Rumpelstilzchen

ach wie gut dass niemand weiß ....

Rumpelstielzchen (c) Gerda Kazakou

Eine üble Geschichte ist das, fängt übel an, geht übel weiter, und am Ende weiß man nicht, ob einem die Auflösung wirklich gefällt. Ich meine das Märchen vom Rumpelstilzchen. Warum erzähle ich sie dann? Weil mir der Refrain des Lieds „Rumpelstilzchen“ von Franz Joseph Degenhardt (1963) nicht aus dem Kopf geht: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“. Es gehörte zur Epoche unserer antiautoritären Kinderläden. Mit solchen Liedern („Wenn morgens schon die Schule brennt….“) wuchsen unsere Kinder auf.

Aber kommen wir zum Märchen, das hier erzählt werden soll. Am Anfang steht ein Vater, arm und Müller von Beruf, der eine schöne Tochter hat. Dies ist ein Asset, wie man heute sagen würde. Man kann es in Geld und Status umwandeln. Der Müller ergreift die erste Gelegenheit, um dem König sein Kind anzupreisen. Sie könne Stroh zu Gold verspinnen. Das gefällt dem König nicht schlecht. Topp, sagt er, schaff sie her. Kann sie es, wird sie meine Frau, kann sie es nicht, muss sie sterben.

Das Mädchen wird in eine Kammer geführt, die voller Stroh ist. O Pein! Es hat ja nicht die leiseste Ahnung, wie man Stroh zu Gold verspinnt.

Aber es gibt einen, der das kann: Rumpelstilzchen.

Natürlich tut er es nicht umsonst. Für seine Dienste fordert er eine angemessene Bezahlung: in der ersten Nacht ist ihm ihr Halsband genug, in der zweiten muss sie schon den Ring von ihrem Finger hergeben. Der König sieht nicht den Preis, sondern nur das Ergebnis. Er ist scharf auf das Gold, und nimmt das Müllerstöchterchen mit in Kauf: „Verspinnst du mir auch dies Stroh zu Gold“, sagt er und weist auf einen riesigen Haufen, „dann heirate ich dich. Wenn nicht: Kopf ab!“

Irgendwie kommt mir die Geschichte sehr modern vor. Prahlerischer Vater, geldgieriger König, die Tochter als Asset. Stroh zu Gold, schaff’s mir oder Kopf ab. Aber sehen wir weiter. Rumpelstilzchen will für seine Dienste nun ihr erstes Kind, sofern sie Königin wird. Und tatsächlich! Sie wird Königin und bringt übers Jahr ein schönes Kind zur Welt. Ganz vergessen hat sie, dass sie es dem Rumpelstilzchen schuldet. Der kommt prompt vorbei und fordert die Schuld ein. Er will nichts von ihren Schätzen, sondern nur dies eine: das Kind. Denn es ist ein Lebendiges.

Die Königin weint und jammert so sehr, dass das Männlein ein Erbarmen hat. „Drei Tage hast du Zeit, um meinen Namen herauszufinden. Wenn dir das gelingt, kannst du das Kind behalten“. Ein großherziges Angebot, finde ich.

Und da beginnt nun das Rätselraten. Wer ist dies Männchen? Wie heißt es?

Keiner kommt drauf. Aber das Männchen selbst verrät sich mit seinem Lied: „Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“. Vor Wut, dass es verraten wurde (von wem bloß?), reißt es sich selbst entzwei.

Muss ich euch wirklich sagen, wer der Müller, wer der geldgierige König und wer das Mägdlein ist? Und wer die Fähigkeit hat, Stroh zu Gold zu machen? Strengt euch ein bisschen an! Wenn ihr das Rätsel nicht lösen könnt, bekommt das Rumpelstilzchen das lebende Kind der Königin. Pfui Teufel!

Wenn ihr aber drauf kommt, dann ist Schluss mit der Anonymität, und es zerreißt es sich selbst vor Wut.

Über gkazakou

Humanwissenschaftlerin (Dr. phil). Schwerpunkte Bildende Kunst und Kreative Therapien. In diesem Blog stelle ich meine "Legearbeiten" (seit Dezember 2015) vor und erläutere, hoffentlich kurzweilig, die Bezüge zum laufenden griechischen Drama und zur Mythologie.
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15 Antworten zu Rumpelstilzchen

  1. ingrid schreibt:

    Siehe unter vita: Du stellst deine Legearbeiten seit Dezember 2014 vor, nicht 2015 Gerda

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  2. ingrid und hermann schreibt:

    Diskutieren erregt die Lösung des Rätsels beim Frühstück, brauchen noch etwas Zeit.
    Hermann&Ingrid
    Gerda,
    warum stellst du die Frage nicht auch den Griechinnen und Griechen in ihrer Sprache?
    Wir denken, dass zudem für sie deine anderen Werke sprachlich zugänglich sein sollten.

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  3. hellajm schreibt:

    Ja, das Rumpelstilzchen ist erkannt. Es ist identisch mit dem reinkarnierten Schneider von Ulm.
    Es ist gefährlicher in seiner körperlichen Fesselung, als ich es mir in meinen schlimmsten Befürchtungen ausmalte. Übrigens eine der besonders eindringlichen Bildgestaltungen!

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  4. hellajm schreibt:

    Wir wissen seinen Namen, aber es zerreißt nicht sich selbst sondern hat das lebendige Kind geholt.
    O arme Königin!

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    • gkazakou schreibt:

      Nein, noch hat er das Kind nicht geholt, denn es wurde noch nicht geboren. Übers Jahr, sagt das Märchen. Warten wir mal ab.

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  5. gkazakou schreibt:

    Hat dies auf GERDA KAZAKOU rebloggt und kommentierte:

    Diese Märchenbearbeitung stammt vom Juni 2015, nur wenige haben sie in meinem damals noch ganz neuen Blog gesehen. Ich gestatte mir, sie für das Mitmachblog erneut zu veröffentlichen.

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  6. ralphbuttler schreibt:

    Hat dies auf Blütensthaub rebloggt.

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  7. findevogel2015 schreibt:

    Interessante Frage! Die muss ich noch etwas in meinem Gehirn bewegen.

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  8. karfunkelfee schreibt:

    Wenn man eine große Wut erkennt bei ihrem Namen nennt, sie achtet und nicht ängstlich davor wegrennt, verfliegt sie und wandelt sich von rotem Zorn zu Gold. Das Kind ist die Verantwortung, das geliebte Selbst. Um es zu retten überwindet man die Angst mit dem Verstand. Der geldgierige König sind Erwartungen, Herausforderungen des Lebens, Umstände, die zwingend sein können. Das Mägdlein steht für die Besonnenheit und den Mut, die Dinge ändern zu wollen und auch zu können. Der Vater ist der Verrat der Welt an der Seele. Das Gefühl der Ungerechtigkeit, der sich Widerstand durch Mitgefühl und Weisheit entgegensetzt.
    Liebe Sonntagsgrüße

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  9. karfunkelfee schreibt:

    Oh…P.S.: Deine Legebilder sprechen so deutlich und gut!✨

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