Welttheater, 4. Akt, 20. Szene: Domna und die Toten

Was zuletzt geschah: Domna setzt sich zu den beiden Alten an den Tisch. Jenny und Clara bedienen sich an den Speisen.

Domna

Wie darf ich mit euch reden, sagt mir an?

Alte:

Ich bin die Lies, und das ist Klaus, mein Mann.

Was treibt dich her in unser altes Haus,

Wann war denn das, so sag es mir doch, Klaus!

Alter:

Das war, ja lass mich rechnen, ja, das war

bevor die Kinder in die Fremde gingen

der Hans und Grete waren schon ein Paar

womit die Übel dann anfingen….

Alte:

Die Übel? Welche? Was ist denn geschehn?

Was wars, dass beide in die Fremde gehn?

Alter:

Was wars… ich weiß nicht, ich muss sie wohl fragen

wenn sie vorbeischaun in den nächsten Tagen

Alte:

Wer soll vorbeischaun, sag, die Grete starb

bevor sie dieses Haus erwarb.

Was Hans dann tat, weiß ich nicht mehr

es ist ja auch schon lange her.

Alter:

Was fragst du dann? Was willst du wissen?

Komm her zu mir, ich will dich küssen!

Alte (kichernd) :

Du magst mich immer noch, mein Alter?

Bin ich wie einst dein bunter Falter?

Dein Schmetterling, dein süßer Fratz?

Alter:

Ja freilich, komm mal her, mein Schatz

und gib mir einen dicken Schmatz!

Alte:

Das schickt sich nicht, Besuch ist da.

Alter:

Wer denn? Wer kam? die Großmama?

Alte:

Ach Kläuschen, nein, die ist doch tot

nun lass und iss dein Abendbrot.

Domna:

Ihr lieben Leute, mir will scheinen

dass auch ihr beiden schon vor Zeiten

mit eurem Hiersein wart im Reinen

und wechseltet die Lebensseiten.

 

Ihr gingt hinüber zu den Toten

doch etwas hält euch hier gefangen.

Das ist zwar keineswegs verboten

doch besser ist es zu gelangen

 

auf jene Seite ganz und gar

und nicht zu haften an dem Alten.

Denn dann erkennt ihr das was war

und überblickt all die Gestalten

 

die euch im Leben einst begegnet.

Dann seht ihr: dies war falsch, dies richtig

Am End der Rechnung seid gesegnet

denn ihr versteht: die Lieb ist wichtig

 

und alles andre geht vorbei.

Denn das, was ihr im Leben tatet

ist vor dem Himmel einerlei

solange ihr der Lieb entratet.

 

Nur Liebe kann den toten Stoff beleben

sie wirkt und wogt durch alle Weltensphären

Wir Menschen können unsren Anteil geben

und unsererseits die Weltenliebe nähren.

 

Die irdisch Liebe ist ganz wie ein Sänger

der eingesperrt im Käfig klagend singt

Der Körper ist grad wie ein Vogelfänger

der nur durch Liebe singt und klingt.

 

Im Sterben lasse diesen Vogel frei

damit er seine Schwingen breiten kann

der Käfig, ja, der bricht entzwei,

nur auf den Vogel kommt es an.

 

Er fliege heim, zurück ins Große Ganze

der Kraft, die euch im Irdischen beseelt.

Auf dass ihr teilhabt an dem höh’ren Glanze.

und euch im Geisterreiche neu vermählt.

 

Alter:

Du meinst, wir dürfen uns lieben

auch wenn der Stoff vergeht?

Alte:

Und auch wenn nichts mehr geblieben

und der Körper zu Staub verweht?

Domna:

Ja freilich,

das mein ich.

Alte und Alte:

So wollen wirs wagen

denn schwer zu ertragen

ists Dasein als klapprig Gebein

und nicht tot, nicht lebendig zu sein.

Ihre Figuren lösen sich auf . Zurück bleiben ein paar Knochen und ein Gefäß. Der Raum wird hell.

Domna (für sich)

Immer wieder, ob wir der Liebe Landschaft auch kennen,
und den kleinen Kirchhof mit seinen klagenden Namen
und die furchtbar verschweigende Schlucht, in welcher die andern
enden: immer wieder gehn wir zu zweien hinaus
unter die alten Bäume, lagern uns immer wieder
zwischen die Blumen, gegenüber dem Himmel.

(Rainer Maria Rilke)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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8 Antworten zu Welttheater, 4. Akt, 20. Szene: Domna und die Toten

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Das ist schön ein skurriles Gemisch von Gut und Böse, Wahrheit und Schein…. Was soll man davon halten, dazu sagen? Von allem ein bißchen und doch nichts richtig.
    Aber wahrscheinlich muß es bei einem guten Theaterspiel mache Verwicklungen geben, damit sie sich am Ende auflösen.
    Wie sie sich dann auflösen, ist wieder eine offene Frage. Nun, aber die Zuschauer haben über manches nachgedacht und sehen manches anders als zuvor und wollen gern mehr wissen und suchen weiter…. also ist es so o.k., Gerda

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    • gkazakou schreibt:

      Theater ist tatsächlich nicht dazu da, den Menschen Wahrheiten zu präsentieren oder ihnen zu predigen, sondern vor allem, sie gut zu unterhalten und vielleicht nebenbei auch zum Nachdenken zu bringen oder ihnen Gelegenheit zu geben, sich zu echauffieren. Also ist es ok, solange es unterhält. 🙂

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      • Gisela Benseler schreibt:

        Letztlich kreiert und verantwortet ja der Bühnenschreiber (oder wie nennt man ihn/sie?) Inhalt und Wirkung. Und Du bist ja vieles in einer Person, Gerda. Das ist schon sehr mutig und gewagt. Und das Ergebnis kann sich sehen lassen.
        Dennoch kann auch alles wieder kippen. Die Gefahr besteht jeden Augenblick, wie im wirklichen Leben ja auch.

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      • gkazakou schreibt:

        Freilich besteht immer diese Gefahr. Na und?

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      • Gisela Benseler schreibt:

        Naja, darauf wollte ich nur hinweisen. Und es gibt ein Wort, das es ebenfalls tut: „Wer sich in Gefahr begibt kann darin umkommen.“
        Naja, das kennst Du ja, Gerda. Es gibt ein anderes bekanntes Wort, das heißt: „Fürche Dich und tu es trotzdem!“ Wahrscheinlich gefällt Dir das besser. Also wozu mahnen?!
        Also Gerda, zu den „Angstmachern“ will ich ja auch nicht gehören.☺️

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      • gkazakou schreibt:

        Ein Autor in Gefahr! Ein Autofahrer noch weit mehr. Jedes Leben endet tödlich und fast jeder Autor in Bedeutungslosigkeit. Mein Spruch ist „Mut hat auch der kleine Muck“ 🙂

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