Dora zum FünftenZweiten: In der Bucht

Wir steigen in unsere kleine Bucht hinunter, um zu schauen, welche Verwüstungen die letzten Stürme hinterlassen haben.  Die Kante mit dem Pfad ist unterspült und teilweise abgebrochen, bald wird man ihn nicht mehr benutzen können. Viele Schilfwurzeln liegen nun im Freien. Dora spendet einer Wurzelfamilie Licht, die da zusammenhockt und mit blinden Augen in die unbekannte Helligkeit blinzelt.

„Ich hab eins für dich! Guck mal!“ schreit Dora. Und tatsächlich sehe ich, wie die kleine Dora ein prächtiges Wurzelwesen, das allein am Strand liegt, hochstemmt. Dankbar nehme ich ihr Geschenk entgegen. Vielleicht werde ich es nachher zeichnen.

Auch sonst hat sich einiges verändert. Die Wellen haben die Tamariske, die nur noch ein Haufen toter Stämme ist, seit jemand ihre riesigen Wurzeln durchsägte,  weitergetragen bis hin zu dem, was vom Schwesterbaum verblieben ist.

Dora ist verstört, als sie die Stämme so hilflos und entblößt von ihrer Borke herumliegen sieht. „Warum?“ klagt sie. „Ich arbeite immerzu, um euch glücklich zu machen, und dann kommt einer her, sägt dem armen Baum die Wurzeln ab und und macht ihn unglücklich. Da hab ich keine Lust mehr, euch zu beschenken.“ Sie legt ihre Strahlendose auf den Stamm und ihre Geschenkbox in den Sand und schmollt.

„Kleine Dora, ich kann dich ja verstehen! Aber was nützt es zu klagen! Vielleicht schenkst du dem Baum ja neue Wurzeln?“ sage ich bittend.  Aber Dora ist sauer. „Bin ich dafür da zu reparieren, was ihr absichtlich kaputt macht?“

Nun, lange hält es Dora zum Glück nicht aus zu schmollen. Und so ist sie schon wieder munter dabei, als ich zum alten Haus gehe, um auch dort die Schäden zu untersuchen. Na, besten Dank! Da wird wohl nix mehr draus.

Als Dora eine Schaukel neben dem verwilderten Orangenbaum entdeckt, ist ihre gute Laune gänzlich wiederhergestellt. Ich atme auf. Es ist nämlich gar nicht angenehm für mich, wenn Dora schmollt.

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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24 Antworten zu Dora zum FünftenZweiten: In der Bucht

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Es wird immer schönet und spannender mit Klein-Dora.😊

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  2. Ulli schreibt:

    So viel Veränderung am Kleinen Strand.
    Und sag doch bitte mal Dora, dass ja nicht alle Menschen so zerstörerisch sind.

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    • gkazakou schreibt:

      Ja, Ulli, Ich finde es auch übertrieben, wie sie alle in einen Topf schmeißt. Andererseits beschenkt sie auch alle ausnahmslos. Sie lässt es „regnen über Guten und Bösen“, und macht da keinen Unterschied,

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  3. Gisela Benseler schreibt:

    Das war aber fürs Mittelmeer ein ungewöhnlich kräftiger Sturm!

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  4. Werner schreibt:

    Das sind ja wahre Prachtstück die ihr da gefunden habt. Ich mag solche Wurzeln, sie finden ein Platz in meinem Sandarium zwischen Steine und Sukkulenten.

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  5. Myriade schreibt:

    Ich nehme mal an, dass die Orangen nicht anders schmecken ?

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    • gkazakou schreibt:

      Ich konnte es leider nicht ausprobieren, da der Zugang völig mit Brombeergestrüpp zugewachsen ist. Manchmal mendeln sich verwildernde Bäume in den Urzustand zurück, zumal sie oft zwecks Veredelung gepfropft sind

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      • Myriade schreibt:

        Aha, dann schmecken die Früchte von einem wilden Orangenbaum anders als die von einem veredelten. Wie vieles andere Obst auch

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  6. Verwandlerin schreibt:

    Liebe Gerda, ich finde es großartig, wie du die Fahne von Kreativität und Optimismus hochhältst, Gerda!

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  7. Sie wird noch so manchmal ihre Enttäuschungen mit uns Menschen erleben, die kleine Dora.
    Gedankenlos zerstören wir Menschen so vieles, nicht immer ist es wirklich böse gemeint…
    Wie schade, daß das alte Haus immer mehr zerfällt. Wind und Meer setzen ihm mehr und mehr zu.

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