Ein riesiges Thema ist, wie die Wahrnehmungen auf die künstlerischen Prozesse einwirken. Ich habe nicht vor, hier irgendwie Erschöpfendes dazu zu sagen, sondern möchte nur ein paar Gedanken niederschreiben, die mir dieser Tage kamen.
Normalerweise denkt man: der Künstler nimmt etwas im Außenraum wahr, beobachtet und formt danach sein Bild. So ist es ja auch oft genug. „Nach der Natur malen“, „Modellzeichnen“, „ein Motiv suchen und es gestalten“ – das ist eine klare Beziehung. Ich sehe etwas und versuche, es nachzubilden. Ich tue das in letzter Zeit wieder verstärkt, nachdem ich es jahrelang vernachlässigt hatte.
Oder, wenn ich das Motiv nicht nachbilde, so benutze ich doch ganz bewusst einige seiner Aspekte für meine künstlerischen Absichten.
Bei der gegenständlichen Kunst ist Quelle des Bildes also meine bewusste Beobachtung. Sehr oft greife ich allerdings auf frühere Beobachtungen zurück, die in meinem Erinnerungsspeicher ruhen. Ich „weiß“ ja, wie Menschen aussehen, sich bewegen, ich habe genügend Hunde und Bäume, Zirkusreiterinnen und Lampen studiert, um sie erkennbar wiederzugeben. Zum Glück haben auch die Betrachter von Bildern dieses Wissen: sie erkennen selbst in stark abstrahierenden Formen das Gemeinte.
Wie aber ist es bei der ungegenständlichen („konkreten“, „abstrakten“) Malerei? Da ist die Beziehung zur beobachteten Außenwelt offenbar nicht so eindeutig. Da sind es wohl eher Seelenzustände, Gedanken, Energien im Inneren, die nach außen drängen. Heißt das aber, dass die Verbindung zum alltäglichen Wahrnehmen nicht existiert?
Ich meine: doch. Denn auch im abstraktesten Bild schlagen sich frühere Wahrnehmungen nieder. Der ganze, teils bewusste, meist aber unbewusste Fundus meiner Wahrnehmungs-Erinnerungen fließt in das Malen ein. Nur ist dieser Zusammenhang verschlüsselt. Ich verstehe ihn selbst nicht.
Manchmal passiert es, dass eine aktuelle Wahrnehmung mich an ein Bild erinnert, das ich zu ganz anderen Zeiten und unter anderen Umständen gemacht habe. Ein Beispiel habe ich schon gezeigt: die spiegelnde Pfütze und das Gießbild. Als ich das Gießbild machte, dachte ich überhaupt nicht an irgendeine Entsprechung in der Natur – doch im Nachhinein kann ich sie erkennen.
Oder bilde ich mir diese Entsprechung nur ein? Vorgestern ertappte ich mich dabei, wie ich – es war auf dem Nymphenhügel gegenüber der Akropolis – an eine hohe Wand herantrat, an der sich auffällige dunkle feuchte Formen gebildet hatten. Ich betrachtete sie, betastete sie auch. Ich mache das wohl öfter, sammle auf diese Weise „Material“ für Bilder. Zuhause fiel mir dann eine alte Tuschzeichnung ein, die ganz ähnliche Strukturen aufweist.
Prompt fiel mir noch ein anderes Bild ein, das ich schon mal zeigte: https://gerdakazakou.com/2016/05/02/in-memoriam-just-let-go/
Dem abstrakten Bild gibt man ja oft einen Titel. Damit vernichtet man in gewisser Weise die Grenze zur gegenständlichen Kunst, denn man suggeriert dem Betrachter, dass er etwas Bestimmtes wahrnehmen oder eine bestimmte Gefühlsqualität abrufen soll. Das obige Bild nannte ich „in memoriam“ und evozierte dadurch Bilder von Trauer und Tod, aber auch von Loslassen. Die folgenden kleinen Tuschzeichnungen zeigte ich unter dem Titel „scorched – verbrannt, versengt“. Ich sagte also: Schau her, siehst du nicht einen gestürzten angekohlten Baum, ein paar Stücke Holzkohle, übrig geblieben von einem großen Brand?
