Die zeitgenössische Kunst ist in Rom eine weibliche Angelegenheit. Sehr dankbar bin ich, dass ich diesen Aspekt gleich am ersten Tag entdeckte: das MAXXI – Museo nazionale delle arti del XXI secolo. Entworfen wurde es von der erstaunlichen Zaha Hadid, von deren Arbeit ich seit einer Ausstellung ihrer Entwürfe in New York tief beeindruckt war.
„Das Wichtigste ist die Bewegung, der Fluss der Dinge, eine nicht-euklidische Geometrie, in der sich nichts wiederholt: eine Neuordnung des Raumes.“ So meinte Zaha Hadid, die 1960 in Bagdad geborene große Architektin (erst 66jährig, starb sie im März dieses Jahres). Sie habe sich von der russischen Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhundert inspirieren lassen, und sei dem Credo von Malewitsch gefolgt: „Wir können nur dann Raum wahrnehmen, wenn wir uns von der Erde loslösen, wenn der Auflagepunkt verschwindet.“ (1928)
Kein Wunder, dass ich gleich am ersten Tag meines Rom-Aufenthaltes den aufgerissenen Bauch des antiken Rom, der Tag und Nacht von den Ameisenströmen der Touristen durchwandert wird, hinter mir ließ und ein Taxi ins ehemalige Kasernengelände von Flaminio nahm: Den Bau von Zaha Hadid musste ich sehen! Denn eine Architektur ohne rechte Winkel, einen festen Bau im Fluss, in dem sich nie irgendetwas wiederholt – das schien mir der zeitgemäße Rahmen für das zu sein, was ich von der Kunst des XXI Jahrhunderts erwarte.
Das MAXXI wurde nicht nur von einer Frau gebaut, es wurde 2009 mit der Performance einer anderen Frau, der Choreografin Sasha Waltz und ihrer Tanzcompagnie eröffnet. Auch die ersten Direktorinnen des MAXXI sind Frauen: Margaret Guccione und Anna Mattirolo.
Der Gang durch das MAXXI war ein Abenteuer nicht nur wegen des fantastischen Raumgefüges, sondern auch wegen der Exponate: Architekturentwürfe und -modelle in einem Teil, skulpturelle Installationen, Videos, Fotografie und ein wenig Malerei auf den übrigen Flächen. Dazu eine Studienabteilung, ein Hörsaal, eine Bibliothek und – zum Glück! – auch eine Bar, denn die Füße, ach, die Füße!
Hier ein Selfie in der riesigen Animation der pakistanischen Künstlerin Shahzia Sikander, die natürlich längst nicht mehr in Lahore lebt, wo sie in der traditionellen Miniaturkunst ihrer Heimat ausgebildet wurde. Sie arbeitet immer noch am liebsten mit paper and pencil und integriert ihre Zeichnungen in ihre gewaltige farbenfrohe Animation, die einen riesigen Raum beherrscht.
Auf den Raum bezogen sind auch viele der anderen Kunstwerke, in eindrucksvollster Weise wohl in dieser (von ??): der lange geschwungene Gang wird beherrscht von einer kalten Deckenbeleuchtung und einem Gitternetz an der Wand. Du eilst den Gang entlang, denn es gibt ja sooo viel zu sehen in diesem Museum und du hast soo wenig Zeit .
Und dann siehst du sie plötzlich, die weißlichen Hände, die sich durch das Gitter strecken, manche resigniert herabhängend, andere ans Gitter geklammert.
Am Ende des Ganges und nun wieder im Licht findest du aufatmend eine Videoinstallation mit Zugvögeln. So jedenfalls habe ich es verstanden: Die Vögel umrunden unsere Erde und bilden um diese herum eine bewegte flatternde Hülle. Jede Vogelart auf ihre Weise.
Ich erzähle vielleicht später weiter von diesem fantastischen Kunstraum MAXXI. Denn jetzt muss ich erneut aufbrechen: es ruft die Mani! Seid herzlich gegrüßt und genießt die neue Woche, die nun gerade begonnen hat.
Ich wußte nicht, daß sie gestorben ist. Eine große Frau, die Großes vollbracht hat.
Sie muß auch ein enormes Durchsetzungsvermögen gehabt haben, eine Überzeugungskraft, die Wunder wirkte. Dieses Museum hätte mir auch gefallen und ich denke, frau wird in Rom so viel Sehenswertes nicht sehen können, weil die Zeit *hinten und vorne* nie ausreichend sein wird.
Aber ich gehe durch dieses Museum mit Dir und denke darüber nach , was Frauen alles schaffen,
wenn sie ihren einstmals so engen Grenzen entwachsen sind…
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Zaha Hadid konnte es schaffen, weil sie sehr wohlhabende, hoch gebildete Eltern hatte und weil sie rechtzeitig aus dem Irak verschwand. Dasselbe gilt für die pakistanische Künstlerin Shahzia Sikander. Die deutsche Sasha Waltz, aus einer Künstlerfamilie stammend, hatte ebenfalls gute Startchancen. Immer noch ist es ein recht seltener „Sonderweg“, sich als Künstlerin durchzusetzen. Aber es geht, es kommt vor, und oft stehen wir uns selbst im Weg, weil wir an unsere eigene Größe nicht glauben.
Liebe Grüße von Gerda
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“ …und oft stehen wir uns selbst im Weg, weil wir an unsere eigene Größe nicht glauben …“, wie wahr!
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Ja, das hatte ich auch gelesen, daß sie wohlhabende Eltern hatte!
Es ebnet eben doch viel …
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Hat dies auf haluise rebloggt.
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wow ..ein sehr interessanter Beitrag
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danke, Afrikafrau!
