Griechische Kunst am Sonntag: „Broken History“ von Samios

Sehr „griechisch“ ist die Kunst von Pavlos Samios, die ich gestern im Byzantischen und Christlichen Museum von Athen sah.
Samios, Jg. 1948, studierte an der Athener Kunstakademie – und akademisch ist sein Werk bis heute, wenngleich er viele Jahre in Paris lebte. Zurück in Athen wurde er Professor für Byzantinische Kunst und traditionelle Techniken der Malerei (Ikonenmalerei, Enkaustik, Manuskript, Fresco).
Doch nicht die Ikonen stehen im Zentrum dieser Ausstellung, sondern Werke seiner jüngsten Schaffensperiode (seit 2017), in denen es um die „zerbrochene Geschichte“ des Griechentums geht – eine Wunde, die immer wieder aufbricht: Was ist aus uns Griechen geworden? Aus unserer hohen Kunst? Zerbrochen, zerschlagen, weggeraubt, in alle Welt zerstreut, nur Bruckstücke sind uns gelassen. Dass die Kirche der Haupttäter bei der Zerstörung des klassischen Erbes war, wird hier freilich ausgeblendet. Und so bleibt die Suche nach der „griechischen Identität“ einmal mehr in der Klage stecken, „was man uns angetan hat“.

Die meisten Arbeiten sind auf dickem Wellkarton entstanden, wie man ihn für die Verpackung von Möbeln verwendet, mit Verpackungsetiketten, Verschnürungen, „Verkaufs“-Beschilderung.

 

Oft stapelt Samios auch Kartons verkantet übereinander, um so den Eindruck des Zerbrochenen zu steigern.

 

und übergeht die Kartons mit Graffitis, die an Athener Hauswänden allgegenwärtig sind.

 

Manche seiner Bilder-Stückwerke liegen am Boden und/oder sind teilweise aus dem Karton herausgeschnitten …

 

… oder mit Akryllfarben auf Marmorbrocken gemalt

 

Dass Samios auch die Ikonenmalerei und die byzantinische Mosaikkunst meisterhaft beherrscht, zeigt sich an einigen Exponaten im Vorraum der eigentlichen Ausstellung, die ausschließlich antike Skulpturen zum Inhalt hat.

 

Gestern zeigte ich euch Orpheus, heute war ich im Heiligtum des Dionysos. Dieser Gott war der Kirche immer besonders verhasst, und die spärlichen Überreste des Heiligtums müssen auch heute noch durch einen hohen Zaun geschützt werden müssen – vor wem? –

Darüber berichte ich in einem Extra-Eintrag.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, alte Kulturen, die griechische Krise, die schöne Welt des Scheins, Fotografie, Katastrophe, Kunst zum Sonntag, Psyche, Skulptur, Zeichnung abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

15 Antworten zu Griechische Kunst am Sonntag: „Broken History“ von Samios

  1. Ulli schreibt:

    Danke fürs Mitnehmen. Ich bin beeindruckt – zerbrochen – zerstückelt – in alle Winde verweht – du schreibst: ein griechisches Lied, ich fragte mich direkt für wieviele Völker es ebenso gilt?! Die fragmentarischen, griechischen Skulpturen kann ich als Symbol für die Zerstückelung von hoher Kultur anschauen. Das geht aber vielleicht nur, weil ich Nichtgriechin bin?!

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    • gerda kazakou schreibt:

      Ich stimme dir zu; es ist ein Symbol, das allerdings von allen betroffenen Völkern verschieden erlebt wird. Im Akropolis-Museum ist das Zerstückelte besonder gut sichtbar, weil vom ursprünglichen Fries, der abgeschlagen und nach London verfrachtet wurde, nur noch Stücke da sind. Jeder Besucher sieht, was fehlt, und fragt sich, warum die Briten es nicht zurückerstatten. Jeder wird hilflos wütend. Das ist von diesem Künstler, der lange in Paris lebte – viele der Skulpturen, die er abbildet, sind heute im Louvre zu besichtigen – sehr anschaulich gemacht worden.

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    • gerda kazakou schreibt:

      Ich überlegte eben, liebe Ulli – dein Kommentar brachte mich drauf, aber auch die abc-etüde von Myriade im Kaffeehaus – , ob es nicht auch eine Möglichkeit geben kann, den Bruch in der deutschen Geschichte in verständliche Bilder zu übersetzen. Wonach sehnen wir uns, als Deutsche, wenn wir über den Geschichtsbruch durch den Faschismus klagen? welche Bilder wurden zerstört, und wie?

