Ausstellungsbesuch 2 (Michalis Oikonomou bei Theodohakis-Stiftung, Athen)

Kann die zuvor besprochene Ausstellung von Margielas Werken als Beispiel für intellektuelle „postmoderne“ Kunst gelten, so ist die von Michalis Economou (1888–1933) am andern Ende – am Beginn der griechischen Moderne angesiedelt. 

Die „Griechische Moderne“ ist freilich kaum mit dem zu vergleichen, was zur selben Zeit etwa in Frankreich und Deutschland vor sich ging. Ein wichtiger Grund sind die vollkommen verschiedenen Lebenswelten des damals noch weitgehend agrarischen Landes, das nur in den Städten elektrifiziert war und wo die Arbeit nicht von Maschinen, sondern von  Tieren und Menschenhänden vollbracht wurde. Ich erwähne das bloß, weil oft übersehen wird, wie stark sich die Lebenswelten auf das künstlerische Schaffen auswirken. 

Economou, ein in Griechenland weithin bekannter Maler, hat wie die meisten seiner Kollegen lange Zeit im westlichen Ausland verbracht (1906-1926 Paris, mit Aufenthalten in Großbritannien). Meistens wird er als „impressionistischer“ Maler bezeichnet, aber die Zuordnung finde ich zweifelhaft. Was er schafft, sind Bilder von Häusern, Booten, Küsten und Spiegelungen, doch fast nie in impressionistischer oder gar pointilistischer Manier, sondern flächig gemalt und manchmal wie gemauert. Wenn man unbedingt vergleichen will, dann vielleicht mit Munchs 1901 gemalten „Mädchen auf der Brücke“.

Doch in der Wirkung sind Economous Bilder ganz anders. Sie wirken wie verzaubert, fast entsubstanzialisiert, als seien diese Landschaften schon nicht mehr wahr. Als seien sie Träume, die sich seiner sehnsuchtsvollen Seele eingedrückt haben.

Das „Haus, das träumt“ ist sein bekanntestes und am öftesten reproduziertes Werk. Ich sah das kleine kostbar gerahmte Bild gestern und begann meinerseits zu träumen von einer heilen Welt von Anno dazumal. Die einfachen Formen, die weichen Konturen, die stille Spiegelung – es ist eine Szenerie, die die Sehnsucht nach einem „ursprünglichen“ harmonischen Leben des Menschen in seiner Umwelt einfängt. In so manchem Foto in euren Blogs finde ich ähnliche Anmutungen, und auch ich habe so meine Ecken, wo der Traum ganz real zu sein scheint. Ihr hier Mitlesenden kennt wohl alle das verfallende Haus in der Bucht, das ich immer wieder fotografierte und zeichnete (mit Kugelschreiber, 2019)

Economou scheint in den Jahren seiner Abwesenheit von Griechenland diesen Traum in sich genährt zu haben, und so fand er ihn nicht nur in seinem Heimatland, sondern überall, wohin er reiste.

Es gibt einige Versuche, sich eine modernere Bildsprache zu erschließen, so wie hier, wo fast abstrakte Landschaftsformationen als Farbflächen gegeneinander gesetzt werden. Aber die Bindung an die natürliche, erlebte Raumarchitektur gibt er niemals auf.

Dämmerig ist seine Welt, träumerisch entrückt, doch immer gebunden an die mit den Sinnen zu begreifende wirkliche Welt.

Wer seine Bilder sieht und sich nicht wehrt, wird hineingezogen in diese Welt der milden Zwischentöne. Eine Welt, die in der Wirklichkeit schon nicht mehr ist, aber immer noch in unserer Seele lebt und sie träumen macht.

Hier noch ein paar Beispiele:

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, alte Kulturen, Architektur, ausstellungen, Kunst, Meine Kunst, Methode, Natur, Psyche, Tagebuch der Lustbarkeiten, Zeichnung, Zwischen Himmel und Meer abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

23 Antworten zu Ausstellungsbesuch 2 (Michalis Oikonomou bei Theodohakis-Stiftung, Athen)

  1. Don Esperanza schreibt:

    Die Bilder sind betörend

    Like

  2. Gisela Benseler schreibt:

    Ja wirklich: Traumhaft schön, wie der Traum einer schönen heilen, dem Irdischen schon entrückten Welt, zugleich wie ein Rückerinnern.
    Beim Betrachten kommt man wirklich ins Traumen…

    Like

  3. Myriade schreibt:

    Das ist ein Maler, von dem ich noch nichts gehört hatte. Danke fürs Vorstellen. Die Bilder gefallen mir gut und ich kann nachvollziehen, dass es sich um eine nostalgische Traumwelt handeln könnte. Wann aber in der Realität diese „guten alten Zeiten“ gewesen sein sollen, frage ich mich

    Gefällt 1 Person

    • gkazakou schreibt:

      Die „guten alten Zeiten“ gab es natürlich nicht – außer in ästhetischer Hinsicht. Denn heute hätte solch ein Haus mindestens einen Strommast und eine TV-Antenne und womöglich einen Anbau aus Asbest oder eine Fotovoltaik-Anlage, und eine Asphaltstraße führte dahin, es gäbe einen Autostellplatz und allerlei Müll und Zäune und Hinweisschilder. Die Beschränkung der damaligen Häuslebauer auf Materialen wie Stein, Holz und Kalk waren ein Garant zwar nicht für Bequemlichkeit, wohl aber für Formschönheit. Jedenfalls empfinde ich das so.

