Was ich im EMST sah (4): Dekonstruktion des Mythos

(documenta 14 in Athen)

Eine Wand im Athener Museum für Zeitgenössische Kunst (EMST) wird von einem riesigen Gemälde des indischen Künstler K.G.Subramanyan eingenommen.

(Photo aus dem Netz)

Von Ferne wirkt das Werk wie ein gewaltiger schwarz-weißer Holzschnitt, oder vielleicht doch eher wie eine Elfenbeinschnitzerei?

(The War of the Debris. Auch dies Foto habe ich dem Netz entnommen, denn ich konnte es selbst nicht ganz aufnehmen).

Fasziniert ging ich auf die Wand zu, versuchte mich zu orientieren. Der Bilddtitel „Krieg der Bruchstücke“ passte so gar nicht zu diesem harmonischen Werk. Von Nahem sah ich, dass es sich um eine schwarz-weiße Pinselzeichnung mit Bleistift-Notierungen handelte. Menschen, Tierisches, Pflanzliches ordneten sich zu einem großen Tableau.

Im „daybook“ der documenta (hier) kannst du nachlesen, dass der Künstler dieses gewaltige Werk als 88Jähriger in seinem letzten Lebensjahr, 2016, nach schwerster Krankheit schuf. Es ist wie ein Vermächtnis seines langen Lebens, das er, ein Anhänger Gandhis, als Friedensaktivist begann. Von sich selbst sagt er:   „I am an artist activist, not an activist artist“.

Ich möchte dieses Werk lesen können, doch ist es mir zwar ästhetisch zugänglich, inhaltlich aber verschlossen. Wovon spricht es? Subramanyan benutzt die Sprache der indischen Mythen, ihre Symbolik, um sie zugleich zu zerlegen, zu „dekonstruieren“. Die Mythen, so sagt er, sind geschlossene Bildwelten, man kann sich als Künstler nicht in ihnen entfalten. Also bricht er sie auf und schafft aus dem Material neue Welten zu seinem Brauch.  So jedenfalls habe ich ihn verstanden.

Dahinter steht wohl die Vorstellung, dass die konkreten Mythen mit ihren Helden, Göttern, Bildwelten trennend wirken. Jede Gemeinschaft,  jedes Volk hat andere und verteidigt die seinen gegen die der Nacharn. Sie sind einander ausschließend und damit Grund genug, Kriege gegen die „Andersgläubigen“ zu führen. Mir scheint, dieser Künstler zeigt einen Weg: Wie man die Enge und Begrenztheit der eigenen Mythen aufbrechen und Verständigung schaffen kann, ohne die Wurzeln zu beschädigen, aus denen man lebt, fühlt, denkt.

 

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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10 Antworten zu Was ich im EMST sah (4): Dekonstruktion des Mythos

  1. Mein Name sei MAMA schreibt:

    Ein sehr interessantes Werk. So wie auch dein Blogbeitrag dazu. Denn Öffnung nach außen scheint und ist zwar möglich, für das gemeinsame Verständnis wäre dann aber doch wieder Wissen über die Kultur nötig. Andernfalls liest jeder etwas anderes heraus, aber vielleicht ist das ja das Gute daran?

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  2. Claudia schreibt:

    Liebe Gerda,
    deine Fotos zeichnen den Blick von weit nach nah so anschaulich nach, dass auch wir als Leser und Betrachter die Entwicklung von der Schnitzerei (fast sieht es auch aus wie Spitze) zu den konkreten Figuren nachvollziehen können. Gerade bei der Frage nach den Mythen geht mir aber durch den Kopf, dass die doch gerade Anlass sind, sich mit einer anderen Kultur zu beschäftigen – und sie auch besser verstehen zu können. Mythen – im Unterschied zu Ideologien – können doch der Asgangspunkt dazu sein, sich kennenzulernen, auch wenn sie einem zunächst sehr fremd vorkommen.
    Viele Grüße, Claudia

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    • gkazakou schreibt:

      Liebe Claudia, ich glaube, Subramanyan meint mit Mythen das gesamte überlieferte Glaubenssystem, mit seinen Göttern, Bildern, Ritualen. Die Menschen, die in einem solchen Glaubenssytem leben, stehen oft feindlich anderen gegenüber. Das scheint auch in Indien ein großes Problem zu sein, man hört ja immer wieder von schwersten Ausschreitungen einer religiösen Gruppe gegen eine andere. Was du meinst, setzt voraus, dass man selbst schon eine recht lockere Beziehung zum „eigenen“ Kulturkreis und Glaubenssystem hat und daher mit Neugierde auf die Kulturen der anderen schaut (auch wenn man sie vermutlich nicht recht versteht, sondern vor allem ihre Ausdrucksformen ästhetisch beurteilt). Wir Westler sind ziemlich eklektistisch geworden, suchen uns das jeweils Passende heraus – und das tut auch diese documenta. Da findest du „Bruchstücke“ aus allen möglichen Vorstellungswelten, nur dass sie hier friedlich koexistieren oder sich sogar gegenseitig durchdringen und keinen Krieg gegeneinander führen. (ich erinnere an den Titel des gezeigten Werks). Liebe Grüße Gerda

