Als ich mir die von Rina (Geschichtszauberei) gespendeten Wörter „Cafe, beißen, verdorben“ der aktuellen Etüden-Wochen durch den Kopf gehen ließ, fiel mir eine Episode meines Romanfragments „Schwanenwege“ ein. Auf die erlaubten 298 Wörter gekürzt und aus dem Roman-Zusammenhang gerissen, möge es euch dennoch eine erfreuliche, zum Weiterspinnen geeignete Sonntags-Lektüre sein.
Soviel sei verraten: Herr Mercurio D. Pontevecchio ist, wie sein Name sagt, eine Verkörperung des Gottes Merkur. (D steht für Deus oder Dämon, Pontevecchio für „alte Brücke“). Und so ist es denn auch nicht verwunderlich, dass er Gedanken lesen kann und dass Harald, kaum ist Herr Mercurio gegangen, feststellt, dass sein Portemonnaie und sein Handy weg sind. Durch solche von Herrn Mercurio arrangierten Kata-Strophen wird Harald aus seiner erstarrten selbstzufriedenen und selbstmitleidigen Seelenverfassung herausgerissen und schmerzhaft mit sich selbst konfrontiert.
Episode aus „Schwanenwege, 4. Tag. Harald scheut Kosten“.
In einem Café fand Harald einen Tisch, von dem aus er das Treiben auf der Straße bequem überblicken konnte. In einer verspiegelten Säule sah er auch sich selbst: hager, mit elegantem Raubvogelprofil, das eine Bein über das andere geschlagen. Er war zufrieden mit sich und lächelte die hübsche Bedienung an, als sie ihm seinen Milchkaffee und ein Croissant brachte. Sie lächelte zurück und eilte, ihren hübschen Po unter dem knappen schwarzen Rock schwenkend, zur Theke zurück. ‘Nicht übel’, dachte Harald und tauchte das Croissant genüsslich in den Kaffee.
Ganz nebenbei und wie zur Bestätigung warf er noch einen Blick auf sein Profil im Spiegel – und schrak zusammen. Genau hinter ihm stand Herr Mercurio D. Pontevecchio. Und schon begann sein unaufhaltsames Geschwätz über ihn hereinzubrechen: „Guten Morgen, verehrtester Harald! Welch glücklicher Zufall! Gestatten Sie, dass ich mich zu Ihnen setze? Sie trinken Milchkaffee? Eine gesunde Gewohnheit, fürwahr. Ich für meinen Teil ziehe etwas Stärkenderes vor. Ein doppelter Espresso für mich, liebste Marilena!“. Und Marilena, die aparte Serviererin, brachte ihm seinen Espresso samt Wasser und einen Teller mit glasiertem Süßgebäck, denn sie kannte offenbar Herrn Mercurios Geschmack. „Hat sie nicht einen reizenden Po, die kleine Marilena? Und wie nett die weißen Schleifen sich auf dem schwarzen Röckchen machen! Ohne das Röckchen wär der Anblick freilich noch erfreulicher, nicht wahr, Verehrtester? Sie stimmen mir zu, sehe ich? Wie recht Sie haben, es geht doch nichts über zwei süße Bäckchen in zarter Spitzen-Umkleidung.“ Und er ergriff mit seinen dicklichen Fingern ein rosa glasiertes Küchelchen, das appetitlich in weißem Spitzenpapier ruhte, und biss andächtig hinein. Es knackte leise zwischen seinen Zähnen, sprang auf und zeigte sein weißes schaumiges Inneres, das nun mit spitzer Zunge und genussvollem Schmatzen verzehrt wurde.
Harald war seine eben noch so gute Stimmung gründlich verdorben.
Der Merkur war ja ein ganz Gerissener und hat ja viele auf den Leim geführt mit seiner List, die falsche Richtung anzuzeigen. Will er etwa den Harald auch auf eine falsche Fährte locken? Wäre sehr schön, wenn es noch weiter ginge, liebe Gerda!
