Welttheater: 5. Akt (Schluss)

In Kürze wird sich der Vorhang des kleinen Welttheaters 2023 endgültig schließen und seine Kulissen abbauen. Die meisten Darsteller sind bereits abgereist. zwei aber sind zurückgeblieben: Trud, die immer noch Fragen hat, und So-wie-du, die natürlich auch ein paar Fragen hat und gerne die Antworten wüsste.

Trud ist freilich nicht die richtige Person dafür, Antworten zu liefern, aber So-wie-du lässt sich davon nicht abschrecken. Denn besser mit einer Fragerin zusammensein als ohne Frage und Antwort dazustehen.



So-wie-du:

Trud, was siehst du, sag mit bitte

wie wird dieses Neue Jahr?

Denn bei meinem ersten Schritte

wittere ich schon die Gefahr.

 

Beim ersten Schritte, sagte Goethe

da bist du frei und ungebunden

doch schon beim zweiten er geböte

die Richtung die du grad gefunden.

 

Drum sag mir, bitte, welche Richtung

die richtige für uns wohl sei?

Führt links uns gradwegs zur Vernichtung

führt rechts uns in die Barbarei?

Trud

Was soll ich dir sagen?

Ich kann ja nur fragen!

Hast du denn Angst? Und wenn wovor?

Wer Angst hat, der ist wohl ein Tor?

So-wie-du

Ja, ich fürchte mich gar sehr.

Schon allein dies große Meer …

Schaurig ists, mit dem Gefunkel

und gleich wird es auch noch dunkel

Kommt ein Sturm vielleicht gebraust?

Ach, vor Stürmen es mich graust!

 

Trud

Hilft die Angst dir, die Gefahr zu meiden?

Wird sie dir nicht jeden Spaß verleiden?

Wär es besser nicht, der Lust am Leben

sich genüsslich hinzugeben?

So-wie-du

Freilich, ich mag gerne lachen

und mit Männern Späße machen

und am liebsten tanz ich nackt

nach nem süßen Walzertakt.

Trud

Wenn es so ist, was hindert dich daran?

So-wie-du

Es fehlt mir dazu wohl der rechte Mann.

Der Mann ist irgendwie nicht gut erschaffen

es gibt die Rüden und es gibt die Schlaffen.

Die Wissenschaft hat noch nicht rausgefunden

wie man sie züchtet, so wie bei den Hunden.

Trud

Züchtet man nicht bereits den Menschen aus den Samen

die man entnimmt den Schönsten aller Damen?

Und nimmt dazu auch Spermen von den Herrn

die unvergleichlich sind wie von nem andern Stern?

So-wie-du

Du meinst das Menschlein, gleich aus der Retorte!

Humunculus genannt, der Goethe fasst’s in Worte!

Das wäre fein, vielleicht in diesem Jahr

das wäre toll und wunderbar!

 

Und wenn es mit der Züchtung nicht so geht

weil das Gesetz dagegen steht

so könnte doch ein Raumschiff einen bringen

der etwas taugt, das müsste doch gelingen.

 

Trud

Bist du dir sicher, dass du das Ergebnis

dann auch erfährst als fröhliches Erlebnis?

Kann es nicht sein, dass all die Kunstgestalten

am Ende uns und wir nicht sie verwalten?

 

Wer wird denn sorgen, dass die Transparenz nicht fehlt?

Und dieser Kunstmensch nicht den Rest der Menschheit quält?

 

So-wie-du

O schau, du hast die Transparenz gerufen!

und auch die andern sind nun plötzlich da!

Domna

So ist es, denn die uns erschufen

die wollten uns noch einmal sehn von nah.

 

Sie wollten, dass dies Welttheater

nicht endet wie ein Schelmenstück

Die Dichterin sowie auch ihr Berater

sie riefen uns ein letztes Mal zurück.

 

Um was zu tun?

Um ein Gedicht des Friedens, das, an Heutige gerichtet,

aus fernen Zeiten klingt, in denen es erdichtet.

 

Ich werde es euch sagen, es ist mein Geschenk

für wirre Zeiten, wenn ihr uns eingedenk,

nach Frieden, Freundschaft und ein wenig Glück

euch sehnt: die bringt es dann zurück.

 

Die Welt ist schön

Die Welt ist schön, die Welt ist gut, gesehn als Ganzes
Der Schöpfung Frühlingspracht, das Heer des Sternentanzes.

Die Welt ist schön, ist gut, gesehn im einzelst Kleinen
Ein jedes Tröpfchen Tau kann Gottes Spiegel scheinen.

Nur wo du Einzelnes auf Einzelnes beziehst
Oh, wie vor lauter Streit du nicht den Frieden siehst.

Der Frieden ist im Kreis, im Mittelpunkt ist er.
Drum ist er überall, doch ihn zu sehn ist schwer.

Es ist die Eintracht, die sich aus der Zwietracht baut,
Wo mancher, vom Gerüst verwirrt, den Plan nicht schaut.

Drum denke, was dich stört, daß dich ein Schein betört
Und was du nicht begreifst, gewiß zum Plan gehört.

Such erst in dir den Streit zum Frieden auszugleichen
Versöhnend dann soweit du kannst umherzureichen.

Und wo die Kraft nicht reicht, da halte dich ans Ganze;
Im ewgen Liebesbund steht mit dir Stern und Pflanze.

—————-

Friedrich Rückert (*1788  †1866). Ich danke von Herzen Ulrike Sokul, die dieses Gedicht zur Jahreswende am 29.12.2023 in ihrem Blog veröffentlichte.

 

 

 

 

 

 

 

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About gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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11 Responses to Welttheater: 5. Akt (Schluss)

  1. Gerda, zum Lesen Deiner Theaterszenen bin ich kaum gekommen. Mal sehen, ob ich das im „alten Jahr“ noch schaffe (weniger Stunden).
    Die beiden Verbleibenden fürs kommende Jahr machen es spannend.

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  2. Herzlichen Dank an dich für die vielen facettenreichen Vorstellungen des kleinen Welttheaters 2023, die ich – wenn auch als stiller Gast – mit viel Freude verfolgt habe und die mit dem Rückert-Gedicht einen feinen und würdigen Schlusspunkt gefunden haben.
    Mit einem herzlichen Abendgruß zum geschmeidigen Übergang in ein lichtvolles 2024 🐻

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    • Avatar von gkazakou gkazakou sagt:

      Herzlichen Dank, lieber Random. In der Nacht sah es noch trübe aus, aber der Morgen war dann sehr lichtvoll, und ich bin dankbar, und will es für ein gutes Vorzeichen halten. Möge auch dein nun angebrochenes Jahr voller Freuden sein!

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  3. Avatar von Verwandlerin Verwandlerin sagt:

    Ein ganz toller Text mal wieder von dir, liebe Gerda, und ein sehr treffendes Gedicht von Rückert. Komm gut ins Neue Jahr!

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  4. Avatar von alphachamber alphachamber sagt:

    Nochmals: Eine reife Leistung, voll schoepferischem Geist, Ideenreichtum und „gekonnter Kunst“.
    Ein segensreiches 2024. LG

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  5. und nach all dem Geschmunzel und der wundervollen Lyrik von Friedrich Rückert ein wunderschönes Gerda-Schnipselbild

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