Odysseus hat, seiner Gefährten beraubt und nun völlig allein, zum zweiten Mal zwischen Skylla und Chabisdis hindurchgefunden. Was folgt, ist seine Rettung durch Kalypso.
Kalypso, die Nymphe (griechisch für Braut, heiratsfähiges Mädchen), hat ihr Alleinsein gründlich satt. Einen schönen Haushalt hat sie sich in ihrer Höhle eingerichtet, sie kann weben und spinnen, ihre Stimme ist geschult – ach, ihre einsamen Gesänge an der Küste der Insel Orygia, wo nur sie, nur sie allein, lebt, ein quellender Leib inmitten einer quellenden Natur! Was Wunder also, dass sie entzückt ausruft: „Ein Mann!“, kaum dass sie des Schiffbrüchigen ansichtig wird. „Ein tüchtiger Mann, scheints“, stellt sie zufrieden fest, nachdem sie den Ohnmächtigen begutachtet hat. Sie schleppt ihn in ihre Höhle, salbt ihn, streichelt ihn, belebt ihn.
„Ich gebe dir alles, Gesundheit und ewige Jugend“, flüstert sie dem Erwachenden ins Ohr. „Wenn du mich nur liebst“.
Da war es nun gefallen, das magische Wort. Das Wort für den Preis der Rettung. „Liebe mich“.
Und er liebt sie. Liebt sie bei Tag, liebt sie bei Nacht. Kalypso ist selig.
Woran mangelt es Odysseus, dass er nicht selig ist, sondern das Leben mit Kalypso zunehmend als Gefängnis empfindet? Denn das tut er. Ihre duftende Präsenz wird ihm zum Alptraum. Fort will er von der üppigen Geliebten und der üppigen Insel, fort sehnt er sich und klagt: meine arme karge Insel brauche ich, meine alternde Gattin – ach mein Ithaka, ach meine Penelope! Ach, besser wäre es, Skylla hätte mich gefressen und Charybdis verschlungen – als dass ich Opfer werde dieses alles verschlingenden Weibes! Ich, Odysseus, ein Sexsklave, ich, der zuhause ein König ist! Ein Souverän!
Man sieht, wir haben es hier mit einem Archetyp zu tun: Der Heros erlebt das Weibliche als verschlingende Macht. An jedem der sieben mal sieben mal 56 Tage und Nächte auf ihrem Lotterbett erscheint Kalypso ihm bedrohlicher.
Ihm schwinden die Sinne, seine Persönlichkeit löst sich auf. Er wird wieder zum Niemand. Seine Taten, sein Lebensweg werden annuliert. Das Weib, das ihn gebar, saugt ihn zurück in ihren Uterus.
Es ist eine schwere Schule, durch die unser Held gehen muss, damit er wirklich wird, was er zu sein meint: ein König, ein Souverän. Ein selbstbestimmter Mensch.
Hahaha, Du Schelmin, gefällt mir sehr!
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