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Liebe Gerda, aber ja gefällt mir das, ein Raum von einer grossen Frau gebaut und mit Frauen gefüllt, die ich teilweise kenne, teilweise nicht. Solcherlei macht Mut und schenkt mir Freude.
Du schreibst:“Denn eine Architektur ohne rechte Winkel, einen festen Bau im Fluss, in dem sich nie irgendetwas wiederholt – das schien mir der zeitgemäße Rahmen für das zu sein, was ich von der Kunst des XXI Jahrhunderts erwarte.“ – ich bleibe an: „wo sich nie irgendetwas wiederholt“, hängen und frage, ob das denn überhaupt geht, sind denn die Fragen der Menschen von heute so anders, als die Fragen der Menschen älteren Zeiten, sicherlich, wir haben unsere eigenen zeitgemässen Ausdrucksformen, aber gewisse Themen ziehen sich durch die Jahrhunderte/Jahrtausende hinddurch, selbst bei den Antworten muss ich mich dann immer wieder fragen, wie neu das denn jetzt ist. Wenn du es nur in Bezug auf den Bau meintest, dann nicke ich dir zu.
Schön, dass du zurück bist!
Herzliche Grüsse
Ulli
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P.S. die Hände lassen mich erschauern und doch ist es so wichtig sie genau so zu zeigen- die Idee und ihre Umsetzung der Zugvögel finde ich grossartig!
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Die Vögel-Kosmen habe ich für dich fotografiert 🙂
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ach Gerda … jetzt habe ich Pipi in den Augen … danke
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dass sich nie irgendetwas wiederholt – das heisst ja nicht, dass die Fragen der Menschen sich grundsätzlich ändern. Die Elemente und Materialien des Baus sind ja auch dieselben wie in vielen anderen, aber die Lösungen (Antworten) sind immer wieder neu. Es sind, meinetwegen, Varianten eines Musters, aber nie dasselbe Muster. Wie zB die Fingerabdrücke, die Iris der Augen von Milliarden Menschen nie, nie gleich sind. Wenn dies deine Philosophie ist, kommst du zu anderen Ergebnissen, als wenn du Gleichförmigkeit anstrebst. Das eine Mal suchst du lebendige Formen zu realisieren, das andere Mal Serielles, zB kostengünstige Kasernen für die „Massen“.
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Bei Dir darf ich immer etwas dazulernen, Gerda. Was Du da zitierst, diese Neuordnung des Raumes, dieses Sich-nicht-Wiederholende, alle Namen muss ich nachlesen und nacherinnern, erst einmal sind nun lauter große Architektenworte in meinem Kopf und diesen Beitrag brauche ich mindestens zehnmal mit Zeitabstand, damit diese ganzen Informationen in meinem alternden bequemfaulblöden Gedächtnis kleben bleiben können. Ich erinnere mich an die Telefonnummer meiner Kindheitsfreundin, sie ist längst tot. Warum? Warum vergesse ich so wichtige Jahreszahlen, es ärgert mich oft, weil ich nachlesen, nachschauen muss.
Hier, jetzt, ließ ich mich mitnehmen von Deinen Augen, Deinem Gefühl, Deinen Impressionen im freien Fall nach oben. Licht, Licht, Licht. Euklidische Geometrie. Das schlag ich als erstes nach. Uff. Und Dank. Und nochmal Uff….das klingt nach eine Menge schönster Recherche.
Ich grüß Dich und hoffe auf mehr von MAXXI.
-Stefanie
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Schlag mal lieber bei nicht-euklidischer Geometrie nach 😉
Die euklidische ist für unser Ersendasein allerdings meist durchaus ausreichend. 🙂
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Erdendasein ….
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Wenn man die Wahl zwischen zwei Dingen hat, sollte man immer tunlichst beide nehmen. Wenn das dann noch geometrisch euklidisch in dessen Antonym führt, umso moderner…
Warum nicht zu den Sternen fliegen und dabei im Grase liegen…✨☺️
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…es sind beeindruckende Fotos von einem Gebäude, das künstlerischer Ausdruck einer Idee an sich ist…doch ich kann dem Ansinnen Malewitschs ( „Wir können nur dann Raum wahrnehmen, wenn wir uns von der Erde loslösen, wenn der Auflagepunkt verschwindet.“ (1928) ) nicht so viel abgewinnen…ich für mich brauche den Bezug zur Erde und zum Himmel, ich brauche Ordnung, um mich wohl zu fühlen…das Bauwerk als Kunstwerk, okay, ich kann es anerkennen, aber mir ist es zum Zweck – selbst der Kunstausstellung – zu ungemütlich, zu kalt und stellt sich zu sehr selbst in den Vordergrund, wo es doch nur Rahmen für ausgestellte Kunst sein sollte…
…dass dieses Werk von einer Frau geschaffen wurde gefällt mir allerdings sehr gut, viel zu wenigen Frauen gelingt es, in diese Männerdomäne vorzudringen…(übrigens wurde sie nur 56 jahre als, wenn sie 1960 geboren schon verstarb)…
liebe Grüße
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Liebe Teggytiggs, danke für die Korrektur, ich wollte sie wohl gern länger unter den Lebenden lassen….
Deine Einwände gegen den Verlust der Erde als Bezugspunkt kann ich nachvollziehen, ich bin halt auch ein erdverwurzeltes Wesen, und es gefällt mir, mir vorzustellen, dass die Sonne im Meer versinkt …. Aber es gibt doch eine Wahrheit in dem, was er sagt…
Dass der Bau zu viel Aufmerksamkeit verlangt, finde ich nicht. Vielmehr wirken Exponate Es handelt sich ja nicht um herkömmliche Gemälde) und Raumgefüge sehr gut zusammen.
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Interessanter Text, mit tollen Photos ergänzt!
LG Erich
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