Welttheater, 4, Akt, 2. Szene: Wilhelms Absturz und Hilfe

Was zuletzt geschah: Noch leicht benebelt von dem Wein der Hera und einem libidinösen Traum, begibt sich Wilhelm auf die Jagd, entschlossen, seine Vorräte aufzustocken und möglichst schnell die Besucher und den Traum zu vergessen.

Wilhelm

Ein freies Jägerleben,

das ists, was Freude macht,

Ich werd es nicht hergeben

fürs Liebchen einer Nacht.

 

Und doch, und doch

ich fühl sie noch.

 

Ihr Leib war wie von Golde

und schwarz das wilde Haar

als ich dich hielt, Isolde,

ward mir ganz sonderbar.

 

Es war ein Traum

und Traum ist Schaum.

 

Wach auf, sei Mann! die Hasen

und Füchse warten schon

Am Waldrand Rehe grasen!

Sie sind des Jägers Lohn.

 

Da schau, ein Kanickel

das pack ich am Wickel!

Wilhelm springt, um das Kaninchen zu fassen – und stürzt ab.

Hera erscheint. Über Wilhelm schwebt seine Seele.

Hera:

Da liegt er nun, der Jägersmann

der keinen Hasen fangen kann

Wo hat er denn nur hingeschaut?

Erblickte er die feine Braut?

 

Wir werden Hilfe schicken müssen

die ihn zwar nicht mit Frauenküssen

doch mit ner Trage und Verband

befördert in das flache Land.

 

Die schöne Feder ist zerbrochen

Vermutlich auch so mancher Knochen.

So lauf, gehorche meinem Wink

und schnelle Hilf‘ dem Manne bring!

Das Kaninchen hoppelt davon, Hera folgt nach. Wenig später erscheinen Danai, Domna, Trud, Clara und Jenny.

Trud: 

Was ist geschehn? Ist er gefallen?

Die Feder, wie sie wohl zerbrach?

Jenny 

Mit war, als hörte ich es knallen

es war ein ziemlich lauter Krach.

Vielleicht hat wer auf ihn geschossen?

Danai.

Ich halte das für ausgeschlossen.

Er ist gestürzt, als er von oben

heruntersteigt und auf dem groben

Geröll sich nicht mehr halten kann.

Da liegt er nun, der gute Mann.

Clara:

Ist er nun tot? Muss ich nun weinen?

Danai:

Er ist lebendig, will mir scheinen.

Eine Bahre brauchen wir

dann tragen wir ihn fort von hier.

Domna (für sich)

„Denn was täte ich,
wenn die Jäger nicht wären, meine Träume,
die am Morgen
auf der Rückseite der Gebirge
niedersteigen, im Schatten.“*

(*Ilse Aichinger, Gebirgsrand, 1978)

Trud:

Was murmelst du, Domna? hat er geträumt?

Hat er daher den Abstieg versäumt?

Wird er nun nicht mehr auf grünenden Matten

jagen, sondern im Reiche der Schatten?

Jenny:

Ich fürchte, der Wilhelm kann nicht mehr gehn.

Ich glaub, ich zieh los und hole noch wen.

Am besten wär es, wir hätten nen Wagen.

Ihr seid viel zu schwach, um ihn runterzutragen.

Das Kaninchen erscheint wieder, zusammen mit  Hawi und Abud.

Hawi:

Wir kommen wie gerufen.

Abud:

und bringen auch ein Kufen.

Der ist beweglich und sehr schmal

So schaffen wir ihn hinunter ins Tal

Trud:

Ein Kufen? mir scheint, es heißt ‚die Kufe‘,

genauso wie es heißt ‚die Stufe‘?

Abud:

Wollt ihr nun Hilfe, oder wollt ihr uns belehren?

Am Ende werdet ihr euch noch beschweren.

Wir können auch wieder gehen

dann könnt ihr alleine sehen

wie ihr den schweren Mann bugsiert.

Wir haben ja nicht Deutsch studiert.

Domna:

Seht es uns nach! Wir sind nun mal

ein wenig anders als normal.

Die Trud muss immer Fragen stellen,

Für jedes Ding ein Urteil fällen,

 

das leicht das Praktische vergisst.

Ich selbst bin blind, wie ihr schon wisst.

Ich  lebe nur in den Gedichten

mag über Welt und Mensch nicht richten.

 

Das Unsichtbare zu  erspüren

mit Worten Herzen zu berühren

dass Milde einzieht ins Gemüt

bin ich, als Dichter, stets bemüht.

Hawi:

Ich kann auch schon ein Gedicht…

Jenny:

Das interessiert uns grade nicht!

Kommt her und helft ihn hochzuheben

ihr schwätzt und er kämpft um sein Leben!

 

Domna (zu Hawi)

Du musst dich nicht an Jenny stören

Ich will es später gern anhören.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ILSE AICHINGER

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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3 Antworten zu Welttheater, 4, Akt, 2. Szene: Wilhelms Absturz und Hilfe

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Schön alles! ….🖐️

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