Notwendige Vorbemerkung:
Edward de Bono wurde in den 80er Jahren ziemlich bekannt als Erfinder des Begriffs lateral thinking, eingedeutscht als „Querdenken“. Diese Art des Denkens gilt als unbequem, aber auch kreativ, sie gilt als chaotisch-assoziativ, aber auch hilfreich, wenn man mit dem rationalen „vertikalen“ Denken nicht weiter kommt. 1986 erfand er ein Kommunikationsspiel mit sechs „Denkhüten“ (Six Thinking Hats), das sich bald bis hinauf in die Chefetagen der Unternehmen großer Beliebtheit erfreute. Es beruht auf der Beobachtung, dass es oft zu Streit kommt, weil Menschen unterschiedliche Denkstile benutzen. In einem Gruppenprozess sei es daher von Vorteil, wenn die Teilnehmer sich einigen, welcher „Hut“ (Denkstil) grad dran ist. Dann setzen sie sich den entsprechenden Hut auf. Wichtig sei, dass alle sechs „Hutarten“ zu ihrem Recht kommen, so dass sich alle Beteiligten einbringen können.
Die einzelnen Hüte stehen für
- blau: ordnendes, moderierendes Denken: Überblick über die Prozesse, momentaner Stand des Entscheidungsprozesses (,Big Picture‘: der blaue Himmel)
- weiß: analytisches Denken: Fakten, was ist bekannt und was nicht, welche Anforderungen bestehen und wie können sie erreicht werden (objektiv: das weiße Blatt)
- rot: emotionales Denken, Empfinden: Konzentration auf Gefühle und Meinungen (subjektiv: Feuer und Wärme)
- schwarz: kritisches Denken: Risikobetrachtung, Probleme, Skepsis, Kritik und Ängste mitteilen (kritisch: Schwarzmalerei, Advocatus Diaboli)
- gelb: optimistisches Denken: Chancen, was ist das Best-Case-Szenario (spekulativ: Sonnenschein)
- grün: kreatives, assoziatives, divergentes bzw. laterales (Quer-) Denken: neue Ideen, Kreativität (konstruktiv: Wachstum)
Als ich das von Kain Schreiber für die abc-etüden gesprendete Wörtchen „quer“ las, kamen mir die verqueren Debatten der letzten Jahre in den Sinn. Mir fiel auch auf, dass eine merkwürdige Vermischung der Begriffe Querdenken und Querfront stattgefunden hat. Ich machte etliche Anläufe, um dies mit 300 Wörtern in kata-strophischer Weise darzustellen. Manche Versionen waren sehr bissig. Die heutige ist mild-gelassen. So lautet so:
Als ich wandere durch den Hain
Vernehm ich Zwergenstreiten
Sie sind zwar von Statur sehr klein
Doch hört man sie von weitem.
*
Ich schleich heran, um mehr zu sehn
Und dem Gespräch zu lauschen
Auf einem Stein sitz ich bequem
Nicht weit vom Meeresrauschen.
*
Es waren sechs und bunt gewandet
Blau, gelb und weiß, grün, schwarz und rot
Sie waren eben angelandet,
Von Ferne sieht man noch das Boot.
*
O weh o weh, was sie spektakeln!
Der eine schreit, der andre grollt
Es fehlte noch, dass sie sich hakeln
Und einer übern andern rollt.
*
Der Blaue ruft: Ich bin gescheiter
Als alle ihr, denn ich bin lang
Und ergo blicke ich auch weiter
Und weiß wo’s hinfließt und entsprang.
*
Die Rote, ja, es ist ne Frau
Schreit: Still, seid still, ich fühle
Mit allen und ich fühl genau
Die Hitze und die Kühle!
*
Der Weiße hat nen langen Bart
Der lässt rein gar nichts gelten
Als Fakten, das ist seine Art
Auch wenn die andern schelten.
*
Der Schwarze, o, der Sauertopf
Der hört nicht auf zu grübeln
Und angefüllt ist ihm sein Kopf
Von allen Weltenübeln.
*
Dem Gelben stets die Sonne lacht
Er sieht die Dinge heiter
Auch in der allertiefsten Nacht
Bleibt er ein Hoffnungsstreiter.
*
Der Grüne der trägt keinen Hut
Denn er mag gern quer denken
Was er braucht, ist Gedankenmut
Er will sich selber lenken.
*
Ein siebter Zwerg kommt nun herbei
Groß ist er wie ein Baum
Der spricht: Es ist doch einerlei
Platz ist auf kleinstem Raum.