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o ja, Herr Mercurio ist eine schwer zu durchschauende Existenz. Und natürlich geht es in meinem Manuskript weiter. Nein, nicht auf eine falsche Fährte lockt er ihn, sondern er führt ihn durch solche Klein-Katastrophen (Beschämung, Verlust von Papieren, Geld und Handy, Verwicklung in eine Brandstiftung, Polizeigewahrsam) aus seelischer Erstarrung zu sich selbst, zu seiner Verantwortung dem Leben gegenüber..
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ausruhen, erholen, Kraft sammeln für die neue Woche, das wünsche ich dir
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Man spürt die Abneigung von Harald in deinen Worten direkt. Gefällt mir sehr gut der Einsatz.
Liebe Grüsse
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ich hoffte, dass Ärger und tiefe Abneigung meines Helden rüberkommen. Es ist ja nur ein Text-Ausschnitt, aber dennoch. Danke für die Bestätigung, Rina. Witzig fand ich, dass deine Wörter so genau zu der Szene passten. Ich habe nur den letzten Satz hinzugefügt, der im Original nicht steht.
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Das kommt ziemlich gut rüber.
Das ist witzig….perfekte Wahl…schon interessant manchmal. 😉
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🙂
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Auf jeden Fall präsentiert sich hier der Gott in keinem besonders angenehmen Licht. (War er nicht auch der Gott der Händler und Diebe?) Sehr schön: Harald starrt der Kellnerin auf den Hintern, aber wehe, der Gott tut (und kommentiert) das Gleiche!
Ich hoffe immer noch, dass du das Buch mal der Welt zugänglich machst.
Liebe Grüße
Christiane, staunend
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Dieser Gott – ja, ihm wird einiges Dunkle nachgesagt, Dieb und Freund des Handels sei er – wie kamen die Leute nur darauf, diese beiden Dinge ein und demselbem Gott zu unterstellen 😉
Er war immer zur Stelle, wenn Zeus heikle Aufträge zu vergeben hatte, und auch selbst nicht abgeneigt….. Meine italienische Variante des Gottes leitet sich aus der römischen her, die sich ihrerseits aus der griechischen (Hermes) herleitet…. Er ist eigentlich der Spiritus rector meines Romans, also der, der im Geheimen die Fäden zieht. 🙂
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Wie wußtest Du, in welchem Abschnitt der Schwanenwege diese Worte stecken, liebe Gerda?
Sie passt so gut als Etüde und sehr spritzig und lebendig geschrieben.
Harald, ein eitler Geck und der hinterlistige schlitzohrige Gott und wie göttlich diese Szene, mit der hübschen jungen Bedienung, so jung und knackig in den Augen der beiden Herren, die Wünsche zu ahnen scheint und Herrn Mercurio wohl öfter zu sehen bekommt.
Dann ist der italienische Mercato vermutlich göttlichter Herkunft ? 🙂
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Woher ist es wusste, liebe Bruni? Ich habe es geschrieben, ist zwar schon ne Weile her, aber die Szenen sind mir alle noch sehr sehr nah. Leider. Ich mag auf keine verzichten. Eigentlich müsste ich streichen, streichen, streichen. Das Buch ist, obgleich unvollendet, mehr als 700 Seiten dick….
Mercato kenne ich nicht, aber sicher kommt der Name von Mercurius, dem flinken, geschäftstüchtigen schlitzohrigen Gott der Händler (und Diebe).
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Es ist das italienische Wort für Markt. Ich hatte es in Erinnerung.
Dein Gedächtnis ist aber schon außerordentlich, liebe Gerda *schmunzel* – bei 700 Seiten Text!
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mein Gedächtnis ist gut und schlecht, beides, je nachdem. 😉
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Das muß so sein. In Frankfurt läuft zur Zeit eine Ausstellung über das Vergessen, aber vielleicht steht dann dort ein Schild an der Tür
Für immer geschlossen, wir vergaßen, was wir ausstellen wollten 🙂
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🙂 🙂
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