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      • Ulli schreibt:

        spontan entfährt es mir: ein R I E S E N -Thema.
        Brüche fanden und finden viele statt, immer und immer wieder, aber ich glaube auch, dass der Zweite Weltkrieg zu einem generellem Bruch in der Welt geführt hat, nicht nur in Deutschland -„etwas“ ging für immer verloren, vielleicht kann man hier ansetzen –
        ansonsten muss ich nachdenken, was das genau sein könnte.

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    • gerda kazakou schreibt:

      Dies „etwas“, das verloren ging, hat zum Beispiel Stefan Zweig in seinen Memoiren („Die Welt von gestern“) beschrieben, aber das reicht mir nicht. ich denke, dass wir als Deutsche schon lange unter einem Mangel an Kontinuitätsgefühl leiden. Wo beginnt das „Deutschsein“, was macht es aus? ich nehme mal an, die Italiener, die Spanier, Portugiesen, Engländer, Dänen, Franzosen …. – um nur mal ein paar europäische Länder zu nennen – wüssten für ihre Nation zu antworten. Wir aber? Ich erinnere mich, wie wir als revoltierende Studenten bis zu den Bauernkriegen zurückgingen, um uns mit irgendetwas in der deutschen Geschichte verbinden zu können. ich würde es gut finden, wenn wir nicht aus Mangel an Identität oder gar aus Hass gegen das Deutsche weltoffen und mitmenschlich denken würden, sondern aus einem sicheren Gefühl dafür, was wir der Welt zu geben hatten und haben.

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      • Ulli schreibt:

        Ich denke nun auch wieder an „Die Mutmaßungen zum Deutschsein“ von Graugans – dort wurde vieles benannt was uns „herumeiern“ lässt – ich dachte und denke auch, dass es anderen Menschen aus anderen Ländern leichter fallen wird als „uns“. Vielleicht wehre ich mich auch deswegen so gegen die Überschrift „Deutschsein“ und bezeichne mich lieber als Welterbürgerin? Womit kann ich mich wirklich als in Deutschland geborene Frau identifizieren?

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    • gerda kazakou schreibt:

      Genau da liegt die Crux, liebe Ulli. Reicht es zu sagen: ich und die Welt? Dieses Ich wird der Welt ja vermittelt über Familie und Nation, ob es uns nun passt oder nicht. Mein Ich wird aus einem Wir geboren, und so sehen mich auch die anderen.
      ich komme zu mir selbst nur, wenn ich meine Ausgangsbedingungen deutlich vor mir sehe, also die Hüllen, in die mein Ich sich eingekleidet hat. Dies,und nur dies ist mein Zugang zum Leben gewesen – weder habe ich in Japan noch in Simbabwe das Licht der Welt erblickt.
      Wer sich mit Horoskopen befasst, schaut auf die Sternen- und Planetenkonstellation, die zum Zeitpunkt der Geburt bestand, und leitet daraus Eigenschaften und Lebenschancen ab. Mindestens ebenso bedeutsam ist die Familien- und Nationen-Konstellation, unter der ich geboren wurde. Ich muss sie verstehen, um mich selbst zu verstehen.

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      • Ulli schreibt:

        Ich stimme dir zu! Natürlich habe ich mich schon sehr oft mit meiner Familienkonstellation auseinandergesetzt und auch damit, dass ich eben in Deutschland geboren und sozialisiert wurde, all das ist nun einmal prägend. Im Laufe des Lebens kommen immer wieder Schwellen, an denen „man“ verharrt, aussortiert, das behält, was wirklich zum Selbst gehört, was nicht, soweit man es vermag und mit allen neuen Erfahrungen, die man auf dem Lebensweg einsammelt ändert sich auch das Verständnis von Ich und Selbst, von Familie und Geburtsland (auch Abwehr hat eine Ursache … ) –
        Ich merke gerade, dass es mir schwerfällt hier im Kommentarstrang die richtigen Worte zu finden, zumal es wirklich ein großes Thema ist!

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  2. afrikafrau schreibt:

    großartig, vielen Dank für deine Kunst Führung

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  3. www.wortbehagen.de.index.php schreibt:

    Was für wundervolle Wege geht er, um das Zerbrochene, Zerstückelte drastisch und außerordentlich gut den sehenden Menschen der modernen Zeit zu zeigen.
    Das allererste Bild zeigt den Mythos Frau über die nur noch unvollkommen erhaltene Göttin, die roboterhafte steinerne Frauengestalt, die junge Schöne der Gegenwart zur völlig surrealistisch in sich selbst verschlungenen weiblichen Figur.
    Ein wunderbares Kunstwerk eines großen Künstlers, liebe Gerda

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  4. wechselweib schreibt:

    Ich bin sehr beeindruckt.

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