      Gefällt 2 Personen

      • Myriade schreibt:

        Das ist wahr, aber die Ästhetik für die anderen, die Unbequemlichkeit für die Hausbewohner. Erinnert mich an die alten Bauernhäuser mit winzigen Fenstern. Sehr idyllisch anzusehen, aber innen stockfinster, mit schlechter Luft. Ich wollte nur ungern in einem Haus ohne Strom, ohne Zufahrt und Garage wohnen 🙂 Die Bilder – wie gesagt – gefallen mir sehr.

        Like

    • gkazakou schreibt:

      So wie dir geht es mir immer in italienischen Altstädten, zB in Genua: wunderschön anzusehen, aber drin zu leben? Lieber nicht.

      Gefällt 1 Person

  4. Ulli schreibt:

    Bevor ich noch deine Worte gelesen habe, entfährt mir beim Anblick des ‚Träumenden Hauses‘ ein: Oh, ist das schön!

    Für mich sind die Bilder zeitlos, denn auch heute noch lassen sich ja schöne Orte, ob nun mit oder ohne Architektur finden, lange nicht alles ist verbaut, verschandelt, die Natur nicht überall gezähmt; wobei Economou ja durchaus auch gezähmte Natur zeigt. Ich mag das Weiche in seiner Malerei – für mich eher ein Spiegel der Seele: wenn sie Schönes sieht, dann wird sie weich und weit … wenigstens meine.

    Mich interessieren ja immer weniger die Zeiten und das, was dann gerade modern gewesen ist oder gerade jetzt als modern gilt, sondern immer nur, ob mich ein Bild berührt oder eben nicht. Diese Bilder berühren mich. Und ich freue mich sehr, dass du sie uns zeigst!

    Danke dafür und herzliche Grüße, Ulli

    Gefällt 1 Person

    • gkazakou schreibt:

      Danke dir, liebe Ulli! Als „Konsument“ und Liebhaberin von Kunst geht es mir genauso wie dir: da interessiert mich gar nicht, aus welcher Zeit etwas ist, sondern ich schaue, was es mit mir macht. Wenn ich diesen Zeitbezug herstelle, so eigentlich, um mir klarer zu werden, warum zB ein zeitgenössischer Künstler ganz anders tickt und andere Themen aufgreift, warum auch der Kunstmarkt entsprechend reagiert. Die sehr schönen Bilder von Ikonomou werden immer Bewunderer und Liebhaber finden, aber dass sie zu Beginn des vorigen Jahrhunderts entstanden sind, sagt noch ein wenig mehr über sie. Und über den Künstlern, der sensibel Strömungen aufgreift, die in seiner Zeit an die Oberfläche kommen. Du sagst, schöne Ecken gibt es immer noch. O ja, zu unserem großen Glück ist nicht alles zerstört. Und doch ist es ein anderes Erleben heute, jedenfalls für die meisten, die an die elektronischen Mittler gewöhnt sind und ihre Ziele per Auto ansteuern, die Bilder dann am Computer bearbeiten… Anders Ikonomou, der per Hand Textilien auf Rahmen spannt, sich dann Schicht um Schicht durch die Realität bis zum Traum durchaurbeitet.
      Der Belgier, den ich in der anderen Ausstellung sah, ist hingegen den Strömungen unserer Zeit auf der Spur. Und ich finde das, was er macht, egal ob es mich nun ästhetiisch besonders anspricht, sehr gedankenanregend.

      Gefällt 2 Personen

  5. Ulli schreibt:

    Damit hast du natürlich Recht. Und es ist auch bei mir dann der zweite Schritt die Kunst und die Zeit in der sie entstand oder entsteht mit einzubeziehen. Bin darin auch einst drei Jahre geschult worden, aber das ist ein anderes Thema und soll jetzt hier keinen Raum einnehmen.
    Für heute wünsche ich dir eine gute Nacht, träume schön ✨

    Like

  6. anneeulia schreibt:

    Schöne Bilder, hat was von naiver Kunst.
    Schöne interessante Ausstellung.

    Like

  7. wildgans schreibt:

    wie meine Seelenbilder, so intim, das geht nicht spurlos an mir vorüber…

    Like

  8. Er ist ganz und gar wundervoll, *Dein* Maler.
    Verträumt und versponnen scheinen seine Bilder, und einfach wunderschön

    Like

  9. Ich dachte, ich hätte inzwischen alle Hürden zum Kommentieren bei Dir gemeistert, aber nun verschwinden meine Kommentare doch wieder als spam…

    Jetzt verstehe ich es gar nicht mehr.

    Gefällt 1 Person

  10. Anonymous schreibt:

    Thank you for posting this – I’ve never heard of him and I find many of his paintings attractive. They say something that is reassuring but not too comfortable, something that keeps me interested and curious. What a way he had with shapes and color! One runs into the next and they fit together like parts of an animal. 🙂

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..