Und vielleicht – ich sage, vielleicht! – habe ich ja, als ich sie malte, tatsächlich auf innere Bilder zurückgegriffen, die ich im Versuch einer Trauerbewältigung oder nach einem Waldbrand einsammelte. Aber davon wusste ich nichts, als ich sie malte.
Das Flüssigkeitsverlaufsbild hat mich – bevor ich deinen Text gelesen hatte – an Trauer erinnert. Vielleicht liegt das an dem tränenhaften Verlauf der Flüssigkeit?
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So wird es wohl sein. Dabei haben wir solche Fließbewegungen natürlich in ganz anderen Zusammenhängen gesehen. So wie zB die schwarzen Flüsse an der Mauer, die ich zeige. Und da denkt man dann eben auch an „Trauer“ und „Schmerz“. Eine Klagemauer.
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Total spannend.
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o, das freut mich, liebes Wechselweib!
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Wie schön Gerda, und danke für deinen Inspiration mal wieder mehr in der Natur zu zeichnen.
Auch sehr spannend ist das Nebeneinanderlegen der Tuschzeichnung mit der Fotografie der mysteriösen Wasserflecken! Toller Beitrag mal wieder!
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🙂 Julia!
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Ich glaube nicht, dass ein großer Unterschied besteht zwischen einem Maler und einem Poeten oder gar Philosophen. Auf der einen Seite setzt man sich Themen, die man darstellen/abhandeln will, um eigene oder fremde Meinungen oder „streams“ darzustellen, aus eigenem Drang, um Anerkennung zu finden, gegen Geld und in der Hoffnung, manchmal mit dem Ansinnen, Andere können die Aussage „lesen“.
Auf der anderen Seite suchen alle nach einer neuen Interpretation, weil sie sich absetzen wollen, weil sie das Bestehende für Unvollkommen halten, Alleinstellungsmerkmale suchen und vielleicht Trends zu setzen. Und dazu liefert man einen Titel und lockt die Betrachter/Leser damit in „seinen“ Tunnel.
In jedem Falle ja mit Erfolg: entweder man wird „follower“ oder man diskutiert mit dem Autor.
In beiden Fällen suchen wir nach Lösungen / Darstellungsmöglichkeiten, verwenden kürzliche Ideen, Eingebungen oder öffnen unsere Seele und befreien sie von dem, was sie seit langer Zeit gesammelt, gespeichert, miteinander verknüpft hat.
Oftmals löst sich irgendein Knoten und gibt Platz für neue Kombinationen, Definitionen, Einsichten, Aussichten, Annahmen, die einem Fluss gleich sich in Bilder, Gedichte, Romane, Träume, Erleuchtungen niederschlagen.
Ich denke, wir suchen bewusst oder unbewusst immer nach Verbindungen, Verflechtungen, analysieren immer wieder neu alle Fakten und versuchen, die Puzzle neu oder „richtig“ zu legen.
So, wie wir Schatten lesen können, also etwas in Schemen hineinlesen können, bilden wir permanent auch selbst „abgespeckte“ Strukturen, die leichter zugänglich sind und bei Bedarf wieder aufgefüllt werden können.
Ich glaube, lieber Gerda, Du rührst hier an unseren Denkstrukturen, die wahrscheinlich mehr als uns bewusst ist, sogenannte logische Denkschritte und unbewusste Wahrnehmungen/Erkenntnis – sprich Emotionen – ganz unkonventionell verbinden.
LG Werner
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Danke, Werner, für deine interessante Übertragung ins Medium der Poeten und Philosophen. Besonders den letzten Abschnitt deiner Gedanken empfinde ich als Zusammenfassung meiner Absicht. Nämlich zu verstehen, wie sich das, was du „unsere Denkstrukturen“ nennst, inhaltlich füllt und entleert.
