Wellen, die sich brechen und verlaufen (Montags ist Fototermin)

Mittags am Meer. Am Himmel wildes Gewölk, manchmal reißt es auf, dann strahlt die Sonne mit unverminderter Kraft.

Dann wieder zieht es sich zu. Drüben an der gegenüberliegenden Küste regnet es.

Das Meer unter dem Himmel scheint in der Ferne nur leicht bewegt. Doch wie sich die Bewegung dem Ufer nähert, bäumt sich das Wasser auf, wird zur Welle, brandet an Land, rollt zurück. Die nächste Bewegung nährt sich vom zurückfließenden Wasser, die Welle wird größer, brandet an Land, rollt zurück. Die übernächste Bewegung nährt sich vom zurückfließenden Wasser beider Wellen, die dritte Welle wird noch größer, brandet an Land, rollt zurück. Ich zähle mit. Die siebte Welle ist die mächtigste. Hoch wölbt sich das Wasser unter der glatten Wasserhaut, noch höher, jetzt bricht die Haut, schäumend und brüllend nähert sich die Welle dem Ufer. Brandet an Land, rollt zurück.

Die mächtige Welle ist zerstoben, eine neue flache Welle baut sich auf, und so fort und fort. Woran bricht sich die Welle? Sie bricht sich an der Bodenwelle, die sie und ihre Vorläufer sich selbst geschaufelt haben. Sie haben sich in den Grund gewühlt und Gestein vor sich aufgehäuft. Dadurch entstand eine Art unterseeischer Wall, der das Festland schützt. Die Wellen können es nicht überfluten, denn sie brechen sich zuvor an dem Schutzwall, den niemand anderes als sie selbst aufgerichtet haben.

Mit einem gewissen Recht wirst du mir einwenden: Brechen sie sich nicht an den Felsen oder den ins Meer hineingebauten Molen? Ja, sicher,  das tun sie auch, und wenn sie dort mit voller Wucht aufprallen, ist das Spektakel sehenswert. Es kracht und schäumt gewaltig, wenn sich Hartes der weichen Bewegung des Meeres entgegenstellt. Da sind dann auch alle Kameras griffbereit, grad wie bei Demonstationen, wenn der bis dahin friedliche Zug auf eine Mauer aus Polizisten trifft.

Wie war das doch damals, als wir in Paris gegen den Vietnamkrieg demonstrierten? Wir waren extra aus Berlin angereist. Der Demonstrationszug war gewaltig, rollte durch die Straßen, winkend begrüßt und flankiert von Paris-Bewohnern. Er schwoll so sehr an, dass er sich in zwei große Züge teilte. Dort, wo ich mich befand, wogte es noch ein Weilchen weiter mit Ho-ho-ho-chi-minh Rufen und Hallo, dann verlief sich die ehemals große Welle sachte und jeder ging seines Wegs. Der andere Teil des Zuges aber stieß mit der Polizei zusammen, da wurde geschlagen und Fliehende wurden bis in die höchsten Stockwerke der Häuser verfolgt. Stories fürs Leben und auch für die Tagespresse spielten sich ab. Grad so wie hier an den Felsen.

Und wärend ich dies und vieles andere bedachte, fiel mir auch die Liedzeile ein, die Demonstranten damals, 1967, als die Junta in Griechenland ihre siebenjährige Tyrannei begann, auf ihr Transparent geschrieben hatten:

„Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne – es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt“.

Es tut doch ganz gut, sich solche Erlebnisse in Erinnerung zu rufen. Auch die heutige Tyrannei wird sich noch mehr aufhäufeln, von Welle zu Welle, aber am Ende wird auch sie sich verlaufen.  Das will ich doch stark hoffen.

 

 

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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7 Antworten zu Wellen, die sich brechen und verlaufen (Montags ist Fototermin)

  1. Gisela Benseler schreibt:

    Diese Naturgewalt ist großartig! Und bei Euch eher eine Seltenheit, an der Ostsee aber „normal“. Wie wunderbar Du das Anrollen der Wellen auch mit Deinen Worten beschrieben hast!
    Da dachte ich, Dein Beitrag sei zuende.
    Aber Gerda ist Gerda. Nun, was soll ich sagen?

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  2. Gisela Benseler schreibt:

    Aber wer weiß? Vielleicht hast Du darin ja eine Gesetzmäßigkeit erkannt?

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  3. Mitzi Irsaj schreibt:

    Selbst die Fotos anzusehen beruhigt.

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  4. nandalya schreibt:

    Es mögen 12 Stunden oder 12 Jahre sein. Die Natur wird über jede Gewalt von Menschen siegen. Dann liegen sie da, die Gierigen in ihren Gräbern und niemand wird sich mehr an sie erinnern. Der Tod holt sie alle. Karma is a Bitch. Unrecht wird nie zu Recht.

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  5. susannefe2014 schreibt:

    Das Lied ist sehr ermutigend ‚Die Nacht hat 12 Stunden, dann kommt schon der Tag‘, d. h. ‚Die Hoffnung stirbt nicht‘.

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  6. Johanna schreibt:

    Danke, eine wunderbare Beobachtung, die dann auch auf das Menschenmeer passt…. ach ja, vielleicht ist es alles viel gesetzmässiger als wir glauben ..

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