„Es kommt also“, so Doras nachdenkliche Schlussfolgerung aus den drei Interviews mit dem Paar, „darauf an, wo man jemanden fragt. Fragt man ihn in einem Tempel oder vor einer Kirche, wird nichts draus, aber am Strand geht es prima. Ich geh gleich mal die Fragende interviewen, ob sie das auch schon bemerkt hat.“
Es klingt ja vielleicht verrückt, aber Dora hat recht. Es ist überhaupt nicht egal, wo du jemanden befragst. Frag mal ein und denselben Menschen im Wartezimmer des Arztes und vor einem Wettbüro. Beide Male weiß er nicht, was ihm bevorsteht, aber seine Psyche ist ganz verschieden eingestellt.
Während ich noch über diese neue Erkenntnis nachsinne, eilt Dora hinaus, um die Fragende vor Sonnenuntergang zu erwischen. Sie findet sie auf einem weiten Feld unter dem großen Himmel. Tief gebeugt steht sie da und scheint etwas zu untersuchen.
„He, du, Fragezeichen!“ spricht Dora sie an. „Was untersuchst du da?“ – „Wer bist du, dass du mich beim Untersuchen störst?“, fragt jene zurück. – „Ich bin Dora und befrage die Kandidaten fürs Jahr 2023“, antwortet Dora. „Du hast dich ja auch beworben. Da muss ich dich befragen, ob ich will oder nicht. Ich frage dich also: Was untersuchst du da?“ – „Ich frage mich, ob unsere Erde uns noch lange tragen wird? Zu diesem Zweck untersuche ich den Boden?“ – „Wäre es nicht klüger, mal nach oben zu schauen? Vielleicht gibts da die Antwort?“ schlägt Dora im fragenden Tonfall der Alten vor. – „Ist da oben Erde, die ich untersuchen kann, ob sie uns noch lange trägt, kleines Klugscheißerlein? Da oben ist doch wohl Luft?“
Dora legt ihr Köpfchen schief und denkt nach. „Vielleicht ist dies nicht der richtige Ort, um dich zu befragen?“, sagt sie schließlich. „Ich denke, wir sollten das Interview an einem anderen Ort fortsetzen? Wie wäre es am Meer?“ – „Und was wäre damit gewonnen? Ist das Meer nicht unruhig wie die Luft? Wird mich das nicht bei meinen Forschungen stören?“ – „Nun, wie du meinst,“ flötet Dora. „Dann eben nicht. Ich möchte dich aber daran erinnern, dass du in deinem Bewerbungsschreiben schreibst:
„Zu viele behaupten, Antworten zu haben auf Fragen, die sie niemals stellten. Und sie verordnen und befehlen mit einer Sicherheit, die nur in die Irre führen kann. Lernt, die richtigen Fragen zu stellen!“
„Vielleicht solltest du deine Fragen mal überprüfen?“ – „Da hast du womöglich einen Punkt?“, murmelt die Fragende, „habe ich das wirklich geschrieben? Nun möchte ich es aber in Frage stellen: Die richtigen Fragen müsste ich finden, nicht wahr?“
Dora seufzt. „Du bist ein schwieriger Fall. Wenn du die richtigen Fragen gefunden hast, komm einfach bei uns vorbei und sag uns Bescheid, ja?“
Später finde ich Dora und die Fragende eifrig im Garten beschäftigt.
„Na, wie gehts?“, frage ich neugierig.
„Ist das nicht eine dumme Frage?“, zischelt die Alte. „Sollten wir nicht besser nach klugen Fragen suchen?“
„Richtige Fragen, soweit sind wir schon, gibt es nicht“, kräht Dora fröhlich. „Falsche gibt es vielleicht auch nicht. Aber viele viele dumme Fragen. Schau mal, wie viele dumme Fragen wir schon rausgeschnitten haben! Bald ist die ganze Zeitung leer.“
‚Und du meinst, wir sollten im nächsten Jahr nur kluge Fragen zulassen?‘ bin ich versucht zu fragen, beiße mir aber auf die Lippen. Denn das ist ja womöglich eine ganz und gar dumme Frage?
Liebe Gerda, mich freut ja, was du inzwischen alles digital anstellst! Deine Bilder hier sind beeindruckend und kraftvoll! Allerdings komme ich schon länger nicht mehr mit, was den Inhalt angeht. Wie oft bin ich jetzt schon bei dir vorbeigekommen und bin mit dem Thema z.B. mit den Kandidaten nicht mitgekommen oder gar verstanden! Schade ! Vielleicht würde ein kleiner Einführungssatz oder eine Zusammenfassung genügen? für die, die nicht so oft vorbeikommen können? Liebe Grüße, Petra
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Danke, Petra, auch für deine Anregung. Ich muss mal sehen, was ich da schreiben kann, ohne dass es zu lang wird für die, die hier laufend mitlesen.
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Ich denke an Kurosawas Rhasomon zurück, einen Film, den ich (leider) nur auszugsweise sah und der mir dennoch sehr gefiel.
Eine jede Handlungsfigur stellte bei einem Ereignis etwas anderes fest, hatte etwas anderes beobachtet, erlebt.
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Ich habe den Film vor ewigen Zeiten gesehen, vermutlich in meiner Studienzeit in Berlin, als ich täglich ins „Filmkunsttheater am Kantplatz“ ging und alle drei täglich gebotenen Filme hintereinander ansah – für eine Eintrittskarte. Ich war total kulturell ausgehungert damals, denn in der provinziellen Kleinstadt, in der ich aufwuchs, gab es nur einen kläglichen Kintopp. An die Ästhetik des Films erinnere ich mich, an den Inhalt nicht.
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Wozu gibt es wikipedia?!
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Ist das nach Maßgabe der Fragenden nun eine dumme oder eine kluge Frage?
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Was meinst Du?
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Immer diese Fragen! 🙂
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Evozierte…
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Nein, eine sehr berechtigte Frage, Gerda.
Oh wieviel unnütze Fragen gibt es. Was steckt aber hinter all dem Suchen und Fragen? Eine Ursehnsucht nach dem Licht der Wahrheit.
Doch wie ist es damit? Kaum ist die Chance da, schleichen sich viele an der Beantwortung und damit verbundenen Verantwortung vorbei, überlassen das lieber anderen.
Und davon sind die Zeitungen voll.
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Ich möchte nochmals deine tollen Bildkompositionen loben. Sie erzählen Geschichten.
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Gerda, Deine Bildzusammenhänge weisen aber schon auf die weiterführenden Antworten hin. Die beiden Köpfe am Himmel, wie Wolken (wohl von Dir gemalt?), das Meer, der Garten… halten ja die Antworten und Herausforderungen des Lebens an uns bereit.
Nun geht es um das rechte Handeln im richtigen Moment. Und die richtigen Fragen zu stellen – wie Dora – bringt uns auch weiter.
Also in dem Sinne weiter!
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