*
Die Sonn ist weiß, doch wenn ihr Licht
Durch Dunkles wird gebrochen
Dann kommen, hach, du glaubst es nicht
Die Farben rausgekrochen.
*
Lasst jedem seins, dann passt ihr friedlich
Auch in das kleinste Boot
Ja schau, so soll’s, macht’s euch gemütlich
Denn morgen seid ihr tot.
Ein Gott als siebter Zwerg und Problemlöser? Fände ich schon recht quer.
Aber toller Hinweis und toll zum Nachdenken umgesetzt!
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Quer ist cool!
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🙂 Danke, Werner. Aber ich mache keinen Gott zum Zwerg, eher umgekehrt. Man sagt ja, jede Art mache sich ihren Gott entsprechend dem eigenen Bild: der Löwe hält Gott für einen mächtigen Superlöwen, der Affe für einen gewaltigen Affen, der Mensch für einen allmächtigen alten Mann und die Zwerge? Vielleicht für einen toleranten Friedensstifter, der jede Art von Zwergensein gelten lässt?
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In Anbetracht des Todes wird aller Zwist nichtig.
Und doch brauchen wir alle offene Ohren und Herzen füreinander und den unterschiedlichen Ergebnissen von Forschungen und Nachdenken. Und da liegt eben der Hase im Pfeffer.
Ich überlege noch welcher Hut mir passen würde, so, wie ich es gerade sehe, ist die Wahl auch situationsbedingt, komme ich auf drei.
Herzliche Grüße
Ulli
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Danke, Ulli. Der Sinn des Spiels ist, JEDEN Hut einmal aufzusetzen, und zwar gleichzeitig mit den anderen Spielern. Also wenn von Fakten und nichts als Fakten gesprochen werden soll, setzen alle den weißen Hut auf, wenn Gefühle sich einmischen, dann setzen alle den roten Hut auf und sprechen nicht über Daten, sondern über Gefühle. Wenn jemand endlich mal die positiven Entwicklungsmöglichkeiten ins Licht heben will, setzen alle den gelben Hut auf und unterstützen ihn mit positiven Argumenten. Wenn jemand heftige Kritik übt und schwarz sieht, dann setzen alle den schwarzen Hut auf und tragen kritische Punkte zusammen. Wenn jemand findet, dass die Debatte in einer Sackgasse steckt und kreative Lösungen gebraucht werden, dann setzen alle den grünen Hut auf und denken über Alternativen nach. Wenn jemand sagt: wir wolllen uns nicht in Details verrennen, sondern uns einen Überblick verschaffen, wo wir eigentlich stehen – dass setzen sie den blauen Hut auf.
Es gibt also bei jedem Hutwechsel eine Vereinbarung über die Ebene, auf der man reden will. Das ist eine künstliche Trennung von Ebenen, die normalerweise zusammenspielen,, Sie schärft den Sinn dafür, worum es den anderen und einem selbst grad geht, und macht Verständigung leichter. .
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Aaah, verstehe, das macht Sinn. Könnte man ruhig auch auf Bundesebene einführen und überhaupt.
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Ja, auch in Bloghausen. 😉
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Ja.
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Ich bin des ganzen Krakeelens so müde. Wenn nach all den Jahren mal wieder alle Hüte zu ihrem Recht kämen, nicht nur gefühlt einer oder zwei, hätte ich nichts dagegen.
Gerda würdest du deine Etüde bitte noch verlinken bzw. bei der Schreibeinladung einen Link mit Kommentar hinterlassen? 😉
Abendgrüße mit viel Regen und in Erwartung von Sturm 😁🌧️🌬️🍷🍪👍
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Danke, mache ich. Einen link hatte ich gesetzt, aber der ist wohl nicht angekommen. Ich bin des Krakeelens auch sehr müde – aber noch viel mehr des Zustands, in dem wir leben sollen, liebe Christiane. Es würgt mir die Luft zum freien Atmen ab, und ich denke Tag und Nacht nur eins. wann löst sich der Alptraum in Wohlgefallen auf? .
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Da hast du recht, das geht mir seit mindestens Anfang Corona ebenso. 😒🧡👍
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Wie die Farben für verschiedene Arten des Denkens oder Fühlens oder der Weltbetrachtung stehen, finde ich beachtenswert.
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Sehr interessante Basis für Diskussionen die Sache mit den verschiedenen Hüten. Werde ich mir merken !
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Die Dichtung – ich mag sonst solch Prosa nicht – ist wunderbar!Danke auch für das Vorwort! Diese Art der Quer-Denkerei gefällt mir gut. So macht sie auch Sinn – wenn es um konkrete Projekte geht bestimmt.
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