierens und der Entschleunigung. Was hat es für einen Sinn zu drängeln, dass der Oktober mit seinen Stürmen schneller kommt? Er kommt ja!  Genießen wir die blaue Stille des September!

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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12 Responses to „Warum so eilig?“ Eine Entschleunigungsübung

  1. Und zum Schluß der spannungsvollen Geschichte ist dann doch der erste Entwurf am schönsten: So leicht und unbeschwert und in sich abgerundet.

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  2. Avatar von Verwandlerin Verwandlerin sagt:

    Danke fürs Mitnehmen! Entschleunigung tut uns allen gut…

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  3. Avatar von Leela Leela sagt:

    Das Seepferdchen sieht magisch aus…

    Leela

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  4. Avatar von hanneweb hanneweb sagt:

    Das haarige Seepferdchen Fridolin ist somit nicht nur sprichwörtlich ein Teil von dir, liebe Gerda und diese Entschleunigungsübung, sowie auch das Ergebnis begeistert mich gerade so sehr, dass ich es auch mal ausprobieren werde.🙂
    Liebe Grüße, Hanne

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  5. *Als erstes haut man den Impuls mit einem schnellen Strich aufs Papier.*
    Und er wurde soooo schön, Dein erster Entwurf, daß er auf jeden Fall erhalten bleiben sollte, liebe Gerda!

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