Palimpsest – was ist das?
Unter alten Schriftzeichen finden sich oft noch ältere, denn die schreibfreudigen Mönche konnten sich selten unbeschriebenes Pergament beschaffen. Sie kratzten, benutzten auch Säuren, um das Papier von alten Zeichen zu säubern, damit Neues geschrieben werden konnte. Doch so viel sie auch rieben und kratzten, es blieben Spuren des Alten zurück. Und so kamen wichtige Dokumente des Altertums auf uns, die heute, mit raffinierten Methoden, wieder sichtbar gemacht werden können.
Nach dem Alten, dem Ersten, dem Ursprünglichen zu graben – das ist die Leidenschaft archäologischer Wissenschaften (die Psychoanalyse ist eine Variante davon). Recycling alter Materialien, wie es die mittelalterliche Welt ganz selbstverständlich betrieb, ist dem heutigen Menschen ein Gräuel, eine Blasphemie. Wie konnten sie nur, diese Barbaren! Die Frommen zerstörten mit wahrer Manie herrliche Tempel, warfen Marmorskulpturen in Kalköfen, schmiedeten Bronzeleiber um zu Kanonenkugeln. Einiges verbauten sie in ihren Kirchlein, und so finden wir auch heute noch verwitterte Marmorranken zwischen den groben Feldsteinen.
Die der Archäologie entgegen gesetzte Denk- und Gefühlsrichtung ist das Recycling. Benutze das Alte, um Neues daraus zu schaffen. Als ich damit begann, ältere Originale zu zerschneiden, um daraus neue Bilder zu legen, beäugten mich meine gebildeten Freunde misstrauisch: Wie kannst du nur!
Nun, es handelte sich um Originale, die ich selbst gemalt hatte. Mit denen konnte ich tun, was mir behagte. Und ich merkte: Das Neue gewinnt seine Kraft aus dem Alten! Jedes Stückchen, das ich verwende, hat Schichten, hat eine Geschichte, die als Energie in den neuen Bildern wirksam bleibt.
Vorbereitet hatte sich dieses „Schaffen im Geist des Recycling“ mit kleinen Bildern, die ich Palimpseste nannte. Auch dabei ging es mir nicht um die Freilegung älterer Strukturen, sondern darum, die Kraft des Älteren im Neuen wirken zu lassen.
Jede neue Erfahrung ist eine Überschreibung älterer Eintragungen. Im Zusammenwirken aller Schichten entsteht das Bild der Welt, in der ich lebe.
deine receycelte Welt, wie du sie beschreibst, gefällt mir sehr, bekommt mir bekannt vor,
einige meiner Arbeiten gehen in eine ähnliche Richtung, in meine eigene bunte,afrikanische,
moderne, nachdenkliche, kreative Welt.
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danke, dass du mich teilhaben läßt an deinem unerschöpflichen Gedankenreichtum,
liebe Grüße aus Köln, hier ziehen gerade tausende Kraniche gen Süden, etwas ganz Besonderes …
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Kraniche! Wunderbar! Ich sah sie einmal über dem Pendeli-Gebirge (Attika), als sie vor einer Schneefront herflogen…
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Ich kann mich nur wiederholen, deine Kunst spricht mich sehr an. Dass deine Freunde (Ich darf doch *du* sagen, oder?) irritiert sind, verstehe ich. Ich bin zwar noch in der Expermentierphase ohne Ausbildung oder dem Ansatz von Maltechnik (werde ich nach und nach lernen), aber der Gedanke meine Bilder zu zerschneiden schmerzt. Oder das ihnen überhaupt irgendetwas passieren könnte, ich könnte sie nicht einmal gegen Bezahlung Fremden überlassen.
Was ich schade finde, dass du die Bilder wieder zerstörst. Hat zwar irgendwas zenartiges an sich, aber ich finde sie einfach zu ansprechend dafür.
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na, sie sind ja jedenfalls fotografiert 🙂
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