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Deine Arbeiten gefallen mir sehr gut und deine Gedanken dazu sind immer wieder spannend. Inspirierend auch!
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Danke, das freut mich sehr!
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Wunderbar, hier hängen zu bleiben und wieder zu kommen! Hier finden sich einprägsame, faszinierende Bilder, spannende Betrachtungen und Überlegungen und auch lebendige, interessante Kommentare. Hab’s gut heute! Liebe Grüße, Petra
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Liebe Petra, dein Kommentar macht mir große Freude und trägt bei zu dem, was du lobst und was mir so gefällt: zum lebendigen Austausch … .
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Ich mag ja die Titel von abstrakten oder nicht-gegenständlichen Bilder gar nicht, weil ich mit einem Bild gerne in direkten Kontakt treten möchte und dann oft auch ganz anderes sehe und fühle als der Titel suggeriert. Bei deinem „Trauerbild“ – das ich ganz großartig finde – sehe ich im unteren Teil auch durchaus heitere Stimmung. Ich sehe es als eine Art Transformierung durch Loslassen. Inwieweit das jetzt meine eigene Vorstellung ist – ich halte sehr viel von Transformierung durch Loslassen – kann ich nicht sagen …..
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Ich sehe es genauso wie du, Myriade. Daher der Titel „in memoriam. Just let go“. Was natürlich niemanden verpflichtet, es ebenso zu halten. 🙂
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Mich fasziniert auch immer wieder was Bilder über mich wissen, ohne dass ich es schon weiß. Und so unterscheiden sich auch meine Bilder, hier die Absicht etwas abzubilden (fotografisch) und das möglichst naturgetreu, dort das Spiel mit Farben und Formen, die Neues hervorbringen und das Dahinterliegende manchmal erst später entblößen.
Sehr schöne Bildbeispiele hast du dafür ausgewählt. Ganz besonders mag ich deine Zeichnung, das Licht der Akropolis.
herzliche Grüße
Ulli
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„was Bilder über mich wissen….“ – das ist genau das, was ich ausdrücken wollte. Danke, Ulli.
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Mir fiel gerade das Wort „Fundus“ ein. Das sagt sicher auch einiges über Dich und deine Welten aus wie die Bilder?!
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ich benutze das Wort ja oben: „unbewusster Fundus“. Den hat jeder, es ist der dichte dunkle Boden, auf dem wir unsere bewussten lichten Luftschlösser bauen. 😉
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Fließbewegungen sind spannend, ich hoffe, es ist alles gut bei dir?
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Bei der Kreation von Kunstwerken spielt das Unterbewusstsein immer eine wichtige Rolle. Das hast du in deinem Post mit Recht angedeutet, liebe Gerda.
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Wieder ein toller, sehr zum Nachdenken anregender Blogbeitrag von Dir, liebe Gerda.
Dinge, die wir wahrgenommen haben und die dann in unsere Erinnerungsspeicher gewandert sind, machen sich gewissermaßen selbständig, indem sie sich in das hineinmogeln, was wir gerade zeichnen, malen, kleben, gestalten oder schreiben.
Als ich meine Collagen machte, erfand ich Traumgestalten, und jede dieser Collagen hatte auch mit der Realität zu tun, mit mir, mit meinen Gedanken, die Dinge zu sehen und meinen Empfindungen. Es fiel mir schwer, eine scheußliche Gestalt zu formen, Skuriles ging besser 🙂 Es war fast wie Gedanken um die Ecke denken…
Wie gut ist es nachzuvollziehen, daß Du in den schwarzen feuchten breiten Formen die ältere Tuschezeichnung erkennst.
Dein zauberhaftes „in memoriam“ empfinde ich nicht als traurig, sondern als sehr eindrucksvoll, wie eine Malerei, die mich auf einen Weg tief in das Abgebildete hinein führt, liebe Gerda.
Titel sind vermutlich immer beeinflussend, auch wenn wir es vielleicht betreiten, denn unser Unterwußtsein spielt uns so manchen Streich…
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