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      • Claudia schreibt:

        Liebe Gerda,
        ja, wahrscheinlich hast Du Recht, bestimmt sogar, dass nämlich viele Menschen doch ihr eigenes Mythen- und Glaubenssystem und ihre Kultur so schätzen, dass sie sich nicht einmal für andere interessieren. Dabei finde ich gerade die „alten geschichten“, die Mythen, so interessant und auch hilfreich, um im Ansatz ein Verständnis für etwas Fremdes zu bekommen, auch wenn ich mich dann mit den Ideen immer noch schwer tue. Dass das vielleicht auch schwerer fällt, wenn Menschen unterschiedlicher Kulturen eng zusammen leben und es letztendlich um Macht und Ressourcen geht (da ist es wieder: das Wasserloch), kann ich ein bisschen verstehen.
        Den Aspekt des Eklektizismus, den Du ja in unserer westlichen Kultur als friedliche Koexistenz positiv beschreibst, hat aber manchmal auch befremdliche Seiten. Gerade habe ich von den Arbeitsbedingungen im Silicon Valley gelesen, wo die großen Internetfirmen ihren Unternehmenscampus gestalten wie große bunte Kindergärten – überall nur Spiel und Spaß -, gleichzeitig aber die härtesten und anspruchvollsten Arbeitgeber sind. Damit ihre Mitarbeiter in diesem High-Speed-Umfeld nicht gleich völlig erledigt sind, heuern sie Zen-Meister an, damit die Mitarbeiter lernen, innezuhalten und tief durchzuatmen. Das ist manchmal schon ein bisschen ver-rückt – führt jetzt aber ein Stück weg vom Thema der Offenheit für Mythen und Kulturen.
        Liebe Grüße, Claudia

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  3. kopfundgestalt schreibt:

    Die Neuverwendung der Symboliken macht doch Sinn, denn Aufgabe der Kunst kann ja auch sein, zu zeigen, was diese Symbolwelten, die Mythen einem heute sagen, auch und gerade individuell. Schliesslich sind diese Bilder ja auch längst zu inneren Bildern geworden, zu einem archaischen Gut der Menschen in der entspr. Region und können so aus dem Bauch, aus dem Hinterkopf, aus den Träumen hervorgeholt und dargestellt werden.

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    • gkazakou schreibt:

      Lieber Kopfundgestalt: „was die Mythen einem heute sagen … „, . Mythen sind nichts Abgelegtes, Vergangenes, sie haben über hunderte und tausende von Jahren die unbewussten Schichten der Seele geprägt und tun es weiterhin. Was sie „einem“ sagen, hängt davon ab, in welcher Welt dieser „eine“ aufgewachsen ist und inwieweit er Zugriff auf die unbewussten Bilder seiner Seele hat. In den Bildern der Gottheiten, Tiere, Pflanzen klingt etwas davon an, Der „eine“ fühlt sich hingezogen, ein anderer abgestoßen zB von einem Mythos, der empfiehlt, das in Brot verwandelte Fleisch eines Verstorbenen zu verzehren, um ins Himmelreich einzugehen, oder von einem anderen Mythos, der Sicheres zu wissen vermeint über die Geschlechtsorgane Gottes und sie im Ritual verdoppelt…. Unendlich viele solcher Bilder und Vorstellungen zirkulieren in der Menschheit, stoßen sich aneinander, gehen Beziehungen zueinander ein, bilden Cluster, die man dann „Kulturen“ nennt oder auch Glaubenssysteme. (Vieles ließe sich hier noch ausführen)

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      • kopfundgestalt schreibt:

        Du kannst mich auch „Gerhard“ nennen 🙂
        Das ist sicher ein breites Thema. Der Psychoanalytiker Jung beschäftigte sich ja auch mit den Archetypen. Die heutigen Schamanen auch. Oder die neuzeitlich spirituell unterwegs Seienden.
        Ich denke, wir alle sind essentiell geprägt durch bestimmte Bilder von altersher und dies im Einzelnen zu zeigen, kann sehr spannend sein!
        Ich denke, Du wirst ab und an etwas in Deine Beiträge aus dem Mythologischen einfliessen lassen, nicht wahr?!

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  4. afrikafrau schreibt:

    stimme allem zu, denn nur mit Respekt gegenüber anderer Kulturauffassungen und Denkweisen,
    Lebensweisen, erscheint mir ein gewisser Zugangn bzw. Verständnis möglich (ohne die aufgesetzten, mißbräuchlich verwendeten Idiologien )

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  5. Pingback: Was ich im EMST sah (5): Masken und Moderne | GERDA KAZAKOU

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