Am 25. Januar dieses Jahres fanden vorgezogene Neuwahlen zum griechischen Parlament statt. Als sich der Sieg der Linken abzeichnete, ging eine Welle der Euphorie durchs Land. Auch mein Herz wollte noch einmal jung und rot schlagen: Mir gingen Brechts Verse aus der 3-Groschenoper durch den Sinn: „Es muss doch möglich sein auch armen Leuten / Vom großen Brotlaib sich ihr Teil zu schneiden!“ * Und so legte ich ein Bild, das ich nannte „Das Volk hat gesprochen“.
Eine hellblaue Wolke ist zum edlen Profil des „Volksgeistes“ geworden, der harmonische Gedanken und milde Worte aussendet. Eines davon ist der kupferne „Ring der Macht“, den noch niemand ergriffen hat. Denn noch ist Wahlnacht.
Zwei Vögel tragen den hungrigen Kleinen dicke rote Würmer zu. Ein buntscheckiger Kollege hockt in der rechten Ecke – die abgeschlagenen Parteien, schimpfend. Alles scheint in bester Ordnung. Aber mein Unterbewusstsein – oder ist es die immer wache Skepsis eines langen Lebens? – sorgt dafür, dass auf dem Ast nahe beim Vogelnest ein Rättchen erscheint. Es hat ebenfalls ein Nest voll mit hungrigen Jungen, die gefüttert werden wollen. Nichts gegen Ratten! Aber sie sind, man drehe und wende es, wie man wolle, den Vogeljungen unzuträglich.
Am folgenden Tag schon verlor sich meine Euphorie und machte schwarzen Befürchtungen Platz. Seither sind fast fünf Monate ins Land gegangen, und der Kampf ums Überleben zwischen Vögeln und Ratten geht in die nächste Phase.
*Die Verse stammen aus der Ballade „Denn wovon lebt der Mensch“ und handeln vom Scheitern solcher frommen Wünsche. Denn wie mahnt der besserwisserische Chor die naive Polly Peachum und ihren Galan Macheath?: „Ihr Herren, bildet euch nur da nichts ein:/ Der Mensch lebt nur von Missetat allein!“
